Seewölfe Paket 23. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.winkte ab. „Weiß ich, weiß ich, vor allem wenn ich sehe, wie du auf deiner Kiste rumrutschst. Aber ihr werdet euren Tatendrang schon noch einsetzen können, verlaßt euch drauf! Und dann werdet ihr froh sein, ein paar Stunden Ruhe gehabt zu haben. Wenn wir hier loslegen, möchte ich keine Müdemänner sehen, die nicht mehr reagieren können, weil sie bereits im Stehen schlafen. Ist das klar?“
Das war klar, nur der Profos brummelte: „Könntest du nicht doch erwägen, mich mitzunehmen, Sir? Ich meine, damit du jemanden hast, der aufpaßt, daß dir keiner ins Kreuz springt oder so. Vielleicht haben die Dons hier einen Steckbrief von dir, nicht?“
„Genau!“ sagte Dan O’Flynn.
Hasard seufzte. „Ich trage einen Bart, Leute. Ihr braucht euch nur selbst im Spiegel zu betrachten und werdet euch kaum wiedererkennen. Für die Dons bin ich ein bärtiger Fremder an der Seite eines Gottesmannes, nicht mehr und nicht weniger. Es bleibt dabei: wir ziehen zu zweit los. Schon drei sind zuviel.“
„Wenn das nur gutgeht“, murmelte der Profos.
„Keine Sorge, Bruder Edwin“, sagte Pater Aloysius. „Der Herr wacht über euren Kapitän und mich und paßt auf, daß uns nichts geschieht.“
„Schon, schon“, sagte der Profos, „aber vielleicht schaut der Herr mal woanders hin, weil er dort mehr aufpassen muß. Er muß überhaupt eine Menge Augen haben, der Herr da oben. Und wenn nun das Auge, mit dem er auf Potosi schaut, müde ist? Hast du das bedacht, Bruder?“
„Es ist nicht müde, Bruder Edwin.“
Carberry grinste schlitzohrig. „Er geht Wache, Tag und Nacht, Woche um Woche, Monat um Monat, Jahr um Jahr. Ob er sich nicht mal ablösen läßt?“
Pater Aloysius schüttelte den Kopf. „Du mußt glauben, Bruder Edwin. Ließ der Herr dich fallen, als du am Seil über dem Abgrund hingst?“
„Da hat mein Diegolein mich gehalten“, sagte Carberry.
„Und wer befahl deinem Diegolein, sich gegen das Seil zu stemmen?“
Carberry kratzte sich hinter dem rechten Ohr und brummte: „Weißt du, Bruder, du hast eine ganz verdammte Art, mich auf himmlische Pfade zu locken. Da werde ich immer mißtrauisch. Wie war das denn, als mich mein lieber Diego an den Tacna zerrte und mit einem hinterfotzigen Stoß ins Wasser beförderte, he? Hat der Herr da nicht aufgepaßt?“
„Nahmst du Schaden, Bruder Edwin? Nein, du wurdest gebadet, und deine Seele wurde geläutert, auch wenn du voller Zorn warst. Du mußt diese Zeichen des Herrn verstehen. Es sind Zeichen! Der Herr ist auch in einem Maulesel, der stark genug war, dich einer Reinigung im Wasser zu unterziehen, aber auch stark genug, dich vor dem tödlichen Sturz in die Tiefe zu bewahren. Der Herr straft, und der Herr vergibt und beschützt. Du mußt mehr Vertrauen haben – und glauben.“
Carberry kratzte sich wieder hinter dem Ohr, jetzt dem linken.
„Mal sehen“, murmelte er ein bißchen unglücklich.
Die Männer grinsten in sich hinein.
2.
Pater Aloysius und Hasard umgingen den Cerro Rico und betraten die Stadt von Westen her. Niemand hielt sie auf oder kümmerte sich um die beiden Männer. Der Pater hatte seine Bergkleidung abgelegt und trug jetzt seine Kutte.
Es war doch erstaunlich, wie die Leute, denen sie begegneten, auf den Gottesmann reagierten. Man neigte den Kopf oder trat zur Seite, um dem Kuttenmann seine Reverenz zu erweisen. Pater Aloysius nickte gelassen oder hob leicht die rechte Hand.
„Es gibt auch weiße Schafe unter den Spaniern“, sagte er leise zu Hasard, „und es sind nicht eben wenige.“
„Ich weiß“, sagte Hasard ebenso leise, „dennoch bleibt unverständlich, warum sich die vielen weißen Schafe immer wieder von den paar schwarzen Schafen auf der Nase herumtanzen lassen.“
„Damit müssen wir leben“, sagte Pater Aloysius.
