Indienfahrt 1965. Klaus Heitmann
Читать онлайн книгу.kamen wir ein ums andere Mal an Unfällen vorbei, die sehr unerfreulich aussahen. Dazu lagen am Fuß des Dammes zahlreiche übel zugerichtete Lastwagen und PKWs, von denen man einige, als wolle man allzu waghalsige Fahrer mahnen, offenbar seit Jahren liegen gelassen hatte. Die Stimmung im Wagen war angespannt. Fridjof, der am Steuer saß, stand unter der kritischen Beobachtung der anderen und musste sich immer wieder Mahnungen anhören, was zu gereizten Reaktionen von seiner Seite führte.
Hinter Zagreb hielten wir an einem Bauernhaus an und fragten nach Wasser. Da es dunkel zu werden begann und Regen drohte, lud man uns spontan ein, im Haus zu übernachten. Es war das komplette Kontrastprogramm zu unseren Schlossbesuch vom Vortag. Die Wohnverhältnisse waren äußerst einfach, schmutzige Wäsche hing neben amerikanischen Filmplakaten, eine Menge dreckiger brauner Kinder, die zur Besichtigung der seltsamen Gäste zum Teil aus der Nachbarschaft gekommen waren, umstanden uns und Tiere aller Arten liefen umher. An Herzlichkeit standen die Bauernhausbewohner den Schlossbesitzern aber in keiner Weise nach. Man kümmerte sich rührend um unser Wohl und nahm uns jede Handbewegung ab. Wir nisteten uns in der geräumigen Küche ein und kochten mit Hilfe der Hausbewohner, wobei unser Ansprechpartner die älteste Tochter war, eine Medizinstudentin, die etwas Englisch sprach.
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Am nächsten Morgen waren wir nach gebührenden Abschiedzeremonien inklusive kleinen Geschenken früh auf der Autoput. Während wir auf der gefährlichen, letztlich aber eintönigen, weil endlos geraden Strecke über das Verhältnis der beiden Hirnhälften des Menschen diskutierten, bemerkten wir ein leichtes Geräusch vom Motor. Wir hielten an und stellten fest, dass aus dem Überlaufrohr des Motors Qualm kam und Öl heraus geworfen wurde. Ein Türke, der von der Sache etwas zu verstehen schien, meinte, es sei eine größere Sache. Auf keinen Fall könnten wir weiter fahren. Wir müssten uns abschleppen lassen. Franz und ich fuhren mit ihm zur nächsten Tankstelle, die etwa fünfundzwanzig Kilometer entfernt war. Dort konnte man uns allerdings nicht weiterhelfen. Man empfahl uns, einen Lastwagen anzuhalten und uns nach Belgrad abzuschleppen zu lassen, das etwa 150 Kilometer entfernt war. Ein Lastwagen nahm uns zurück zu unserem Wagen, wo wir gegen entsprechendes Entgelt einen anderen Lastwagen fanden, der uns abschleppte.
Die Sache war anstrengend und gefährlich. Unser Abschleppseil war ziemlich kurz und wir hatten wegen des vorausfahrenden Lastwagens keine Sicht nach vorne. Auf etwaige Bremsmanöver des Lastwagens musste man daher unsererseits schnell bremsen. Da dies nicht immer mit der nötigen Behutsamkeit gelang, wurde das Seil so stark gespannt, dass es mehrfach riss. Als wir an der Tankstelle ankamen, war es noch ganze zwei Meter lang und eine weitere Verwendung war ausgeschlossen. Unser Lastwagen hatte aber kein eigenes Abschleppseil. Daher mussten wir nach einer anderen Möglichkeit suchen, uns nach Belgrad abschleppen zu lassen.
Die Stimmung in der Mannschaft war auf dem Tiefpunkt. Bleierne Müdigkeit überfiel uns. Schließlich fanden wir einen Lastwagen, der uns mitnahm. Er brachte uns in anstrengenden eineinhalb Stunden bis kurz vor Belgrad. Die restlichen zehn Kilometer bis zur VW-Werkstatt zog uns ein Taxi. Als wir endlich dort ankamen, war alles zu. Wir schlugen unser Lager direkt neben der Werkstatt auf und kochten. Zu allem Überfluss fing es nachts auch noch zu regnen an. Wir fanden in der Nähe ein Dach, unter das wir uns verzogen.
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Als wir am Morgen in aller Frühe in der Werkstatt vorsprachen, hieß es zunächst, dass es zahlreiche Vorbestellungen gebe, die Vorrang hätten. Wir müssten damit rechnen, erst in einigen Tagen dranzukommen. Dies trug natürlich nicht zur Verbesserung unserer ohnehin gedrückten Stimmung bei. Als das Werkstattpersonal dies bemerkte, machte man uns Hoffnung, dass man möglicherweise gegen 12 Uhr mit unserem Wagen anfangen könne. Leider bestätigte sich der Verdacht, dass es sich dabei um eine bloße Beruhigungspille handelte. Wir entschlossen uns daher, selbst zur Tat zu schreiten. Man hatte uns gesagt, dass der Motor ausgebaut werden müsse. Vikram, der angab, einmal als Automechaniker gearbeitet zu haben, meinte, dies könnten wir selbst tun, zumal es bei einem VW kein Hexenwerk sei. Wenn der Motor erst einmal ausgebaut sei, würde er sicher schneller repariert. Ganz so einfach war die Sache dann aber nicht. Schon beim Abmontieren der Stoßstange gab es die ersten Schwierigkeiten. Widerspenstige Schrauben wurden schließlich einfach abgesägt. Die automechanischen Fähigkeiten von Vikram erwiesen sich als begrenzt. Mit Hilfe eines Sachkundigen gelang es uns aber doch, den Motor herauszubekommen.
