Seewölfe Paket 23. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.Nebenraum der Kathedrale, wo er an einem Stehpult stand, einen Folianten vor sich, in den er mit einem Schreibkiel etwas eintrug.
Er war ein schwerer, kräftiger Mann mit einem starken Nacken, einem kantigen Gesicht und einem harten Kinn. Aber in seinen braunen Augen schimmerte Wärme. Und jetzt leuchteten sie auf, als er Pater Aloysius erkannte.
„Bruder Aloysius!“ rief er aus. „Was für eine Freude!“
Sie umarmten sich und klopften sich auf die Schultern. Dann deutete Pater Aloysius auf Hasard und sagte nur: „Ein Freund unserer Brüder im Tacna-Tal, wo er verhinderte, daß Pater Franciscus zu Tode gemartert wurde.“
Das Gesicht Pater Augustins wurde hart, und er trat einen Schritt zurück.
„Was sagst du da, Bruder?“ fragte er.
Pater Aloysius erwiderte: „Ein Trupp Soldaten aus Arica erschien im Tacna-Tal. Unsere Indios, meine Brüder und ich verschwanden in unseren Verstecken. Pater Franciscus trat ihnen entgegen. Ein Teniente erklärte ihn für verhaftet – die Gründe waren an den Haaren herbeigezogen. Es war eindeutig eine gezielte Aktion – höre gut zu, Bruder –, eine gezielte Aktion zur Beschaffung von Arbeitskräften für euren Berg. Sie scheuen sich nicht, sich jetzt auch an uns zu vergreifen, zumal wir ihnen ja als Freunde der Indios bekannt sind. Sie verwüsteten unsere Felder, zerschlugen unsere Werkstätten, Schuppen und Scheunen, demolierten unsere Unterkünfte und brachen in unsere Kapelle ein, wo sie uns vermuteten. Die Kapelle wurde geschändet. Weil sie uns nicht fanden, begannen sie, Pater Franciscus zu foltern, um von ihm zu erpressen, wo wir seien. Das war der Zeitpunkt, an dem unser Freund hier eingriff.“
Pater Augustin starrte Hasard an. „Sie allein, Fremder?“
Hasard schüttelte lächelnd den Kopf und sagte: „Ich tötete nur den Teniente in einem Duell mit Blankwaffen. Meine Männer nahmen sich die Soldatenhorde vor. Aus bestimmten Gründen durfte es keine Überlebenden geben. Wir haben später auch die drei Hängebrücken zwischen dem Tacna-Tal und Arica zerstört und dabei einen zweiten Trupp vernichtet, der ebenfalls nach Tacna unterwegs war, um Zwangsrekrutierungen durchzuführen. Verzeihen Sie, wenn ich mich nicht vorstelle. Es ist besser, Sie kennen meinen Namen nicht. Aber ich bin Kapitän und habe etwas dagegen, daß Menschen versklavt werden und sich ein Land das Recht herausnimmt, diesen Teil der Welt auszuplündern. Genügt das?“
„Ich verstehe.“ Der Pater blickte in die eisblauen Augen dieses schwarzhaarigen, bärtigen Riesen und dachte: Mein Gott, er kämpft – und wir beten nur.
In seine Gedanken hinein sagte Hasard: „Noch etwas sollen Sie erfahren, Pater Augustin. Ein gewisser Luis Carrero befindet sich als Gefangener an Bord meines Schiffes. Wir erwischten ihn, als er an der peruanischen Küste Indios rekrutierte – auf die übliche üble Art. Insofern bin ich orientiert über das, was sich hier abspielt.“ Hasard lächelte sanft in das verblüffte Gesicht des Paters. „Vielleicht hat mich Bruder Aloysius aus gewissen und verschiedenen Gründen in diese Stadt geführt.“
„Sie – Sie haben dieses Schwein von Oberaufseher in Ihrer Gewalt?“ fragte der Pater, und es war ihm anzumerken, daß er dem Herrn im Himmel ein herzliches Dankeschön für die frohe Botschaft zusandte.
Hasard nickte und erwiderte grimmig: „Was wir mit ihm anstellen werden, weiß ich noch nicht. Aber eins kann ich Ihnen versichern: nach Potosi wird er nicht zurückkehren.“
„Das ist eine gute Nachricht“, sagte Pater Augustin, „und sie wiegt das Betrübliche auf, das Bruder Aloysius berichtete.“ Er runzelte die breite Stirn, die von tiefen Falten gekerbt war. „Jetzt wird vieles verständlich. Ja, wir wissen, daß der Provinzgouverneur neue Rekrutierungsmaßnahmen getroffen hat. In der ganzen Stadt wird davon gesprochen. Der Silberabbau hat sich rapide vermindert – weil es an Arbeitskräften mangelt. Wir haben Don Ramón empfohlen, die Indios menschlicher zu behandeln und dafür zu sorgen, daß sie nicht wie bisher durch Unterernährung, barbarische Züchtigungen, Krankheiten oder maßlos überhöhte Sollerfüllungen wegsterben.“
„Und?“ fragte Pater Aloysius knapp.
