Tatort Nordsee. Sandra Dünschede

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Tatort Nordsee - Sandra Dünschede


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alles so, wie du es gesagt hast, was dann?«

      »Dann muss das schleunigst an die Öffentlichkeit«, ereiferte sich Wiard. Er ließ keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit, die Geschehnisse ans Licht zu bringen.

      »Du, das glaubt dir oder uns tatsächlich kein Mensch. Schlampige Finanzierung, schlechte Verträge, Politiker schmieren vielleicht noch hohe Firmenleute, damit ein Deichbauprojekt fertig wird vor der Landtagswahl, was weiß ich? Vielleicht auch umgekehrt, wohl eher … Und wer deckt den Skandal auf? Wiard Lüpkes und August Saathoff, die beiden Stardetektive aus dem Polder. Sag mal selbst: Das glaubt uns doch kein Schwein. Und der Stein, na, das waren die selbst, um es glaubwürdiger erscheinen zu lassen. Guck mal: Gestern haben alle noch das große Loblied auf den neuen Deich und die rechtzeitige Fertigstellung gesungen mit viel Sekt und ’n Köhm hinterher, und jetzt so was? Keine Chance. Da kommen zwei ostfriesische Landeier daher und behaupten, der Deich sei nicht sicher, obwohl der zuständige Minister gerade noch einen darauf getrunken hat … Vergiss es. Da braucht es Beweise, handfeste, unwiderlegbare Beweise. Du hättest gleich die Wahrheit sagen sollen, die Polizei holen, nach dem Steinwurf …«

      »Super Idee, so im Koma …«

      »O. k., hast recht, dennoch – jetzt damit zu kommen, später, macht’s unglaubwürdig.«

      »Glaubst du mir?«

      »Klar – das ist unbestreitbar, aber wohl nur für mich, noch jedenfalls.«

      August war der Ansicht, man solle eine letzte Flasche Bier trinken, Wiard stimmte zu. Während sie auch diese leerten, beschlossen sie, sich um 13 Uhr am nächsten Tag auf dem Saathoff’schen Hof zu treffen und dann mit dem Auto zur Ostkrümmung zu fahren. August verabschiedete sich und lief – nachdenklich und zweifelnd – immer wieder den Kopf schüttelnd nach Hause.

      »Danke«, hatte Wiard noch gesagt, »dass du mir zugehört hast. Ich mache mir ernsthaft Sorgen, um mich selbst, aber vor allem um unseren Deich.«

      »Es wird schon nicht so schlimm kommen, so sieht er ja ganz stabil aus«, hatte August geantwortet, »und vielleicht hast du doch unrecht, was in diesem Falle gut wäre.«

      »Ja, sicher.« August hatte in Wiards Augen gesehen, dass er voll und ganz überzeugt war, dass dieser Deich einer ordentlichen, wuchtigen Sturmflut mit orkanartigen Böen aus Nordwest nicht gewachsen sein würde.

      »Na, wie war’s?« Henrike hatte schon geschlafen, als August sich so leise wie möglich zum Bett schlich, dabei aber auf irgendetwas Hartes trat, das zerbrach und Henrike weckte.

      »Verdammt«, hatte er geflüstert, »was liegt hier wieder alles rum«, das war wohl etwas zu laut gewesen, denn Henrike hatte eigentlich einen festen Schlaf.

      »Ganz nett.«

      »Habt ihr Bier getrunken?«

      »Ja, so ein, zwei.«

      »Also waren’s drei, vier. Und, was hatte Wiard?« In ihrem Kissen vergraben, war Henrike kaum zu verstehen, sie schlief schon fast wieder.

      »Er denkt, dass demnächst unser Polder unter Wasser steht«, antwortete August und ärgerte sich auch im selben Moment, weil er wusste, dass es keinen Sinn hatte, mit Henrike irgendetwas zu besprechen, wenn sie in diesem Zustand war.

      »Typisch Wiard, der hat ja öfter mal fixe Ideen …Warum ist er verletzt, am Kopf?«, murmelte Henrike mehr, als dass sie fragte.

      »Er ist gefallen, unglücklich.« August fragte sich, warum er log. Und auch, ob es nicht doch besser von Wiard gewesen wäre, gleich die Polizei einzuschalten.

      »Ach, so ein Pech«, Henrike schlief in Sekundenschnelle wieder ein.

      »Na, ist ja noch mal gut gegangen.« August wusste, dass seine Frau ihm nicht mehr zuhörte. »Dieses Mal …« fügte er noch flüsternd hinzu.

