Tatort Bodensee. Eva-Maria Bast

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Tatort Bodensee - Eva-Maria Bast


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Und damit huschte sie von dannen.

      »Na, da schau an!« Horst nickte anerkennend. »Das erste Positive, das ich heute erlebe! Das nenne ich Service!« Er ergriff sein Glas und hielt es prüfend vor die Augen. »Schöne Farbe!«

      »Also dann, auf unser Wohl! Prost!« Protnik konnte es wieder mal kaum erwarten.

      Claudia hatte gerade das Glas genießerisch an die Nase gehalten. »Und der Duft! Also, das muss man den Italienern lassen, dieses Aroma da …«

      Horst schwor noch Wochen später, dass er die nun folgende urplötzliche Veränderung in Claudias Miene und die darauf folgenden, sich überstürzenden Ereignisse sein Leben lang nicht mehr vergessen würde!

      Wie ein Blitz huschte da mit einem Mal ein Schatten über das Gesicht von Claudia und mit von Panik ergriffenem Blick huschten ihre Augen von einem zum anderen. Ein Aufschrei: »Protnik!«, ein splitterndes Geräusch, als sie ihr Glas fallen ließ, eine kurze heftige Bewegung ihres linken Armes und schon flog Protniks Glas in hohem Bogen durch die Luft! Es zerschellte knappe zwei Meter von ihnen entfernt auf der Promenade in tausend Scherben, während sein Inhalt sich über den Boden verteilte und dort allmählich versickerte. Claudia hatte Protnik das Glas gerade in dem Moment aus der Hand geschlagen, als er es an seine Lippen gesetzt hatte.

      Doch es blieb keine Zeit, sich über Claudias seltsames Benehmen zu wundern. Ein neuerlicher Aufschrei: »Horst!« Er bemerkte die Panik, die sie ergriffen hatte. »Horst! Stell das Glas hin!« Noch immer ratlos blickte er sie an. »Du sollst das Glas hinstellen!« Ihre Stimme schien sich zu überschlagen! Langsam stellte er das Glas auf dem Tisch vor sich ab, während die Gäste um sie herum ängstlich herüberschauten. War die Frau da am Nebentisch denn urplötzlich verrückt geworden? Was um alles in der Welt spielte sich da vor ihnen ab? War es etwa gefährlich?

      Doch Horst blieb keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Gerade als er den Blick von seinem Glas hob, um Claudia in die Augen zu schauen, bemerkte er hinter ihr eine Bewegung aus Richtung der Eisdiele. Nur Se­kun­den­bruch­teile lang trafen sich ihre Augen, aber beide hatten sofort verstanden! Ja, das war er! Horst traf die Erkenntnis wie ein Schlag direkt auf das Brustbein! Er war es, daran gab es keinen Zweifel! Wie von der Tarantel gestochen sprang er auf, sodass der Plastikstuhl, auf dem er gesessen hatte, wie von einer Windböe weggeblasen, nach hinten umkippte. Hysterisches Kreischen drang an sein Ohr, doch er nahm nur am Rande wahr, dass die ersten Gäste nun angesichts des Wirrwarrs aus zer­split­tern­den Gläsern, lauten Rufen und umkippenden Stühlen anscheinend einen Anschlag, ein Attentat oder sonst etwas Schlimmes vermuteten, was ihre überreizten Gehirne jeden Tag in den Fernsehnachrichten aus allen Teilen der Welt vorgesetzt bekamen. Horst stieß bei seinem Spurt in Richtung Eisdiele mit dem Mädchen zusammen, das sie gerade eben noch bedient hatte. Sie fiel zu Boden, doch er hatte keine Zeit, sich um sie zu kümmern. Er musste das Gesicht verfolgen, das er dort drinnen gerade kurz gesehen hatte!

      Aber wo war der Kerl? Als sich Horsts Augen an die Dunkelheit der Eisdiele gewöhnt hatten, sah er sich blinzelnd und voller Hektik um. Da war niemand, bis auf den verschüchterten Barkeeper, der sich hinter dem Tresen in Sicherheit gebracht hatte. Dort! Dort war die einzige Tür in dem kleinen Raum, dort hinaus musste er geflohen sein. Horst riss die Tür auf, die in einen langen schmalen Gang führte. Am anderen Ende sah er gerade noch eine Gestalt durch den Hauseingang verschwinden. Das musste er sein! Ihm nach! In der Hektik rammte er sich den Türgriff in den Bauch, Schmerz durchzuckte ihn, doch er konnte ihm jetzt nicht nachgeben, wenn er noch eine Chance haben wollte, den anderen einzuholen. Er stieß einen derben Fluch aus und preschte durch den Flur.

      In diesem Moment heulte ein Motor auf und ein deutlich angerosteter weißer Golf GTI schoss mit quietschenden Reifen an Horst vorbei. Das war er! Mist! Zu spät! Den würde er nicht mehr einholen! Das Auto der Meyers war weit weg auf dem Parkplatz in der Oberstadt abgestellt! Mist, verdammter! Fast hätte er den Mann erwischt, von dem er fünf Minuten vorher noch erzählt hatte, dass er dessen Gesicht nie mehr vergessen würde: das Gesicht des Amokfahrers von der Heiligenberger Steige!!!

