Indienfahrt 1965. Klaus Heitmann

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Indienfahrt 1965 - Klaus Heitmann


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nach Ankara. Die Landschaft war unendlich weit und leer und völlig ausgetrocknet. In Ankara, wo wir am späten Vormittag ankamen, steuerten wir als erstes die VW-Werkstatt an, um unseren Wagen inspizieren zu lassen. Der Schock von Belgrad hatte uns klar gemacht, wie sehr unser Projekt vom Wohl und Wehe unseres Fahrzeuges abhängt, weswegen wir ihm jede Pflege zukommen lassen wollten. Als wir den Wagen frohgemut ob unserer Fürsorglichkeit am Nachmittag wieder abholen wollten, traf uns die nächste automobilistische Hiobsbotschaft. Der Werkstatt-Meister verkündete, dass die Kompression auf dem Zylinder, der in Belgrad ausgewechselt worden war, sehr schlecht sei. Der Motor müsse wieder ausgebaut und möglicherweise müssten alle vier Zylinder ausgewechselt werden. Offenbar hatten wir in der Absicht, den finanziellen Schaden in Belgrad durch Einbau eines gebrauchten Zylinders zu minimieren, einen richtig großen Schaden programmiert. Die Reparatur, so sagte man uns, könne erst am nächsten Tag begonnen werden. Das Abenteuer unserer Indienreise bestand also schon wieder in einem längeren Aufenthalt in einer VW-Werkstatt. Den Nachmittag verbrachten wir mit Lesen und Schreiben in der Idylle des Industriegebietes, in dem die Werkstatt lag. Ich verfasste einen ersten Artikel für die Mainzer Allgemeine Zeitung, die Interesse an einer Berichterstattung über unsere Reise bekundet hatte. Darin erwähnte ich - mit der nötigen Subtilität, wie ich meinte - dass man in Ankara vergeblich das berühmteste Produkt der Stadt Mainz suche und stattdessen Wasser verwende. Gemeint war Hakles Klopapier, was damals für mich das bekannteste Industrieprodukt der Stadt war. Meine feine Anspielung wurde, wie ich später erfuhr, von der Redaktion, nicht verstanden, weswegen sie den Text ergänzte und schrieb, man suche hier vergeblich den Wein, für den Mainz auch eine gewisse Bekanntheit hatte. Das hatte prompt einen auch veröffentlichten Leserbrief eines Ankarakenners zur Folge, der darauf hinwies, dass er auf den Hügeln um die Stadt sehr wohl viele Weinberge gesehen habe. Künstlerpech!

      Abends gingen wir in den Kültür-Park, wie die Türken die populären Vergnügungsparks nennen, welche sich in unterschiedlicher Größe in allen Städten finden. Der Kültür-Park der Hauptstadt war natürlich besonders groß. Wir vertrieben uns die Zeit mit Geschicklichkeits- und Kraftspielen und fuhren mit einem riesigen Kettenkarussell, all das zu Preisen, die für uns außerordentlich attraktiv waren. Spannend wurde es beim Tischfußballspiel. Die Türken merkten bald, dass ich eine gewisse Übung darin hatte, und forderten mich immer wieder zu einem Match auf. Ein Jurastudent zeigte uns ein billiges Restaurant, wo wir aßen. Er blieb den Rest des Abends bei uns. Ihm war sehr daran gelegen, das vermutete Vorurteil auszulöschen, dass die Türken Barbaren seien. Offensichtlich hatte er die Diskussion schon öfter geführt. Er hatte alle möglichen Argumente für seinen Standpunkt gesammelt und trug sie rhetorisch geschickt vor. Die Deutschen, meinte er im Übrigen, seien den Türken am liebsten, vor allem, weil sie in den beiden Weltkriegen zusammengehalten hätten, ein Gesichtspunkt, der einem kriegsschuldbewussten Deutschen merkwürdig anmutete. Der junge Mann wollte uns am nächsten Morgen unbedingt in der Werkstatt besuchen. Zum Schlafen fuhren wir zurück zu unserem „Heim“. Wir schlugen unser Freiluftlager im Schutze unseres Wagens auf dem Platz direkt vor der Werkstatt auf.

