Nur ein Tropfen Leben. Christina M. Kerpen

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Nur ein Tropfen Leben - Christina M. Kerpen


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der Schwangerschaft alles irgendwie noch zum Guten gewendet hat und sie frei von jeder Verantwortung für ein kleines Wesen weiterleben kann wie gewohnt, gar keine Veranlassung mehr sieht, sich zu binden und dass sie noch lange nicht daran denkt, zu heiraten. Doch sie unterdrückt eine entsprechende Bemerkung, denn sie traut sich nicht, durch ihren Protest direkt wieder Misstöne in die glückliche Stimmung zu bringen.

      Wohlwollend schaut der Rancher seinem Ausnahme-Cowboy in die Augen und lächelt: „Nun, dann geh Dich erst einmal frisch machen, mein liebes Kind. Nachher kannst Du uns von Deinen Abenteuern in der Fremde berichten. Wir brennen alle darauf, zu hören, wie es Dir die ganze Zeit ergangen ist. Hier war es öde und leer ohne Dich, das kann ich Dir verraten. Du darfst Willow-Tree nie mehr verlassen, nie wieder.“ Er lacht trocken auf. „Die Ranch geht ohne Dich vor die Hunde, denn dann haben wir einen derart grantigen Vormann, der jeden Patzer mit sofortigem Rausschmiss der Leute bestraft, dass bald keiner mehr hier arbeiten will und das bringt auf die Dauer auch nicht gerade Frieden in unser Dasein.“

      „Wenn Sie mich jetzt nicht rauswerfen, Sir, bleibe ich gerne.“ Carol lächelt etwas scheu. Irgendetwas knistert seit dem Kuss, den ihr der Alte auf die Lippen gedrückt hat, in der Luft.

      Das Girl spürt eine geheimnisvolle Anspannung. Sie merkt, dass der große Boss noch etwas sagen möchte, sich dann aber ein wenig unentschlossen abwendet und nur noch murmelt: „Dich rauswerfen, niemals, meine Liebe, niemals. Eher würde ich Dich ...“, er beendet seinen Satz nicht und geht zurück hinter seinen Schreibtisch. „Nun, alles andere besprechen wir später. Das hat auch wirklich alles Zeit bis morgen.“ Der Mann setzt sich wieder und Carol zieht sich leise zurück.

      Zögernd geht sie die Treppe hinauf, durchquert den Gang und stößt vorsichtig die Tür zum blauen Zimmer auf. Alles ist noch so unberührt, wie sie es verlassen hat, so, als wäre sie nur mal kurz nach draußen gegangen. Sogar die Türe ihres Sekretärs steht noch so offen, wie sie sie zurückgelassen hat. Lediglich ist vor kurzem in dem Krug neben der Waschschüssel frisches Wasser eingefüllt, das Bett ordentlich neu bezogen und Staub gewischt worden.

      Das Mädchen lässt sich auf sein Bett fallen und schaut sich um, dann springt sie, einer Eingebung folgend auf und tritt ans Fester. Bei dem Blick auf die geliebten Berge in der Ferne, auf das Vormann-Haus, die Cowboy-Unterkunft und das große Stallgebäude merkt die junge Frau, wie sich die Schatten der vergangen Zeit lösen und sie amtet tief ein. Sie ist ein zweites Mal heimgelehrt und hofft, dass es nun für immer sein möge, zumindest, dass sie die Heimat nie wieder durch eigenes Verschulden oder eigene Dummheit verliert.

      Sie beobachtet den Rancher, der aus dem Haus tritt, den Vorplatz überquert, an die angelehnte Tür des Vormann-Hauses klopft und dann eintritt. Sie verspürt beim dem Anblick des Mannes ein merkwürdiges Kribbeln im Bauch und muss an die Umarmung denken, bei der sie sein Begehren spüren konnte.

      Sie schluckt und leise Zweifel beginnen ihre Gedanken wieder zu trüben. Für immer auf Willow-Tree bleiben, das wäre wundervoll, aber was ist, wenn dem Rancher etwas passiert? Der Mann ist so um die Achtzig, da muss man dem Unausweichlichen in die Augen blicken, auch Carpenter wird nicht ewig leben. Was wird aus der Ranch, wenn der Alte nicht mehr da ist?