      August hatte schlecht geschlafen. Er erwachte am nächsten Morgen mit dem Klingeln des Weckers um 5.45 Uhr und hatte das Gefühl, er habe mindestens fünf halbe Liter Bier getrunken, was definitiv nicht stimmte. Er war beunruhigt. Dass da Steine durch Fensterscheiben geschmissen wurden, hier, im Polder, das machte ihm Angst. Er schüttelte sich, als wollte er seine Furcht damit abwerfen. Er hatte keine Zeit für trübe Gedanken, denn er hatte sich für heute viel vorgenommen. Die Kälberställe mussten neu gekalkt werden. Freerk sollte ihm dabei helfen. Das ›Wittjen‹, wie er das Kalken nannte, sollte noch vor Weihnachten abgeschlossen sein, was angesichts der Größe der Stallungen ein recht optimistisches Unterfangen war. Das Wetter zeigte sich heute von seiner typisch norddeutschen Seite: Graue Wolken, graues Licht, es wurde eigentlich gar nicht richtig hell (›Regen und Rött‹). Kälberställe kalken, Radio dabei anstellen – das ging bei solchen Bedingungen ganz gut. Angesichts des gestrigen Gespräches bei Wiard war seine Laune allerdings mehr als gedämpft.

      »Die Kälberställe müssen blitzen«, predigte sein Vater immer wieder, »das war immer so, und so musst du es auch halten, wenn alles funktioniert, alle Reparaturen sofort erledigt werden, wenn alles betriebsbereit, ordentlich und sauber ist, läuft der Laden automatisch.«

      Tatsächlich hatte Augusts Vater sein Leben lang bis spät in den Abend hinein, wenn die Hauptarbeit getan war, noch hier und da repariert, gestrichen, gemäht, eben alles getan, damit der Hof immer ›wie geleckt‹ aussah. August kannte es nicht anders und führte diese Tradition fort. Außerdem nahm August am Vereinsleben im Polder rege teil – das kostete Zeit, die er an anderer Stelle einsparen musste. Sein Vater hatte sich derartige Dinge verwehrt, hatte wohl auch kein besonderes Interesse daran gehabt (»Hör mir auf mit der Vereinsmeierei«). Feuerwehr, Fußball, Heimatverein, da kamen für August schon allerhand Termine zusammen (»Vielleicht sollte ich auch ein Amt in den Vereinen übernehmen«, hatte Henrike gesagt, »und du sorgst dann etwas mehr für Haus und Familie …« »Warum nicht?«, hatte er geantwortet, aber Henrike hatte weder am Fußball noch an der Feuerwehr Interesse; Nordic Walking war jetzt trendy, vielleicht kam das ja auch mal im Polder an …). Einmal im Jahr verbrachte August mit alten Freunden aus der Schulzeit ein Wochenende, meist nur von Freitagabend bis Sonntagmittag, aber immer, wenn es so weit war, brachte ihn das ein bisschen mit seinem Gewissen in die Bredouille. Henrike dagegen unterstützte diese Treffen, was nicht uneigennützig war, denn auch sie hatte ein, zwei Wochenenden, an denen sie mit Freundinnen dem Hof, dem Mann und den Kindern den Rücken kehrte – dann blieb August allein zurück, meinte nur: »Kein Problem«, und sah einmal mehr, wie schwer es war, die Arbeit auf dem Hof mit der Hausarbeit und den Angelegenheiten seiner Kinder gleichzeitig zu meistern. Er ertappte sich dabei, mitunter die Nerven zu verlieren, und dann gab’s ein Donnerwetter, das sich gewaschen hatte. So erlebten ihn die Kinder jedoch nur selten. Von dem, was er sich vornahm zu erledigen, schaffte er allenfalls die Hälfte. Damit Henrike Sonntagabend in ein einigermaßen aufgeräumtes Haus zurückkehren konnte, versuchte er zu spülen, zu waschen, aufzuräumen, aber am Ende blieb doch das ein oder andere liegen. Und dann musste er sich auch noch um eine Vertretung kümmern, falls es ein Vereinsereignis gab. »Bloß keinen Einsatz an diesem Wochenende«, dachte er hinsichtlich seiner Zugehörigkeit zur Ortsfeuerwehr. Wenn er für ein Wochenende Familie und Hof verließ, bemerkte Henrike nur: »Das mit dem Melken kriege ich wohl noch gerade so hin«, und August wusste, dass es stimmte.

      Nach dem Melken und einer Frühstückspause begann August das Wittjen. Freerk half ihm, heute fielen mal wieder einige Schulstunden aus, schließlich hatte die Landesregierung im Rahmen ihres neuen Qualitätsprogramms für die Schulen allerhand Stellen gestrichen, weshalb es zu Engpässen kam, die in Unterrichtsausfall mündeten.

      »Also, die Ställe streichst du wirklich gut, die Landesregierung hat sich bei alldem etwas gedacht, ich bin mal wieder schwer begeistert von der Politik.«

      »Mir gefällt’s auch. Ständig anstreichen wäre langweilig, aber ein paar Tage, da habe ich nichts gegen.«

      »Aber morgen ist doch wieder Schule?« August sah seinen Sohn nun etwas besorgt an, fürchtete, dass die Auswirkungen des Qualitätsprogramms vielleicht allzu negativ werden könnten, nicht wegen Freerk, den konnte er hier gut gebrauchen, mehr wegen Freerks Schulbildung.


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