Seewölfe Paket 13. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.unter sie und gelangten auf diese Weise ungehindert und offenbar auch völlig unbeobachtet zum Heck der Galeone.
Kein Namenszug stand auf dem Heckspiegel des großen Dreimasters, genau wie bei der „Isabella“ des Philip Hasard Killigrew. Henry, der vor Selim als erster am Ruderblatt aufenterte, glaubte auch zu erkennen, wo die Lecks, die sie dem Feind im Gefecht beigebracht hatten, repariert worden waren.
Nur die Achterlaterne der Galeone brannte, in der Kapitänskammer herrschte Dunkelheit. Diese Tatsache verstärkte die Annahme der Freibeuter, der größte Teil der Mannschaft könne sich an Land befinden, höchstwahrscheinlich, um sich in den Spelunken und Bordellen des Hafenviertels von Paphos auszutoben. Stimmen waren nirgends an Bord zu vernehmen, es herrschte Totenstille.
Henry kletterte über die Balustrade der Heckgalerie und näherte sich der Tür, die von außen in die Kapitänskammer führte. Er fand sie unverschlossen vor. Sehr unvorsichtig, dachte er, Killigrew, du bist dieses Mal zu übermütig.
Selim schloß sich ihm an, als er die Tür öffnete und in den dahinterliegenden Raum schlüpfte. Scoby und Dark Joe krochen eben über die hölzerne Brü-stung, dann stiegen auch Dobran und Firuz auf die Galerie.
Vorsichtig tasteten sich Henry und Selim durch die Kammer des Kapitäns voran. Sie forschten nach der Tür, die zum Achterdecksgang führte. Von dort aus würde es ihnen ein leichtes sein, aufs Hauptdeck zu gelangen und das gesamte Schiff zu besetzen und zu vereinnahmen. Besser konnte es nicht kommen, größer konnte Lord Henrys und Selims Triumph über die verhaßten Korsaren nicht sein.
Tim Scoby und Dark Joe befanden sich jetzt auch in der Kammer. Henry hatte soeben die gesuchte Tür entdeckt – da flammte Licht auf. Sie fuhren herum und griffen zu ihren Waffen.
Zu spät! In der Raumecke der Backbordseite standen drei Männer, und jeder hielt zwei Pistolen auf die Eindringlinge gerichtet. In ohnmächtiger Wut erkannte Henry, daß er in eine Falle getappt war.
Die Fremden hatten das Licht derart rasch zu entzünden vermocht, weil sie sich eines Tricks bedient hatten, der ebenso simpel wie wirkungsvoll war: Über eine bereits brennende Öllampe hatten sie für kurze Zeit einen Holzkübel gestülpt, dessen glatter Rand sauber und fugenlos mit den Planken abschloß. Die Luft im Kübel reichte lange genug aus, um die kleine Flamme der Lampe nicht zum Erlöschen zu bringen. So hatte der eine Mann, der jetzt mit zwei Miqueletschloß-Pistolen auf Scoby und Dark Joe zielte, nur schnell den Kübel anzulüften brauchen, um für die gewünschte Helligkeit zu sorgen.
Der Anführer des Trios und Kapitän des Schiffes indes schien der größte der drei zu sein, der durch eine zwar phantasievolle, in vielen Details aber der Uniform französischer Kapitäne ähnelnde Kleidung hervorstach.
Dieser Mann hatte dichte schwarze Haare und ein glattes, sonnengebräuntes Gesicht. Der Blick seiner dunklen Augen strafte eine gewisse Weichheit in seinen Zügen Lügen: Er war ein durch und durch harter Mann, couragiert und entschlossen, zu keinem Kompromiß bereit.
Oder?
„Verdammt und zugenäht!“ keuchte Dark Joe entsetzt. „Wir haben uns doch getäuscht. Es ist nicht das Schiff des Seewolfs.“
Der große, gutaussehende Mann in der Phantasieuniform trat hinter ihn und stieß ihn zu Tim Scoby, der schon fast Henry erreicht hatte. Dann drückte er die Tür zu und verriegelte sie.
Draußen hieben Dobran, Firuz und die anderen nachdrängenden Männer mit ihren Fäusten gegen das Holz der Tür.
