Indienfahrt 1965. Klaus Heitmann
Читать онлайн книгу.um einen Schlafplatz zu suchen, was in der Dunkelheit mit einigen Schwierigkeiten verbunden war. Bei den Vorbereitungen für Essen und Schlafen geriet Rajindra mit Gertrud aneinander, die ihn in militärisch-burschikoser Weise herumkommandierte. Er war in den vergangenen Tagen immer mehr in den Schlepptau von Gertrud geraten, die seine Anhänglichkeit nicht eben subtil zu Machtspielchen nutzte. Nur allzu offensichtlich ging es ihr dabei darum, eine Machtposition zur Sicherung von Vorteilen für sich und Vikram aufzubauen. Franz, Werner und ich beobachteten die Koalition, die sich hier zu entwickeln schien, mit einiger Skepsis. Irgendwann war dann auch Rajindra aufgefallen, dass er sich in einer merkwürdigen Lage befand, weswegen er nun aus eher kleinem Anlass aufbegehrte. Gertrud reagierte gereizt worauf Rajindra wieder völlig seine Fassung verlor. Franz und ich nutzten die Gelegenheit, Rajindra aus der Koalition zu lösen, indem wir Gertrud dezent in ihre Schranken wiesen. Kritik an ihrer Person oder ihrem Verhalten konnte sie aber überhaupt nicht vertragen, weswegen sie postwendend nun auch noch uns attackierte. Die Stimmung war daher alles andere als erbaulich. Der Verdacht war nicht von der Hand zu weisen, dass dies der Grund für das völlig ungenießbare, weil verpfefferte Abendessen war, an dem sie maßgeblich mitwirkte. Zu all dem erwies sich unser Schlafplatz auch noch als ziemlich mückenverseucht.
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Unsere Frühaufsteher achteten mit peinlicher Genauigkeit darauf, dass keinesfalls länger als die vereinbarten acht Stunden geschlafen wurde, weswegen wir schon vor 7 Uhr auf der Autoput waren. In Nis bogen wir von der jugoslawischen Magistrale in Richtung Bulgarien ab. Nicht weit von hier, war unser großer Vorläufer und erste westliche Indienabenteurer, Alexander der Große, geboren worden. Mir ging durch den Kopf, dass sein Pferd Bukephalos, mit dem er die ganze Strecke nach Indien durchmaß, anfangs auch ziemlich störrisch gewesen war, sich aber später als sehr zuverlässig erwies.
Die Landschaft, die bislang flach und ziemlich eintönig gewesen war, wurde nun in wildromantischer Weise dramatisch. Die Strasse schlängelte sich durch eine tiefe Schlucht, die mit zahlreichen Tunnels und Sprengungen erschlossen worden war, auf eine karge Hochebene. Nach einiger Zeit erreichten wir die bulgarische Grenze, die wir ohne Probleme passierten. Kurz darauf erreichten wir Sofia. Klassizistische Monumentalbauten im Einheitsstil und riesige Plätze, auf denen schlecht gekleidete Menschen und viele Uniformen zu sehen waren, zeigten, dass wir in einer rechten kommunistischen Hauptstadt waren. Da es uns aber ins wirklich Exotische zog, fuhren wir bald weiter.
Der weitere Weg führte sehr abwechslungsreich über steile Pässe und tiefe Täler nach Plovdiv, das einen recht geordneten Eindruck machte. Danach suchten wir im Dunkeln lange nach einem kleinen Dorf namens Garaskovelovo, wo Franz Grüsse ausrichten wollte. Der nicht ganz einfache Name ging uns, da wir ihn beim Fragen nach dem Weg einige Dutzend Male aussprechen mussten, schließlich ziemlich flüssig über die Lippen. Über eine sechs Kilometer lange Strasse, die das Fahrgestell unseres Wagens auf eine erste harte Probe stellte, erreichten wir das Dorf schließlich mit Hilfe unseres Suchscheinwerfers. Die Familie, die wir aufsuchten, fiel aus allen Wolken, freute sich aber riesig. Binnen Kurzem bildete sich um uns eine große Menschentraube, welche die unerwarteten Gäste aus dem Westen bestaunte. Im Hof des Anwesens bereitete man eine lange Tafel und servierte uns ein einfaches aber reichliches Mal, zu dem Traubenschnaps und Wein gereicht wurde. Die Konversation in der ziemlich großen Gruppe war vielsprachig. Ein Arzt, der häufig in der DDR gewesen war, sprach recht gut Deutsch. Englische Brocken geisterten durch die Gespräche. Ein Professor für Pharmakologie sprach mit mir auf Italienisch, während ich ihm schlecht und recht auf Lateinisch antwortete. Auffällig war, dass politische und soziale Themen völlig ausgespart wurden. Der Grund dafür wurde deutlich, als es um die Frage ging, wo wir übernachten könnten. Unsere Gastgeber schienen Schwierigkeiten damit zu haben, uns Kapitalisten in ihrem Anwesen unterzubringen. Wir einigten uns schließlich darauf, dass wir unser Lager in einem nahen Eichenwäldchen aufschlagen.
