Seewölfe Paket 23. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.hatte man ihm auf der Fechtschule in Toledo gesagt, das Gebrüll wirke auf den Gegner demoralisierend, und er bekäme das große Zittern.
Im Falle dieses Gegners traf das nicht zu. Was indessen zitterte, war dessen Entermesser, das schwirrende, silbrige Reflexe durch die Luft zeichnete. Und dann war da plötzlich dieser tiefe Schmerz in der Brust. Die Sonne gleißte auf einer Klinge. Sie blendete, und der Teniente schloß die Augen vor dem grellen Licht. Der Schmerz wurde scharf, riß ab, und es wurde dunkel.
Der Teniente sank zu Boden. Den Himmel über sich sah er nicht mehr. Wenn er eine Seele gehabt hatte, dann wanderte sie jetzt auf dem schmalen Grat dorthin, wo sich die Guten und die Bösen trennten. Die einen gingen ins Helle, die anderen versanken im Dunkel. Die Helligkeit war nicht für den Teniente geschaffen.
Hasard starrte schweigend auf ihn hinunter. Er hatte den Kopf gesenkt und dachte an den Indio, den die Reitgerte zweimal an derselben Stelle getroffen hatte, an den Indio, der gedemütigt und verhöhnt worden war, an den Indio, über dessen blutigen Rücken der Teniente meckernd gelacht hatte. Und er dachte an die Indios im Berg, an die Geschundenen und Gemordeten.
Der Wind strich wehklagend durch die Schlucht.
Hasard hob den Kopf, verstaute sein Entermesser, beugte sich zu dem Teniente, drehte ihn etwas und packte ihn am Genick. Carberry wollte ihm helfen, aber Hasard winkte ab.
„Das ist meine Sache, Ed“, sagte er leise. „Klart hier inzwischen auf. Nichts darf darauf hindeuten, was in der Schlucht passiert ist.“
„Aye, Sir“, murmelte der Profos.
Hasard schleppte den Teniente in die Nebenschlucht, legte ihn in eine Felsspalte, sammelte Steine und häufte sie über den Toten. Dann trat er noch einmal an den Steilhang und schaute zu dem Tümpel hinunter. Von der Sänfte war nichts zu sehen.
Die Männer waren abmarschbereit, als er zurückkehrte.
„Was – was geschieht jetzt?“ fragte der Dicke ängstlich.
„Wir marschieren zu unserem Standquartier, das wir im Cerro Rico aufgeschlagen haben“, erwiderte Hasard kühl.
„Ich auch?“ fragte der Dicke entsetzt.
„Natürlich. Oder bilden Sie sich ein, wir tragen Sie?“
„Ich – ich kann nicht laufen“, jammerte der Dicke. „Ich bin gehbehindert. Der Arzt hat mir Schonung verordnet. Ich habe ein schwaches Herz und leide unter Kurzatmigkeit.“
„Was meinen Sie wohl, was mich das interessiert“, sagte Hasard eisig. „Es interessiert mich so wenig, wie es Sie interessiert, ob die Indios in Ihrem verfluchten Berg qualvoll krepieren. Ein Schlächter und Schinder wie Sie hat kein Mitleid verdient, ganz abgesehen davon, daß Sie nur simulieren, weil Sie zu faul sind, ein paar Schritte zu laufen.“ Hasard schaute zum Profos. „Ist die Reitgerte noch da, Ed?“
„Hier, Sir!“ Carberry zog die Gerte mit dem schönen silbernen Griffstück aus dem Leibgurt und ließ sie genußvoll durch die Luft pfeifen, so daß der Dicke zusammenzuckte.
„Wenn er nicht laufen will“, sagte Hasard langsam und deutlich, „dann habe ich nichts dagegen, daß er einmal selbst spürt, wie es ist, wenn die Gerte über seinen Rücken tanzt. Was den Indios recht zu sein hatte, sollte ihm billig sein.“
„Das – das ist barbarisch!“ sagte der Dicke ächzend.
„Da stimme ich Ihnen zu, Señor“, sagte Hasard. „Und ich beglückwünsche Sie zu dieser Erkenntnis, auch wenn sie reichlich spät erfolgt und offenbar für die Indios keine Gültigkeit hatte. Vorwärts, Männer!“
Für Don Ramón de Cubillo wurde der Marsch zu einem Alptraum. Die Soldaten verhielten sich fügsam. Sollten sie tatsächlich „harte Burschen“ sein, wie Pater Augustin gesagt hatte, dann war ihnen wohl inzwischen klargeworden, daß diese zehn Männer noch härter waren – gewissermaßen aus Eisen.