„Ja, leider“, murmelte Hasard und schaute sich um. „Ich wundere mich, daß die Stadtzugänge nicht bewacht werden, und hatte gedacht, wir müßten uns heimlich einschleichen.“
Pater Aloysius schüttelte den Kopf. „Sie fühlen sich absolut sicher. Von den Indios droht keine Gefahr – im Umkreis bis zu achtzig oder hundert Meilen gibt es kaum noch welche und wenn, dann leben sie versteckt und zurückgezogen oder haben sich Ausweichmöglichkeiten geschaffen wie unsere Leute im Tacna-Tal. Und die hier versklavten Indios führen ein viel zu erbärmliches Dasein, um noch die Kraft zum Rebellieren zu haben. Außerdem stehen sie Tag und Nacht unter Bewachung. Und Räuberbanden haben sich hier noch nicht blicken lassen. Potosi liegt zu weit von der Küste oder anderen großen Städten entfernt. Du weißt selbst, Bruder Hasard, wir haben fast einen Monat für unseren Marsch hierher gebraucht.“
Hasard nickte. Jetzt hielt er doch etwas den Atem an, denn diese Stadt in dreizehntausend Fuß Höhe inmitten einer einsamen Bergwelt war schlichtweg überwältigend. Sie erschlug einen. Die Städte, die er kannte, waren dagegen armselige Schatten. Das Wort „Potosi“ war gleichbedeutend mit Reichtum, Prunk und Luxus. So etwas hatte er noch nicht gesehen.
Ja, draußen vor der Stadt hatten ein paar armselige Hütten gestanden – als seien sie aussätzig. Hier jedoch herrschten die Steinbauten vor, versehen mit ornamentalen Fassaden, mit Nischen, Bögen, Simsen und Säulen, mit kunstvoll geschmiedeten Portalen, mit vorkragenden hölzernen Erkern und Balkons, deren Balkenwerk mit Schnitzereien von Meisterhand verziert war.
Hier mußten Kunstschmiede, Holzschnitzer und begabte Steinmetze am Werk gewesen sein. Ein Gebäude war prächtiger als das andere, ob es nun ein Bürgerhaus oder ein Kirchenbau war. Da war ein Haus aus rosa getöntem Gestein errichtet, ein anderes wiederum bestand aus geschliffenen Granitblöcken, die wie Zinn schimmerten. Für ein drittes Haus war grünlicher Marmor verwandt worden.
Dort öffnete sich ein zierliches Portal, eine schwarzhaarige Schönheit tippelte die Marmorstufen hinunter, schaute nach rechts und links, streifte die beiden Männer mit einem hochfahrenden Blick, rümpfte das gepuderte Näschen, schwenkte die Hüften und schritt stadtwärts. Alles an diesem Wesen schien zu glitzern – von den Diademen im Haar über die Ohrringe, die Halsketten, die Ringe an den Fingern, die Perlknöpfe an der Mantilla bis zu den Schuhen mit den silbernen Spangen.
Hasard starrte.
Pater Aloysius stieß ihn sanft an und räusperte sich.
„Nur eine Hure, Bruder Hasard“, sagte er. „Sie tragen Kleider aus Damast und Seide, golden und silbern bestickt. Die Gewebe stammen aus Granada, Flandern und Kalabrien, die Hüte aus Paris und London, die Diamanten aus Ceylon, die Edelsteine aus Indien, die Perlen aus Panama, die Strümpfe aus Neapel, die Parfüms aus Arabien. In den Häusern haben sie Teppiche aus Persien, Gläser aus Venedig und Porzellan aus China. Die Señores, denen sie diesen Aufwand zu verdanken haben, tragen die besten bestickten Tuche aus Holland, ihre Prunkdegen beziehen sie aus Toledo, Sattelwerk und Steigbügel ihrer Pferde sind aus reinstem Silber.“
„Mein Gott“, murmelte Hasard.
Pater Aloysius lächelte still.
„Was hattest du erwartet, Bruder?“ sagte er. „Dachtest du, hier Bettler zu sehen? Die gibt es nicht. Es gibt nur Reiche und Arme – die letzteren sind die Indios, vor allem jene, die im Berg schuften, damit sich jene Hure dort in Samt und Seide kleiden und mit dem Schmuck dieser Welt behängen kann. Sicher, bei den Reichen, wie ich sie nannte, sind Unterschiede anzumerken, aber die entsprechen mehr dem jeweiligen Stand. Unter ihnen sind Feldkapitäne und Soldaten, Mönche und Asketen, Abenteurer und Spieler, Huren wie jene und Edeldamen, Kaufleute und Beamte. Nur – sie hungern nicht, sie vegetieren nicht, sie arbeiten nicht bis zum körperlichen Zusammenbruch. Sicher auch gibt es hier das, was man als den Pöbel bezeichnet. Aber dann ist es der reichste Pöbel dieser Welt, weil er vom Tisch der Reichsten schmarotzt wie die Made im Speck. Das Silber aus dem Berg fließt durch Hunderte von offenen Händen,