Ius Publicum Europaeum. Robert Thomas
Читать онлайн книгу.aus. Man geht also keine Umwege, wie sie etwa in der Schweiz offenbar für erforderlich gehalten werden: Dort ist eine Leistungsklage gegen die Behörde erforderlich, gerichtet auf den Erlass einer Feststellungsverfügung.[271]
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Für den Eilrechtsschutz legt § 80 Abs. 5 VwGO fest, dass das Gericht die aufschiebende Wirkung von Widerspruch bzw. Anfechtungsklage anordnet bzw., falls die Verwaltung Sofortvollzug angeordnet hat, die aufschiebende Wirkung wiederherstellt. Im Falle eines faktischen Vollzugs, d.h. wenn der Verwaltungsakt trotz eingetretenen Suspensiveffekts durch die Behörde vollzogen wird, wird die aufschiebende Wirkung festgestellt. Nach § 80a VwGO entscheidet das Gericht mit einer Anordnung der sofortigen Vollziehung oder einer Aussetzung der sofortigen Vollziehung bzw. einer Anordnung von Sicherungsmaßnahmen.
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Für Eilrechtsschutz jenseits der Anfechtungsklage ist die Formulierung offener, es können nach § 123 VwGO einstweilige Sicherungs- oder Regelungsanordnungen getroffen werden.
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Bei der Normenkontrolle nach § 47 VwGO erklärt das Gericht die beanstandete Norm ggf. für unwirksam. Vorgegeben ist dann, dass die Entscheidung des Gerichts allgemein verbindlich ist und die Entscheidungsformel vom Antragsgegner ebenso zu veröffentlichen ist wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre.
bb) Begründungstechnik
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Wesentliches Merkmal von Gerichtsentscheidungen in Deutschland ist die Gliederung der Entscheidungen in Tatbestand und Entscheidungsgründe. Die Begründung der Gerichtsentscheidungen der Verwaltungsgerichte gleicht den Begründungen anderer Gerichtsbarkeiten in Deutschland.[272] Sie erfolgt schriftlich im „Urteilsstil“. Bei diesem Stil steht das Ergebnis gleichsam als apodiktische Behauptung zu Beginn. Die nachfolgenden Ausführungen erklären das Ergebnis.[273] Insoweit ist die Begründung formalisiert und konstruiert. Sie erreicht dabei aber nicht die formelartige Präzision und Kürze der Begründungen, die der französischen Urteilstradition[274] entspricht. Die Begründungstexte sind in deutschen Verwaltungsgerichtsurteilen deutlich länger als in französischen. Zugleich ist die deutsche Tradition weniger narrativ als die angelsächsische Tradition.[275]
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Die Texte sind unpersönlich gehalten, die erste Person wird vermieden. Sondervoten sind nicht vorgesehen,[276] sie sind eine Besonderheit des BVerfG.
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Die möglichst genaue Bezugnahme auf die verwendeten Normen ist wichtig. Zitiert wird höchstrichterliche, aber auch sonstige Rechtsprechung und einschlägiges Schrifttum.
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Der Rechtsvergleich spielt dabei keine hervorgehobene Rolle. Urteile des EuGH und des EGMR werden aber, falls einschlägig, heute genauso selbstverständlich zitiert wie Entscheidungen des BVerfG. Über das Europarecht ergeben sich dabei auch ohne unmittelbaren Rechtsvergleich mittelbar Kommunikationsverbindungen zwischen den Verwaltungsprozessordnungen der Mitgliedstaaten. Mitgliedstaatliche Erfahrungen fließen in das Europarecht ein und wirken von da aus wieder zurück in die Mitgliedstaaten.
cc) Sonstiges
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Als Grundlage für die gerichtliche Entscheidung kommt dem Erörterungstermin[277] (§ 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwGO) bzw. der mündlichen Verhandlung in der Praxis eine wichtige Bedeutung zu. Wesentliches Merkmal des insoweit am Diskurs und Austausch orientierten verwaltungsgerichtlichen Verfahrens in Deutschland sind die Sachverhaltsaufbereitung durch das Gericht im Kontakt mit den Beteiligten sowie das Rechtsgespräch mit den Beteiligten unter Erörterung der Sach- und Rechtslage.