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Als wir morgens nach ausgiebigem Waschen an einer Pumpe bei unseren Gastgebern erschienen, führte man uns in die gute Stube, die recht spartanisch möbliert war. Man deckte sauber den Tisch und servierte ein einfaches Frühstück. In kleinem Kreise erzählte uns der Arzt, dass der Hof zwar formell noch der Familie gehöre, inzwischen aber sozialisiert sei. Er wollte nun eine Menge über die sozialen Verhältnisse im Westen wissen und erkundigte sich genau über Fragen von Währungen und Visa. Beim herzlichen Abschied, zu dem sich wieder das halbe Dorf versammelt hatte, übergab man uns eine Kiste mit riesigen Tomaten und einen Strauss Gladiolen.
Bis zur türkischen Grenze war es nicht mehr weit. Allerhand Bürokratisches war zu erledigen. Die türkischen Grenzbeamten nahmen ihre Sache sehr ernst, ließen uns aber aus Europa raus. Kurz nach der Grenze begann der muslimische Kulturkreis mit dem architektonischen Paukenschlag der Moschee von Edirne, dem Meisterwerk des großen osmanischen Architekten Sinan, der sinnigerweise aus einem christlichen Hause stammte. Wir standen im Staunen vereint vor den Bogenkaskaden dieses grandiosen Baugebirges. Sehr lange währte die Eintracht nicht. Kurz hinter Edirne entbrannte aus nichtigem Anlass ein polemischer Kampf, den diesmal Franz ausgelöst hatte. Franz war an sich ein loyaler und kameradschaftlicher Charakter. Allerdings war er auch sehr impulsiv und löste damit mitunter heftige Gegenreaktionen aus. Nachdem sich die Lage beruhigt hatte, begann eine grundsätzliche Diskussion darüber, welche Rechte und Pflichten in einer Gemeinschaft bestehen, wobei wir uns nach langem Ringen wenigstens über das Grundsätzliche einig wurden.
Über diese Diskussion gelangten wir bei beginnender Dunkelheit nach Istanbul. Kaum, dass wir die alte Stadtmauer passiert hatten, gerieten wir in ein ungeheures Gewühl von Fußgängern, Autofahrern und insbesondere wild umherfahrenden Taxifahrern, durch das wir uns hinunter zum goldenen Horn zwängten. So richtig wohl war uns dort nicht zu Mute. Wir waren alsbald von allerhand dunklen Gestalten umringt, die uns alles Mögliche anboten oder von uns haben wollten. Kleine Kinder baten flehentlich darum, dass wir ihnen Kurzwaren abkaufen oder unsere Schuhe putzen zu dürfen, Marktschreier drängten sich auf. Es herrschte eine Hektik, die wir als beängstigend empfanden. Aus Angst um unser Gepäck gingen wir in zwei Etappen zum Essen. In der Stadt zu schlafen, kam unter diesen Umständen nicht in Frage. Auf der Suche nach einem Schlafplatz fuhren wir daher den Bosporus hinauf, wo wir die freundliche Seite der Stadt fanden - bunt erleuchtete Cafés und Teehäuser, in denen sich an diesem Samstag Abend die Einheimischen drängten, traumhafte versteckte Lokale in alttürkischem Stil und allenthalben bengalische Beleuchtung. Hinter der Festung von Rumeli Hisari bogen wir in die Berge ab und ließen uns dort nieder.
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Morgens fuhren wir zurück in die Stadt, wo es, da Sonntag war, sehr ruhig zuging. Nur Geldwechsler umschwärmten uns in großen Mengen. Istanbul strahlte in der Morgensonne. Wir besuchten die blaue Moschee, mit ihren prachtvollen Fenstern und die Hagia Sophia, von der man nichts anderes als tief beeindruckt sein kann. Aus Edirne kommend wurde natürlich besonders augenfällig, woher Sinan seine architektonischen Grundideen bezog. Nach diesem Kurzprogramm drängten die Eiligen unter uns schon auf Abfahrt. Von der Fähre, die uns über den Bosporus brachte, hatten wir noch einmal einen herrlichen Blick auf das einmalige Panorama der Stadt. Ich kam nah meinem Besuch vor zwei Jahren ein weiteres Mal zu dem Schluss, dass sie, zumal aus dieser Sicht, wohl die schönste und im Übrigen wegen des Schnittpunktes von drei Kulturen auch die interessanteste Stadt der Welt sei, die Welt, die ich freilich noch kennen lernen wollte. Außerdem bekräftigte ich meinen Vorsatz, dorthin meine Hochzeitsreise zu machen (was ich fünf Jahre später dann auch tat).
Dann endlich Asien. Bald hatten wir die Ausläufer von Istanbul, hauptsächlich schmutzige Industriebetriebe, hinter uns gelassen. Wunderbare Blicke eröffneten sich auf eine Bucht des Marmarameers. Im Sonnenuntergang ging es schließlich über eine kurvenreiche Strasse auf die anatolische Hochebene hinauf. Wir aßen im Gasthaus eines kleinen Dorfes und suchten uns in der Nähe einen Schlafplatz, wo zufällig auch ein Brunnen war. Die Nacht war außerordentlich kühl. Über uns funkelte ein Sternenhimmel, wie man ihn bei uns nicht zu sehen bekommt.
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