Da man uns bedeutete, dass man an diesem Tag nicht mehr dazu komme, sich um unseren Motor zu kümmern, fuhren wir in die Stadt. Wir ließen uns in einen Straßencafe nieder, wo eine große Diskussion über den Kommunismus begann. Ich hatte mich kritisch über den Stil der Monumentalbauten des kommunistischen Regimes geäußert, die uns umgaben. Rajindra hingegen war davon offenbar beeindruckt. Ein Argument ergab das andere. Bald waren wir mitten in der Diskussion über gesellschaftliche Systeme. Rajindra, der bislang immer bemüht war, Ruhe zu bewahren, geriet dabei zunehmend in Erregung. Auf seinen Händen bildete sich kalter Schweiß, er hörte nicht mehr zu, fiel mir ständig in das Wort und wurde schließlich sehr persönlich. Als ich nach seiner Meinung auch noch einem Polizisten gegenüber nicht genügend devot auftrat, warf er mir ganz allgemein zerstörerischen Kritizismus und mangelnde soziale Einbindung vor. Die Sache spitzte sich so sehr zu, dass ein ernsthafter Bruch zwischen uns befürchtet werden musste. Da wir noch einige Zeit und auf engstem Raum miteinander auskommen mussten, suchte ich ein Ende der Diskussion, das ich erst mit einiger Mühe fand, nachdem sich Franz und Werner eingeschaltet hatten.
Der Zufall führte uns danach in einen Kulturpalast, in dem ein russischer Film lief. Darin wurde das Verhältnis von Kapitalismus und Kommunismus, insbesondere die zu erwartende paradiesische Entwicklung des letzteren, auf so groteske Weise plakativ und kitschig dargestellt, dass sich Rajindra einer kritischen Bewertung nur noch mit dem Verweis auf seine fehlenden Russischkenntnisse entziehen konnte.
Die Nacht verbrachten wir – welch’ ein Abenteuer! - wieder neben der Werkstatt unter dem Dach eines Prüfstandes.
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Morgens war eine Türkin drauf und dran, die Anwartschaft auf die Motorreparatur zu unterlaufen, welche wir uns am Vortag durch Eigenarbeit so mühsam erworben hatten. Sie heulte dem Werkstattpersonal so lange etwas vor, bis man ihr versprach, ihre Reparatur vorzuziehen. Erst unser Protest, bei dem die Mannschaft allen vorangegangen Querelen zum Trotz ganz geschlossen auftrat, führte dazu, dass man sich auch um unsere Sache kümmerte. Der Motor wurde unter unserer interessierten Anteilnahme Stück für Stück auseinander genommen, bis nur noch ein kleiner Block übrig blieb. Es stellte sich heraus, dass ein Zylinder samt Kolben völlig zerfressen war. Es schien eine teure Angelegenheit zu werden. Zu unserer Erleichterung hatte man dann aber günstige gebrauchte Ersatzteile parat, die wir einbauen ließen. Man arbeitete den ganzen Tag an unserem Auto und machte sogar Überstunden. Natürlich wollten wir wissen, wie bei einem so relativ neuen Fahrzeug ein solch gravierender Schaden eintreten konnte. Als man uns zu unserem Fahrstil befragte, war die Ursache schnell benannt. Wir hatten den Motor schlicht überfordert. In der Annahme, dass die Übersetzung des Getriebes wie bei einem VW-Käfer sei, hatten wir viel zu hohe Grenzgeschwindigkeiten zum Wechseln der Gänge festgelegt und auch noch peinlich darauf geachtet, dass sie auch ja eingehalten werden. Hinzu kam, dass unsere Schlafsachen hinten über dem Motor aufgetürmt waren, was das Geräusch des Motors, den man wegen seiner Lage am Ende des Wagens ohnehin schlecht hörte, so weit dämpfte, dass er immer schön weich zu schnurren schien. So hatten wir sein Leiden, das fürchterlich gewesen sein muss, gar mit mitbekommen. Schlechtes jugoslawisches Benzin, die sommerliche Hitze, hohe Beladung und die Berge, sicherlich nicht zuletzt der Wurzenpass und unsere hochtourige Attacke im ersten Gang, hatten ein Übriges dazu getan, dass unser Gefährt, das uns inzwischen vertrautes Heim und Pferd zugleich war, schon nach drei Tagen so etwas wie einen Herzinfarkt erlitt. Und da die Grenzwerte für das Umschalten nicht zuletzt unter meiner Mitwirkung als vorgeblich erfahrenem Käferreiseexperte zustande gekommen waren, tat dies meiner Stellung in der sich gerade formierenden Gruppe auch nicht unbedingt gut.
Kurz vor Eintritt der Dunkelheit war der Wagen wieder flott. Da wir den Ort unseres Unglücks unbedingt