„He!“ sagte Codfish laut. „Was soll denn das, Henry? Ist das ein fauler Scherz, oder was ist los?“
„Engländer?“ fragte der Kapitän der Galeone auf französisch. „Leider spreche ich Ihre Sprache nicht, Messieurs.“ Er entfernte sich wieder aus der Nähe der Tür für den Fall, daß einer der Draußenstehenden auf die Idee verfiel, einen Schuß auf den Riegel abzufeuern. Er blickte zu Lord Henry. „Verstehen Sie mich, mon ami? Nein?“
„Nein“, antwortete Henry und fuhr auf spanisch fort: „Aber vielleicht können wir uns auf spanisch unterhalten.“
„Unterhalten?“ fragte der Franzose in reinem Kastilisch. „Bueno, sehr gut. Ich hoffe, wir können das kleine Mißverständnis beseitigen und eventuelle Auseinandersetzungen verhindern.“ Seine Augen wurden plötzlich schmal. „Sie haben uns überfallen und wollten uns ausplündern, aber zum Glück hatten wir von Anfang an, seit Ihrem Auftauchen, ein waches Auge auf Sie. Vorsichtshalber verhielten wir uns ruhig und …“
„Hören Sie, Capitán“, fiel Henry ihm ins Wort. „Unser Unternehmen galt gar nicht Ihnen.“
Kalt sagte der Franzose: „Das hat mir schon mal jemand gesagt, der von meinem Schiff fasziniert war und es sich unter den Nagel reißen wollte. Heimlich stieg er an Bord, aber jetzt lebt er leider nicht mehr.“
„Henry, Tim, Joe!“ rief Codfish auf der Galerie. „Wir brechen jetzt die Tür auf!“
Der Franzose sah immer noch Lord Henry an. „Was immer der Mann dort draußen plant, überzeugen Sie ihn davon, daß es sinnlos ist. Überzeugen Sie ihn schnell, denn wenn er noch länger so herumschreit, ist es mit meiner Geduld gleich vorbei.“
„Codfish“, sagte Henry. „Verhaltet euch ruhig. Unternehmt nichts.“
„Was ist passiert?“
„Wir haben eben Bekanntschaft mit der Schiffsführung geschlossen“, sagte Henry nicht ohne Galgenhumor. „Aber es könnte sein, daß wir uns einigen.“
„Herrgott, Henry …“
„Bleibt da draußen stehen, und rührt euch nicht vom Fleck, verdammt noch mal!“ rief Henry.
Der Franzose hob seine rechte Pistole – ein kostbares Radschloßmodell – noch ein wenig höher und zielte jetzt auf Henrys Stirn. „Wenn das ein fauler Trick ist, um uns reinzulegen, gibt es Zunder. Leider verstehe ich kein Wort Englisch, wie ich schon sagte. Und ich würde es auch bedauern, wenn es hier, im Hafen von Paphos, tatsächlich eine Schießerei geben sollte. Ich habe nämlich noch das eine oder andere in diesem gastlichen Städtchen vor, aber das kann ich nur in die Tat umsetzen, wenn ich mich ganz ruhig und gesittet verhalte.“ Plötzlich wurde der Ton seiner Stimme wieder frostig. „Falls einer von euch aber Widerstand leistet, zögere ich nicht, euch der Reihe nach umzulegen.“
Lord Henry räusperte sich. Es war eine höchst unangenehme Sache, auf so kurze Distanz direkt in die Mündung einer Pistole blicken zu müssen.
„Señor Capitán“, sagte er. „Ich meine es ehrlich. Soeben habe ich meinen Männern den Befehl gegeben, sich still zu verhalten. Sie können eine Stunde warten, daß etwas geschieht – sie werden sich nicht bewegen.“
Der Franzose warf einen Blick durch die Bleiglasfenster ins Freie. Hätte Codfish ihn durch einen Schuß erledigen wollen, so wäre dies jetzt die beste Gelegenheit gewesen, denn er stand genau auf der anderen Seite und sah den großen, dunkelhaarigen Mann in aller Deutlichkeit vor sich.
Mit einem kleinen Ruck wandte sich der Franzose wieder zu Henry um. „Es scheint zu stimmen, was Sie sagen, denn sonst wäre ich jetzt vielleicht schon ein toter Mann.“
„Mut haben Sie, das muß man Ihnen lassen.“
„Was wollten Sie also hier, auf der ‚Sans Pareil‘?“ fragte der Franzose. Er schien sich durch Henrys Bemerkung nicht im geringsten geschmeichelt zu fühlen.
„Wir suchen Philip Hasard Killigrew, den Seewolf“, erklärte Henry. „Wir sind seit den Kapverdischen Inseln hinter ihm her und haben ihn quer durchs Mittelmeer verfolgt, von den Balearen über die Toskana und Kampanien bis nach Rhodos. Gestern haben wir seine Spur endlich wiedergefunden, aber dann ist er uns wieder entwischt, und so suchen wir ihn jetzt auf Zypern.“
Der Franzose stieß einen überraschten Pfiff aus. „Den Seewolf? Ja, ist denn das die Möglichkeit? Ausgerechnet in dieser Ecke der Welt soll er herumspuken? Nun, ich habe schon von seiner ‚Isabella‘ gehört – und von all den tolldreisten Raids, die er durchgeführt