Indienfahrt 1965. Klaus Heitmann
Читать онлайн книгу.Ich verließ die Tankstelle, wo alle möglichen Spezialisten am Auto herumschraubten, und ging in die Stadt, wo mich ein Junge ansprach, den ich fragte, ob er jemand kenne, der einen VW-Motor reparieren könne. Auch er hatte einen Mechaniker parat, der allerdings ein paar Kilometer außerhalb wohnen sollte. Da man in der Not des Ertrinkens jeden Strohhalm ergreift, fuhren wir mit dem Jungen zu dem Mann. Wir merkten aber bald, dass er ziellos herumsuchte und verabschiedeten uns von ihm, bevor er weiteren Schaden anrichten konnte.
Da der Wagen immerhin lief, entschlossen wir uns weiterzufahren. Sehr wohl war uns dabei allerdings nicht. Die Landschaft aber leuchtete in allen möglichen Farben in der Sommersonne. Als wieder ein hoher Pass kam, hielten wir einen Lastwagen an, auf dem hoch oben auf der Ladung schon eine Menge Leute saßen. Man war aber sehr zuvorkommend und fand noch Platz für unsere Abordnung. Wir fuhren hinter dem Lastwagen her, der bedenklich schwankend den Pass hinaufkeuchte. Die Sonne ging gerade unter und tauchte die Landschaft in ein zauberhaftes Licht. Wenn der Lastwagen anhielt, stiegen einige Leute aus und verrichteten ihr Abendgebet in Richtung Mekka. Nach und nach stiegen dann alle aus. Als die Sonne untergegangen war, blieben wir als die letzten Mitfahrer übrig. Wir saßen hinten auf dem heruntergeklappten Abschlussbrett der Ladefläche, wo der Auspuff unsere Füße wärmte, und betrachteten den herrlichen Sternhimmel. Mühelos ließen sich die Sternbilder erkennen. Kein Wunder, dachte ich, dass in diesen Breiten Astronomie und Astrologie groß geworden sind. An einem kleinen Gasthaus, das zwischen zwei Pässen lag, hielten wir an, um zu essen. Ein türkischer Kumpel aus Oberhausen lud uns ein und bezahlte für drei von uns. Zwei Pakistaner trafen ein, mit denen wir uns sehr gut unterhielten. Da Inder und Pakistani nicht unbedingt gut aufeinander zu sprechen waren, gaben sich unsere beiden Inder, die beide Urdu konnten, als Pakistani aus. Dies führte im Laufe des Abends naturgemäß zu merkwürdigen Situationen. Bevor sich die Sache zuspitzte, suchten wir das Weite, das aber in einem Pass von 2500 Meter Höhe bestand. Erstaunlicherweise bestand unser Gefährt die Herausforderung. Kurz danach legten wir uns an einem kleinen schmutzigen Bach zur Nachtruhe.
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Bei Tageslicht fand sich an dem schmutzigen Bach ganz für uns eine saubere Quelle, in der wir uns sehr erfrischend waschen konnten. Ein Dolmus, das türkische Sammeltaxi, mit fröhlichen Kindern hielt an, die uns beim Packen zuschauten. Dann ging es in Richtung Grenze. Weit in der Ferne hob sich der schneebedeckte Berg Ararat ganz unvermittelt aus der endlosen Hochebene heraus. Während wir uns näherten, wuchs er langsam zu immer imposanterer Höhe, um schließlich wie ein Riese vor uns aufzuragen. Kein Wunder, dass man gedacht hat, Noa sei mit seiner Arche hier gelandet. Die Vorstellung, das Wasser habe einmal bis zu seinem mehr als 5000 Meter hohen Gipfel gereicht, war allerdings abenteuerlich. Noa dürfte auch einige Probleme gehabt haben, mit all seinen Tieren von dort wieder herunter zu kommen.
An der Grenze ging es außerordentlich umständlich zu. Von Reisenden, die hier festsaßen, hörten wir so viel Schlechtes über Persien, dass uns die Lust am Weiterfahren fast verging. Im Land herrschte eine Cholera-Epidemie, was mit schwer kalkulierbaren Reiseerschwernissen verbunden war. Wer keinen Impfpass dabei hatte, musste an der Grenze erst einige Tage lang Tabletten nehmen. Auch unsere Impfpässe wurden bemängelt, weil nicht jede Impfung mit einem extra Stempel versehen war. Dann kam auch noch ein Sandsturm auf, der den Himmel verdunkelte. Zu unserer Erleichterung ließ man uns schließlich weiterfahren, bedeutete uns aber, dass wir spätestens hinter Teheran, wo ein Sperrgebiet beginne, mit unseren Impfpässen Schwierigkeiten bekommen könnten.
