Tatort Bodensee. Eva-Maria Bast

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Tatort Bodensee - Eva-Maria Bast


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wäre in der Tat alles aus. Es sei denn, der Geschäftsführer fasst sich doch noch ein Herz und meldet sich. Aber wie gesagt, was soll der letztendlich beweisen können …« Steiner richtete sich auf und gab Horst einen neuerlichen kumpelhaften Klaps auf den Rücken. »Aber wir geben die Hoffnung nicht auf, nicht wahr, Meyer? Und jetzt erst mal ans Heilbronner Routinegeschäft, Herr Hauptkommissar!« Mit einer Handbewegung deutete er an, dass, für den Augenblick wenigstens, die Sache vom Bodensee zu Ende erörtert war.

      Grübelnd und etwas geknickt schlurfte Horst an seinen Schreibtisch bei der Mordkommission zurück. Dort stapelten sich die Notizen, Aktenordner und Formulare zu einem furchterregend hohen Berg. Und da sollte er sich jetzt durchwühlen und die Vorgänge von Konstanz, Überlingen und Meersburg so einfach vergessen? Müde schüttelte er den Kopf und setzte sich auf seinen Drehstuhl. Er legte die Ellbogen auf eine freie Stelle des Schreibtischs und stützte sein Kinn darauf. Aber wo anfangen, wo war bloß die zündende Idee? Vielleicht hatte ja Protnik mittlerweile eine Vorstellung, wie es weitergehen konnte! Er griff zum Telefonhörer, als sein Blick auf einen auffällig gekennzeichneten Briefumschlag fiel. Vor allem die Briefmarken erweckten sein Interesse, denn solche Marken kannte er aus Deutschland nicht. Er legte den Telefonhörer langsam zurück und nahm prüfend den Brief in die Hand. Tatsächlich, es handelte sich um englische Marken. Aber wer sollte ihm schon aus England schreiben? Sicher irgendetwas Werbemäßiges, die Welt war ja längst zum Dorf zu­sam­men­geschrumpf und Werbesendungen wurden inzwischen sogar irgendwo in der entlegensten Bambushütte am Ende der Welt eingetütet und losgeschickt.

      Aber nein, in diesem Fall konnte es sich kaum um solch eine Werbebotschaft handeln. Sein Name war immerhin handschriftlich mit Kugelschreiber auf den Umschlag geschrieben worden, Kommissar Horst Meier (aha, wieder mal ein sorgloses Wesen, das halt in der Eile das »i« mit dem »y« verwechselt hatte). Neugierig geworden riss er mit dem Zeigefinger den Umschlag auf und fingerte ein zusammengefaltetes handgeschriebenes Blatt hervor. Kaum hatte er die ersten Zeilen gelesen, setzte er sich kerzengerade auf. Das war ja unglaublich, was in dem schwer zu entziffernden, mit ungelenker Handschrift verfassten Schreiben stand!

      So rasch es ging, überflog er den Text, um den Brief am Ende ein zweites Mal zu lesen. Anschließend ließ er das Blatt sinken, schloss die Augen und holte tief Luft. War das die Wende in dem Fall, die er für völlig undenkbar gehalten hatte? Lag da vor ihm auf dem Schreibtisch nun der Beweis für Hefters Schuld? War das der Strick, mit dem er den Kiesbaron nun doch noch fesseln konnte? Fast zu schön, um wahr zu sein! Horst griff ein zweites Mal an diesem Vormittag zum Telefon. Langsam drückte er die Tasten zu Protniks Telefonnummer. Nach dem zweiten Läuten hob sein Kollege ab. Ohne die geringste Zeit mit irgendwelchen Begrüßungsfloskeln zu verschwenden, legte Horst mit vor Aufregung zitternder Stimme los: »Du, Michael, ich glaube, wir haben ihn!!!«

      Keine zehn Minuten waren seit seinem Telefonat mit Protnik vergangen, als Horst sich bereits in seinem Wagen befand und Kurs in Richtung Süden nahm. Diesmal, das wusste er genau, würde er diesen elenden Verbrecher am Kragen packen können! Jetzt hatte er den definitiven Beweis!

      Claudia und seinen Chef würde er gleich nachher von unterwegs mit dem Handy darüber verständigen, was er vorhatte, aber nun galt es erst einmal, so schnell wie möglich an den Bodensee zu kommen, bevor die letzte Chance, die sie in diesem Fall erhalten hatten, wieder unter seinen Fingern zerrinnen würde! Mühsam ordnete er seine Gedanken, die in hektischer Folge durch sein Gehirn pul­sier­ten.

      Der Brief war von Markus Wälder gewesen. Der hatte darin klipp und klar zugegeben, von den Umweltvergehen der »Bodenseekies« selbstverständlich gewusst zu haben. Auch die Tatsache, dass sich ein Polizeibeamter namens Thomas Grundler immer näher an die kriminellen Machenschaften der Firma herangetastet hatte, war dem Geschäftsführer und seinem Chef, dem Kiesbaron Dr. Hubert Hefter, nicht verborgen geblieben. Da selbst das engmaschige Geflecht aus Beziehungen, Spenden, Parteizugehörigkeit und gegenseitiger Abhängigkeit in diesem speziellen Fall nicht so einsetzbar war wie gewöhnlich, hatten sich Hefter und Wälder zu drastischen Methoden entschlossen. Sie waren zu dem Schluss gekommen: Thomas Grundler musste sterben! Wenn irgend möglich sollte die Sache anschließend so dargestellt werden, als habe sich der Polizist aus privaten Gründen das Leben genommen, was sich angesichts der Ehekrise, die ein von ihnen beauftragter Privatdetektiv natürlich schnell entdeckt hatte, sogar als recht plausibel entpuppt hatte. Und so war das Todesurteil für Thomas Grundler gesprochen worden!