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Die Vollstreckung verwaltungsgerichtlicher Urteile ist in den §§ 167 bis 172 VwGO geregelt und richtet sich im Übrigen nach den Regeln der ZPO.[278]
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Urteile und Entscheidungen der Gerichte sind heute in aller Regel gut elektronisch verfügbar. In der Praxis wird dabei überwiegend mit dem quasi-staatlichen juris-System gearbeitet.[279] Daneben stehen zunehmend auch andere, kommerzielle Datenbankangebote zur Verfügung, die u.a. auch Gerichtsentscheidungen der Verwaltungsgerichte verfügbar machen.[280] Die Entscheidungen des BVerwG werden in einer amtlichen Sammlung (BVerwGE) beim Carl Heymanns Verlag herausgegeben. Auch für die Entscheidungen der OVGs bzw. VGHs bestehen amtliche Sammlungen. Zunehmend bauen die Justizverwaltungen der Länder eigene Datenbanken auf, die frei zugänglich sind.
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Die Entscheidungen der Gerichte werden heute im Übrigen über deren jeweilige Internetseiten in unterschiedlichem Umfang verfügbar gemacht, vereinzelt auch auf Englisch.[281]
c) Wirkungen von Entscheidungen
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§ 121 Nr. 1 VwGO sieht vor, dass rechtskräftige Urteile die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger binden,[282] soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist (materielle Rechtskraft). Dies setzt die formelle Rechtskraft der Entscheidungen voraus, d.h. den förmlichen Abschluss eines konkreten Verfahrens, das ab formeller Rechtskraft als beendet angesehen werden kann. Die Entscheidung kann dann mit Rechtsmitteln nicht mehr angegriffen werden, sie ist nicht mehr abänderbar. Außer Betracht bleiben dabei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO und die eng begrenzte Möglichkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens im Falle gravierender Fehler nach § 153 VwGO.[283] Auch die Möglichkeit, vor dem BVerfG eine Verfassungsbeschwerde zu erheben, hindert den Eintritt der formellen Rechtskraft nicht.
d) Rechtsmittel
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Urteile und Gerichtsbescheide des VG können durch das OVG bzw. den VGH im Wege der Berufung überprüft werden, Urteile des OVG bzw. VGH wiederum durch das BVerwG mit der Revision. In Einzelfällen kann vom VG aus direkt Revision zum BVerwG eingelegt werden (Sprungrevision, § 134 VwGO). Gegen Beschlüsse besteht das Rechtsmittel der Beschwerde. Die Rechtsmittel nach der VwGO sind fristgebunden (Monatsfrist bei Berufung und Revision, zwei Wochen bei Beschwerde).
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Gegen Entscheidungen des BVerwG stehen keine Rechtsmittel zur Verfügung. Die hier noch mögliche Verfassungsbeschwerde zum BVerfG ist kein Rechtsmittel, sondern ein außerordentlicher Rechtsbehelf.
aa) Berufung
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Die VwGO sieht als Rechtsmittel gegen Urteile die Berufung nach §§ 124 ff. VwGO vor, wenn sie von dem VG oder dem OVG zugelassen wird. Die Berufung ist nach § 124 Abs. 2 VwGO nur unter bestimmten, dort aufgezählten Gründen zuzulassen: wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen; wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist; wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat; wenn das Urteil von einer Entscheidung des OVG, des BVerwG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht, oder wenn es um einen Verfahrensmangel geht, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
bb) Revision
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Die Revision nach §§ 132 ff. VwGO ermöglicht es, das BVerwG mit der Sache zu befassen. Gegen das Urteil des OVG (§ 49 Nr.