4.
Es dunkelte bereits, als sie zu ihrem Standquartier auf der Südseite des Silberberges zurückkehrten. Wieder war ihnen niemand begegnet. Die Einsamkeit und Verlassenheit der Bergwelt außerhalb von Potosi waren total.
Die vier Soldaten – weiterhin gefesselt – wurden in einem Nebenstollen untergebracht. Sie waren gründlich durchsucht worden. Sogar ihre Stiefel hatten sie ausziehen müssen – mit Erfolg, denn in den Stulpen hatten Messer gesteckt.
Pater David meldete keine Vorkommnisse, was die Abgeschiedenheit der Südseite des Berges bestätigte.
Die Gefangenen erhielten zu essen und zu trinken.
Dann nahm sich Hasard den dicken Gouverneur vor, diese wabbelige Masse Fett in einem verweichlichten, von Ausschweifungen und Wohlleben geschwächten Körper. Tatsächlich wirkte dieser Mann jetzt wie eine glitschige Qualle, die eine Welle auf den Strand getragen hat, von wo sie sich aus eigener Kraft nicht mehr fortbewegen kann.
Er war fertig, der Señor Gouverneur, der offenbar zum ersten Male in seinem Leben mehr als zehn Meilen auf seinen Watschelfüßen zurückgelegt hatte. Er ächzte, stöhnte und winselte.
Als, Carberry ihm mit einem freundlichen Grinsen die Reitgerte zeigte, verstummte er und schluckte nur noch.
Hasard fragte: „Wann werden Sie in Potosi zurückerwartet, Cubillo?“
„Morgen“, erwiderte der Dicke weinerlich und schielte zu der Reitgerte. „Denn da habe ich eine Ratsversammlung anberaumt.“
„Ah, eine Ratsversammlung!“ Hasard strich sich nachdenklich über das bärtige Gesicht. „Was soll denn da beraten werden?“
Der Dicke preßte das Froschmaul zusammen. Dann wurde er trotzig und sagte böse: „Das geht Sie gar nichts an!“
Hasard zog die Augenbrauen hoch. „Vorsichtig, Freundchen. Hier bestimme ich, was mich etwas angeht. Falls Sie das noch nicht begriffen haben, können wir dem sehr schnell abhelfen.“ Er nickte Carberry zu.
Carberry übergab die Reitgerte Matt Davies, zog ein Messer und wetzte es über einem Stein.
Er sagte: „Sir, ich schlage vor, ich tätowiere ihm ein Symbol auf den dicken Arsch. Was hältst du davon?“
„Hm, gar nicht schlecht. An was für ein Symbol hattest du gedacht?“
Carberry wetzte mit Eifer. „An ein Herz, Sir – äh –, auf die linke Backe ein Herz und auf die rechte Backe eine Blume. Oder soll ich auf beide Backen einen Totenkopf tätowieren? Das ist auch ein schönes Motiv und sehr beliebt.“ Er prüfte die Schärfe der Klinge und nickte zufrieden.
„Ich bin für den Totenkopf“, sagte Hasard entschieden.
„Nein …“, flüsterte der Dicke und hatte wieder das Spinatgesicht.
„Also? Über was soll beraten werden?“ fragte Hasard.
„Über – über Maßnahmen, wie dem Mangel an Arbeitskräften für den Silberabbau abgeholfen werden kann“, sagte der Dicke mit schwacher Stimme.
„Soso! Und wie soll dem Mangel abgeholfen werden? Sie haben doch sicherlich schon eine Idee, nicht wahr?“
Der Dicke druckste herum. Als Carberry mit dem Messer hantierte, sagte er hastig: „Ich – ich habe geplant, in Potosi Zwangsrekrutierungen vornehmen zu lassen.“
„Wer sollte rekrutiert werden?“ fragte Hasard hart.
„Ah – Soldaten, Handwerker, niedere Bürger, Stadtstreicher und so weiter.“
„Und Padres, nicht wahr?“ Das fragte Pater Aloysius mit scharfer Stimme.
Der Dicke zuckte zusammen und jammerte: „Was soll ich denn tun? Wenn der Silberabbau zum Erliegen kommt, bin ich geliefert. Man wird mich vor ein königliches Gericht zerren und Rechenschaft verlangen.“
„Vor ein Gericht