      10

      Morgens war großes Reinemachen angesagt. Der junge Türke kam tatsächlich und sah etwas ratlos zu, wie wir unser gesamtes Gepäck ausräumten und neu ordneten. Zwei Bremer kamen in die Werkstatt, die mit einem alten VW-Käfer ebenfalls nach Indien unterwegs waren. Wir unterhielten uns mit ihnen über das, was sie erlebt hatten und was noch zu erwarten war. Große Überraschungen waren ihnen bisher erspart worden. Nach der Neuordnung des Wagens kam die körperliche Generalreinigung dran. Ich fuhr mit Franz und Werner zu einem Schwimmbad etwas außerhalb der Stadt. Es war in der Form des Schwarzen Meeres angelegt und offenbar für Menschen gedacht, die in anderen Vermögensverhältnissen lebten als die Besucher des Kültürparkes. Selbst für uns war es sehr teuer. Das Wasser war zwar ein wenig grün, aber ansonsten sauber. Auch die Möglichkeit einer psycho-sozialen Bereinigung deutete sich an. Es stellte sich heraus, dass diese Hälfte der Mannschaft recht gut miteinander auskommen müsste. Wir unterhielten uns prächtig. Am späten Nachmittag war der Wagen schließlich fertig. Finanziell war das Schlimmste nicht eingetreten, sodass wir relativ guter Dinge losfuhren. Fünfzig Kilometer hinter Ankara merkten wir aber, dass wir die Autopapiere in der Werkstatt vergessen hatten. Franz, der gerade am Steuer saß, beschloss, impulsiv wie er war, sofort mit Werner zurück nach Ankara zu fahren. Der Rest der Mannschaft sollte an Ort und Stelle warten. Vor lauter Aufregung nahm er sich nicht die Zeit, eine brauchbare Wiedervereinigungsregelung für den Fall zu finden, dass er, was er hoffte, die Papiere noch am gleichen Abend erhalten und zurückfahren konnte. Da wir uns an keiner Stelle befanden, die man bei Nacht leicht hätte wiederfinden können, meinte er, wir sollten nach etwa eineinhalb Stunden jedes Auto mit der Taschenlampe anblinken. Die Regelung war nicht eben praktikabel. Wir blinkten stundenlang und vergeblich. Franz und Werner kamen nicht zurück. Unser Lager schlugen wir daraufhin nach einer kleinen Wanderung bei einem einsamen Teehaus auf, das an einem kleinen Brunnen stand. Da es sehr windig war und zu regnen drohte, bot man uns an, unsere Würstchen in der Teestube heiß zu machen und dort auch unser Essen einzunehmen. Straßenarbeiter beobachteten uns wohlwollend und versuchten uns zu helfen, wo es nur ging. Ein Schaf kam hinzu und lief ungeniert durch die Menge. Ein paar Jungen wollten unbedingt, dass wir bei ihnen zu Hause schliefen. Nachts, so meinten sie, könnten Hunde kommen und uns angreifen. Die Arbeiter versicherten uns jedoch, dass es ungefährlich sei. In der Nacht kam dann tatsächlich ein großer Hund und jagte mir einen großen Schrecken ein. Er wollte gar nicht mehr aufhören zu bellen, bis ich ihm, was ich bei meiner früheren Türkeireise von Hirtenjungen gelernt hatte, mit ein paar Steinen bewarf, worauf er schleunigst das Weite suchte.

      11

      Gegen zehn Uhr morgens trafen Franz und Werner mit den Autopapieren ein. Während wir uns fertig machten, kamen auch die Bremer vorbei, die wir in Ankara getroffen hatten, und hielten ein Schwätzchen mit uns. Wir machten uns auf den Weg und drangen, eine lange Staubwolke hinter uns herziehend, weiter in die schier endlose Weite des kahlen anatolischen Hochlandes vor. Jedes Mal, wenn uns ein Fahrzeug begegnete, mussten wir die Fenster hochkurbeln, damit wir nicht in dessen Staubwolke erstickten. Im Wagen wurde es dann schnell brütend heiß.

      Wir waren noch nicht lange gefahren, als es zu einer neuen psycho-sozialen Explosion kam. Die Straße, die wir befuhren, war voller Schlaglöcher und hatte immer wieder Strecken mit Waschbrettoberfläche, wie sie die Starrachsen der Lastwagen erzeugen. Vikram, der am Steuer saß, hatte offenbar wenig Erfahrung mit Straßen dieser Art und fuhr drauf los. Auf den Waschbrettstrecken fand er nicht das richtige Tempo, weswegen der Wagen derart in rhythmische Schwingungen geriet, dass man befürchten musste, jede Schraube werde sich lösen. Nichts aber zehrt mehr an den Nerven des Mitfahrers und Miteigentümers eines Autos, um das er sich ohnehin Sorge machte, als das nicht endenwollende Rütteln, welches das Waschbrett zur Folge hat. Zudem schien Vikram von den Schlaglöchern geradezu angezogen zu werden, mit dem Ergebnis, dass nicht nur die Insassen des Wagens, sondern auch unser sorgfältig gestapeltes Gepäck immer wieder kräftig durcheinander gewirbelt wurde. Die Mannschaft schwieg gespannt. Ich aber konnte, wiewohl ich wusste, dass Vikram die Entscheidungsgewalt in Sachen Auto für sich beanspruchte, nach einiger Zeit nicht mehr an mich halten, und bemerkte, dass der Wagen diese Fahrweise wohl nicht sehr lange durchhalten werde. Vikram reagierte erwartungsgemäß heftig und grundsätzlich. Er behauptete, man dürfe in einer Gemeinschaft nicht alles kritisieren, attestierte mir Kritiksüchtigkeit und warf mir, einmal in Fahrt gekommen, gleich auch noch vor, dass ich undankbar und verzogen sei. Daraus entwickelte sich eine generelle Diskussion über kritisches Denken und darüber, dass dieses in Europa einen anderen Stellenwert als in Asien habe. Ich vertrat den, wie ich meinte eigentlich selbstverständlichen Standpunkt, dass problematische Fragen, welche die Gemeinschaft betreffen, von Mitgliedern der Gemeinschaft auch angesprochen werden können und gegebenenfalls sogar müssten, und zwar notfalls auch dann, wenn dies zu Unruhe in der Gemeinschaft führen könne. Als Beispiel nannte ich das Verhalten der Künstler und Intellektuellen, die sich 1933 gegen den allgemeinen Enthusiasmus für Hitler wandten. Hätten die etwa schweigen sollen? Vikram fand meine Grundthese keineswegs selbstverständlich und war auch von meinem Beispiel nicht sonderlich beeindruckt. Er verstieg sich vielmehr zu der Feststellung, dass man um des lieben Friedens willen


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