      Weder bei Wälder noch bei Hefter handelte es sich jedoch um Personen, die sich selbst die Finger beschmutzten. Nein, in diesem Fall ließ man andere für sich tätig werden. Für Hefter war es ein Leichtes gewesen, den von der »Bo­den­­see­kies« und ihren zahlreichen und kräftigen Spenden völlig abhängigen Besitzer der Konstanzer »De­vil Divers«-Tauchschule für das Todeskommando zu verpflichten. Ein, zwei leise Drohungen mit künftig ausbleibenden Schecks für die seit Jahren schon marode und vom Konkurs bedrohte Tauchschule hatten genügt, um Wolfgang Förster, den Inhaber der »Devil Divers«, zum Mörder zu machen. Doch der besaß sozusagen geradezu ideale Möglichkeiten, die Tat auszuführen. Es war für die mit einem Kompressor für Pressluftflaschen ausgerüstete Tauch­­schule keine schwierige Aufgabe, Thomas Grundlers Flasche zu manipulieren. Förster hatte sich in der Nacht Zugang zu Grundlers Garage verschafft, die dort gelagerte Pressluftflasche mitgenommen, die Luft abgelassen und sie mit Sauerstoff gefüllt, der in einer Tauchbasis von der Größe der »Devil Divers« als Notfallmedizin für von Dekounfällen betroffene Taucher immer vorhanden war. Horst schauderte es noch nachträglich beim Gedanken daran, dass er kurzzeitig erwogen hatte, auch seine Press­luft­flasche bei Thomas in der Garage abzustellen. Nicht auszudenken, welche Folgen dies gehabt haben könnte!

      Keine zwei Stunden später war die nun mit Sauerstoff gefüllte Taucherflasche wieder in Thomas Grundlers Garage zurückgestellt worden. Und damit hatte das Verhängnis, dem Thomas nun praktisch chancenlos ausgeliefert war, seinen Lauf genommen …

      Als Wälder und Hefter klar geworden war, dass der Mord an Thomas Grundler, den sie im offiziellen Polizeibericht als Selbstmord hatten hinstellen können, die Ermittlungen gegen die Firma dennoch nicht hatte stoppen können, drehten die beiden weiter an der Todesspirale! Das nächste Opfer hieß Alex Winter, den sie schon länger im Verdacht hatten, mit Thomas Grundler gemeinsame Sache zu machen. Als sie Winter von da an intensiver beobachten ließen und registrierten, dass er sich dann noch lange mit den beiden Polizisten auf dem Überlinger Kran­ken­haus­park­platz unterhalten hatte, da stand für sie fest, dass er offenbar weiter in Sachen Kiesgrube recherchierte. Das war sein Todesurteil gewesen.

      Förster hatte den völlig ahnungslosen Winter seitdem verfolgt und ihn schließlich am Aussichtsturm mit einem gezielten Karatehieb bewusstlos geschlagen. Anschließend hatte er Winter im Turm an ein Seil gehängt und danach kräftig an seinen Füßen gezogen: Der ohnmächtige Journalist starb an dem Strick, ohne noch einmal das Be­wusst­sein wiedererlangt zu haben. Eindeutiger Fall von Selbstmord! So hatte ja bekanntlich die blitzschnelle Analyse der beiden von Anfang an darauf gepolten Kommissare gelautet!

      Doch was hatten Protnik und Meyer in der Zwischenzeit herausgefunden? Das Risiko, sie am Leben zu lassen, erschien den beiden Drahtziehern der Affäre zu groß und so wurde nun anstelle von Förster, der allmählich durchzudrehen begann und sich standhaft weigerte, einen weiteren Mord zu begehen, der Fahrer des Müllwagens engagiert, dessen Gesicht Horst nie mehr vergessen würde.

      Giuseppe Voltera hatte seinen Auftrag freilich nicht zur Zufriedenheit des Kiesbarons erledigt und so wurde er beauftragt, einen zweiten Anschlag auszuführen. Das freilich war bereits ohne Mitwirkung des Geschäftsführers geschehen, denn der befand sich mittlerweile auf der Flucht. Als die Polizei vor dem Verwaltungsgebäude der »Bo­den­see­kies« angerückt war, sei ihm plötzlich bewusst geworden, dass alle Akten, Schriftstücke und sämtliche anderen Beweise für Umweltstraftaten einzig und allein auf ihn, Markus Wälder, hindeuteten. Und das habe ihm der Kiesbaron auch höhnisch ins Gesicht geschleudert, verbunden mit der Drohung, ja nicht den Mund aufzumachen, falls ihm sein Leben lieb sei!

      Darauf ergriff Wälder Hals über Kopf die Flucht.


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