      Deprimiert machte Horst kehrt und trottete durch den Gang zurück zur Eisdiele. Dabei warf er einen prüfenden Blick auf den verlegen hinter seinem Tresen kauernden Barkeeper, der mit vorgeblich gespannter Aufmerksamkeit die Szene draußen an der Promenade verfolgte. Als Horst vor dem kleinen dunkelhaarigen Italiener verharrte, drehte der sich langsam in Richtung des Kommissars, hatte die Augen jedoch fest auf den Boden geheftet. Langsam schaute er auf und zuckte dann entschuldigend mit den Schultern. Der würde keine Silbe verlauten lassen, der würde von nichts auch nur die Spur einer Ahnung haben, dessen war sich Horst sicher. Jede wie auch immer geartete Befragung war also vergebliche Liebesmüh! Warum dann mit so etwas seine Zeit verschwenden?! Er atmete tief durch und kehrte anschließend zu den beiden anderen auf die Promenade zurück.

      Dort hatte sich das Aufsehen in der Zwischenzeit etwas gelegt – die Gäste an den Nachbartischen hatten die Köpfe zusammengesteckt und tuschelten leise miteinander, wobei ab und an vielsagende Blicke in Richtung Protnik und Claudia geworfen wurden. Blass wie die Wand, aber ohne ein Wort zu sagen, kehrte die Kellnerin inzwischen auf dem Boden die Scherben der Gläser zusammen.

      Horst ließ sich aufstöhnend auf seinen inzwischen wieder aufgestellten Plastikstuhl fallen. »Keine Chance! Der ist wie eine Rakete abgedüst! Da war nix zu machen!« Ärgerlich schüttelte er den Kopf, während ihm Claudia forschend ins Gesicht blickte.

      »Wen meinst du denn eigentlich? Wen oder was hast du denn da gesehen?«

      »Das war der Kerl, der uns gestern auf der Steige mit seinem Lieferwagen von der Straße drängen wollte. Da bin ich mir ganz sicher – hundertprozentig!«, schob er nach, um seine Aussage noch zusätzlich zu betonen. »Der muss es einfach gewesen sein. Denn kaum dass er bemerkt hat, dass ich ihn gesehen habe, ist der wie von der Tarantel gestochen auf und davon gespurtet! Da kann’s überhaupt keinen Irrtum geben!« Noch mal schüttelte er heftig den Kopf.

      »Da wird ja der Hund in der Pfanne verrückt!« Protnik schien die Fassung zu verlieren. »So langsam glaube ich, wir sind hier eine Bananenrepublik! Das ist also bereits der dritte Anschlag auf uns – innerhalb von«, er stierte hektisch auf das Zifferblatt seiner Armbanduhr, »von grade mal 29 Stunden! Unglaublich!«

      »Der dritte …« Horst atmete tief durch und ließ ein paar Sekunden verstreichen, um die in ihm aufsteigende Panik herunterzuschlucken. Dann fixierte er Claudia durchdringend. »Heißt das also … war das da …«, er deutete mit dem Zeigefinger auf sein Glas – das einzige, das die letzten fünf Minuten überstanden hatte, »ist da also irgendetwas Gefährliches drin?«

      Claudia nickte langsam und bedeutungsvoll. »Exakt! Und wie! Ich muss sagen, im ersten Moment war ich mir selbst nicht sicher! Aber im Studium haben wir ja auch während unserer Chemie-Schnellbleiche über Gifte geredet und das eine oder andere auch unter die Lupe genommen oder vielmehr an die Nase gehalten.« Sie machte eine kleine Pause, bevor sie weitersprach. »Ja, und nach dem, was in den letzten Tagen alles an unglaublichen Dingen passiert ist, war ich dann doch irgendwie sensibilisiert. Ich glaube nicht, dass ich rechtzeitig was gemerkt hätte, wenn ich eure Geschichte nicht vorher gekannt hätte!« Wieder hielt sie inne.

      Horst wurde ungeduldig, er spürte, wie seine Nerven allmählich zu vibrieren begannen. Nein, er wollte es jetzt schnell hinter sich bringen und dann von diesem Albtraum am liebsten nichts mehr wissen, nur noch fort, ganz weit fort, ganz weit weg. Aber erst einmal brauchte er die Gewissheit. »Also Gift? Ja? Komm, sag schon!« Damit beugte er sich nach vorne und trommelte herausfordernd mit den Fingern auf die Tischplatte.

      »Eindeutig Gift! Hundertprozentig! Das ist auch so ein Zufall, dass ich das wieder aus dem Gedächtnis habe hochziehen können. Unser Chemieprofessor nämlich, der war ein echter Giftzahn! Dem hat es ein tierisches Vergnügen bereitet, uns als angehende Ärzte auf Möglichkeiten hinzuweisen, wie man einem Menschen schnell und perfekt mit Hilfe der Chemie den Garaus machen kann! Und so sind wir auch auf das Thema Zyankali gekommen!«

      »Zyankali!« Horst spürte, wie sein Herzschlag ein, zwei Sekunden lang aussetzte! Eine heiße Woge schoss durch seinen Körper. »Aber das ist ja unglaublich!«


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