„Wir stießen auf taube Ohren“, sagte Pater Augustin erbittert. „Ja, er reagierte geradezu entrüstet, als hätten wir ihn persönlich beleidigt.“ Er kniff die Augen zusammen. „Jetzt bekommt alles Gewicht: er drohte uns! Wir sollten uns nicht um Dinge kümmern, die uns nichts angingen. Sonst sähe er sich gezwungen, andere Saiten aufzuziehen und dafür zu sorgen, uns einer nützlichen Beschäftigung zuzuführen.“
„Klar“, sagte Pater Aloysius fast grob, „im Silberberg, wo denn sonst? Habt ihr das nicht kapiert?“
„Nein.“ Das klang gepreßt. „Wir haben nie für möglich gehalten, daß er soweit gehen würde.“ Und fast trotzig fügte Pater Augustin hinzu: „Alle Macht geht vom König aus, aber auch die Kirche ist eine Macht.“
„Ah ja“, sagte Pater Aloysius höhnisch. „Und wo ist sie, diese Macht unserer Kirche? Ich finde sie nirgends. Kannst du sie mir mal zeigen, Bruder? Aber die Macht des Königs sorgte dafür, daß der Altar unserer Kapelle im Tacna-Tal zerstört wurde. Das Kruzifix wurde zertrümmert. Ohne das Eingreifen unseres Freundes hätten wir einen neuen Märtyrer gehabt – Pater Franciscus. Er hätte sich eher die Zunge abgebissen, als zu verraten, wo wir uns versteckt hatten.“
„Du bist erregt, Bruder“, sagte Pater Augustin.
„Erregt?“ schnappte Pater Aloysius. „Zornig bin ich, weil diese Teufel tun, was ihnen paßt, und niemand stellt sich ihnen entgegen. Du sagtest eben selbst, er habe euch gedroht, dieser Fettwanst, der sich Gouverneur nennt. Habt ihr diese Drohungen zurückgewiesen? Habt ihr ihn mit dem Kirchenbann belegt? Darf er diese Kirche noch betreten? Habt ihr seine Drohungen von der Kanzel herab angeprangert?“
„Du weißt, daß nur der Bischof in Lima solche Strafen verhängen kann, Bruder“, sagte Pater Augustin verbissen. „Und Lima ist weit.“
„Es wird noch weiter von euch weg sein“, sagte Pater Aloysius, „wenn auch ihr im Berg gelandet seid, um ‚einer nützlichen Beschäftigung‘ nachzugehen.“
Hasard räusperte sich, und er sagte zu Pater Aloysius: „Vorwürfe führen jetzt zu nichts, Bruder. Du verlangst eine kämpferische Kirche, was im Widerspruch zu ihrem Auftrag steht, überall Frieden zu verkünden. Wir wollen das hier nicht erörtern. Mich interessiert etwas anderes.“ Er blickte zu Pater Augustin. „Hat Don Ramón, der Provinzgouverneur, hier in Potosi irgendwelche Feinde, die nur darauf lauern, ihn ausbooten zu können, um selbst Machtpositionen zu besetzen?“
Pater Augustin schüttelte den Kopf. „Er sitzt fest im Sattel. Es gibt niemanden, der ihn aus seinem Amt als Provinzgouverneur verdrängen könnte. Nur der König beziehungsweise der Vizekönig in Lima ernennt ihn oder setzt ihn ab. Es ist ein Amt von des Königs Gnaden.“
„Das ist mir schon klar“, sagte Hasard. „Ich dachte nur bei meiner Frage an etwas anderes.“
„Und das wäre?“ fragte Pater Augustin.
Hasard sagte geradeheraus: „Was geschieht zum Beispiel, wenn jemand den Provinzgouverneur ausschaltet, indem er ihn als Geisel gefangensetzt? Gilt dann seine Befehlsgewalt immer noch, oder geht sie möglicherweise auf einen Vertreter über, der auf sein Leben keine Rücksicht zu nehmen braucht und daher auch seine Befehle ignorieren kann?“
Pater Augustin starrte Hasard an, als habe der den Verstand verloren. Pater Aloysius indessen hatte bereits begriffen und begann breit zu grinsen.
In den letzten Wochen hatte er mit diesem Kanonensohn und seinen harten Kerlen ja schon allerlei erlebt. Die kamen zur Sache, ohne lange zu fackeln. Was der schwarzhaarige Riese mit den eisblauen Augen jetzt jedoch plante, das war an Verwegenheit kaum zu überbieten – und müßte Erfolg haben, vorausgesetzt, die Señores der Exekutive wie Stadtkommandant, Offiziere, Polizeipräfekt oder Bürgermeister zitterten um das Leben des ehrenwerten Don Ramón und unternahmen nichts, um es zu gefährden.
Weil der Bruder Aloysius so infam grinste, begann es bei Pater Augustin zu dämmern. Heilige Mutter Gottes! Sollte es dieser bärtige Riese mit