Die Strasse verlor sich schon bald in völlig unwegsamem Gebiet. Sie schlängelte sich in engen Kurven durch wüstenhaft ödes Gelände, das von keiner Menschenseele bewohnt war. Sie wurde auch immer schlechter und war schließlich nur noch ein Weg, der unbefestigt durch Berge, Täler und Bachbetten verlief. Unser Motor benahm sich auffällig und zog mal gut und mal schlecht, weswegen wir etliche Pausen machten. Schließlich zeigten sich einige Dörfer, deren Häuser ganz aus Lehm gebaut und deren Gärten ebenfalls von langen Lehmmauern umzogen waren. In einem kleinen Nest tankten wir. Die lokale Tankstelle, die sich in einem Hof befand, verkaufte uns Benzin aus Büchsen, das, aber, wie wir bald feststellen mussten, sehr schlecht war. Voreingenommen wie wir seit der Grenze waren, erschienen uns die Menschen nicht sehr sympathisch. Einen Pass überquerte ein Teil der Mannschaft wieder mit einem Jeep. Dessen Fahrer fügte den möglichen Ursachen für unser Motorproblem eine weitere Variante hinzu. Er meinte, dass es etwas mit dem Dynamo zu tun habe. In der Kleinstadt Koyh suchten wir wieder einmal eine Autowerkstatt auf, mussten aber bald feststellen, dass man wenig Ahnung hatte und nur daran interessiert schien, an uns etwas zu verdienen. Ein Amerikaner, der im Peace Corps seines Landes tätig war, riet uns unbedingt nach Täbris weiterzufahren, da hier nur gepfuscht werde. Wir fuhren denn auch weiter und ließen uns, da es Dunkel wurde, in einem Bachtal nieder, wo uns in der Nacht die Mücken plagten.
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Bauern diskutierten früh morgens in unserer Nähe und weckten uns auf. Wir machten uns fertig und folgten der Strasse nach Täbris, die weiterhin verheerend war. Dann aber geschah ein straßenbautechnisches Wunder. Ohne dass dafür ein Anlass ersichtlich war, fing plötzlich eine wohl gebaute neue Straße an. Unsere Stimmung, die inzwischen wesentlich in Korrelation zum Zustand der Straße verlief, stieg augenblicklich. Wir waren aber noch keine fünf Kilometer gefahren, als unser Bukephalus heftig bockte. Kurz darauf stellte der Motor des Wagens seine Tätigkeit mit ähnlichen Symptomen wie vor Belgrad vollständig ein. Zu diesem Zeitpunkt befanden wir uns mitten in einer einsamen, vegetationslosen Gegend, wo alle halbe Stunde einmal ein Wagen vorbeikam.
Wir hatten genug. Spontan beschlossen wir, das Unternehmen, das zeitlich ohnehin in großem Verzug war, abzubrechen. Der Wagen sollte zunächst nach Täbris abgeschleppt, dort in Ordnung gebracht und anschließend möglichst verkauft werden. Merkwürdigerweise war die Stimmung bei diesem Gespräch sehr gelöst. Die klare neue Perspektive hatte den Druck von uns genommen, der immer stärker auf uns gelastet hatte.
Unser akutes Problem war zunächst einmal, dass wir kein Wasser hatten. Daher mussten wir an den eisernen Bestand gehen und zum Kochen ein paar Konserven opfern. Jetzt, wo wir das Unternehmen abbrachen, dachten wir, würden diese Notrationen ohnehin nicht mehr benötigt. Ein Mann, der bei uns anhielt, versprach uns, die Gendarmerie von Marand zu benachrichtigen, das etwa dreißig Kilometer entfernt lag. Befreit vom Zwang, vorwärts kommen zu müssen, machten Werner, Franz und ich eine Wanderung auf die nahen Berge. Wir kletterten in brütender Hitze einen weglosen Hang so weit nach oben, dass unser Wagen von dort nur noch als kleiner Punkt in einer weiten Ebene auszumachen war, die von ein paar ausgetrockneten Bachläufen durchzogen wurde und hier und da von einem weißen Überzug aus Salz bedeckt war. Erschreckt über die ungewohnten Gäste huschten ein paar Eidechsen zwischen den wenigen vertrockneten Grasbüscheln hindurch. Heuschrecken sprangen vor uns ein paar Meter weiter. Ansonsten herrschte vollkommene Stille, die nur gelegentlich vom entfernten Geräusch vorbeifahrender Autos unterbrochen wurde. Als wir zurückkamen, war noch keine Hilfe eingetroffen und wir malten uns spaßhalber einen Verdurstungstod in der Wüste aus. Allzu lange konnten wir mit dieser Phantasie aber nicht kokettieren. Ein vorbeifahrender Wagen gab uns etwas Wasser ab. Schließlich fand sich auch ein Lastwagen, dessen Fahrer sich bereit erklärte, uns nach Marand abzuschleppen.
Es handelte sich um einen zweistöckigen Viehtransporter, in den eine große Menge blökender Schafe einpfercht war. Die Situation war wie bei unserm Abschleppmanöver nach Belgrad. Es musste verhindert werden, dass unser inzwischen erneuertes Abschleppseil durch unsanfte Bremsmanöver riss. Da Vikram, der zunächst am Steuer sitzen wollte, dies nicht immer vermeiden konnte, passierte aber eben dies gleich mehrere Male. Als das Seil nur noch zwei Meter lang war, gab Vikram entnervt auf. Unsere Leute bekamen es mit der Angst zu tun. Alle außer mir, der nun, da es kein anderer wagte, das Steuer übernehmen sollte, flüchteten auf das Dach des Viehtransporters. Die weitere Fahrt war die Hölle. Ich musste mit höchster Konzentration auf das kurze Seil starren, um bei der kleinsten Entspannung sofort dosiert reagieren zu können. Die Verhältnisse wurden bald noch dadurch erschwert, dass das straßenbautechnische Wunder ebenso unvermittelt endete, wie es begonnen hatte. Die Strasse war wieder unbefestigt, voller Löcher und führte häufig durch Bachbetten, was eine äußerst unregelmäßige