      Stacy kann man getrost vergessen, der wird die Ranch im Leben nicht übernehmen. Und Susan? Ob die die Arbeit ihres Großvaters fortsetzen wird? Ob sie es überhaupt könnte? Vielleicht, wenn sie den richtigen Mann findet. Was aber geschieht, wenn Willow-Tree verkauft wird? Wird der neue Besitzer die Ranch so weiterführen, wie sie ist? Wird er die Arbeiter übernehmen oder bringt er seine eigenen Leute mit und entlässt die alten?

      Fragen über Fragen, für die sich heute und wahrscheinlich auch in naher Zukunft noch keine Klärung findet.

      Carol kann zwar im wahrsten Sinne des Wortes kaum bis zwanzig zählen, aber sie ist ungemein clever, was das Geschäft angeht. Sie hat schon lange erkannt, dass es mit der Viehzucht, insbesondere der Rinderzucht, bergab geht. Die Zeiten der großen Viehtriebe sind vorbei, das Fleischgeschäft bröckelt immer mehr und die Preise verfallen zusehends. Es können nur noch wenige Ranches überleben und auch nur, wenn sie bereit sind, sich andere Standbeine zu verschaffen. Carpenter ist trotz seines hohen Alters noch flexibel genug und ständig offen für Neuerungen, die Gewinn zu versprechen scheinen, das weiß das Girl aus Hunderten von Gesprächen, die sie mit dem Mann geführt hat. Es waren ruhige, sachliche Gespräche, aber auch durchaus hitzige Diskussionen dabei, aber eines waren diese Gespräche immer. Sie waren stets von Vorteil für die Ranch. Carols gute Ideen und Carpenters reicher Erfahrungsschatz sichern im Moment das Überleben der Ranch und die Arbeitsplätze der altgedienten Cowboys. Aber was wird in einigen Jahren sein?

      Carol weiß, wie alle anderen Willow-Tree Angestellten, dass der sichere Job hier auf der Ranch ein absoluter Glücksfall ist, denn üblicherweise werden Cowboys von ihren Arbeitgebern im Herbst freigestellt, da über den Winter längst nicht so viel Arbeit anfällt, wie in den anderen Jahreszeiten. Im Frühjahr müssen sie sich dann einen neuen Job suchen und den finden sie in den seltensten Fällen bei dem alten Arbeitgeber. Carpenter ist im weiten Umkreis der einzige Rancher, der Cowboys hat, die schon viele Jahre für ihn arbeiten. Entsprechend gut ist das Team natürlich aufeinander eingespielt und der Vormann weiß einhundertprozentig, wen er mit welchen Arbeiten am besten betrauen kann.

      Unwillig schüttelt das junge Mädchen die rote Mähne. Wozu sich jetzt schon den Kopf über vielleicht morgen ungelegte Eier zerbrechen. Immerhin kann sie sich glücklich schätzen, dass sie selbst ihren Job zurückbekommen hat.

      Das Morgen ist hoffentlich noch weit und heute ist jetzt. Außerdem, hat David nicht gesagt, die Papiere von der Bank wären so viel wert, dass sie sich zur Ruhe setzen könnte.

      Das Girl überlegt. Irgendwo in der Nähe von Cheyenne hat sie ein großes Schild an einer Farm gesehen, auf dem stand: ZU VERKAUFEN!

      ‚Wenn alle Stricke reißen, kaufe ich eine kleine Farm’, denkt sie. ‚Und dort werden die Widefields schon zurechtkommen. In dem Garten baue ich alles an, was wir zum Leben brauchen und um den Rest wird sich mein Liebling schon kümmern.’

      Ihr Blick ist weit in die Ferne gerichtet und sie lächelt vor sich hin, bis sie mit einem Ruck in die Realität zurückkehrt. ‚Das ist doch alles Mumpitz. Schließlich ist der alte Carpenter noch ganz gut beieinander und so, wie der eben geredet hat, wird der Mann hundert Jahre alt. Wer weiß, ob der uns nicht alle überlebt, besonders, wenn er meine Kinder noch in die Arme schließen will.’

      Bei dem Gedanken an Kinder sieht sie wieder ihr kleines, totes Baby vor sich, die Tränen schießen ihr in die Augen und plötzlich weiß sie, dass sie ein Kind möchte, so schnell wie möglich wieder ein Kind von David. Solange sie hier auf der Ranch sein darf, geht es einem Kind mit Sicherheit blendend, also, was liegt näher, als diesen Wunsch fix zu realisieren.

      Carol holt tief Luft. ‚Ich habe sogar Geld genug, um dem Zwerg eine gute Schulausbildung zukommen zu lassen!’ Sie seufzt. „Gerrit!“, schießt es ihr durch den Kopf und sie wird sich bewusst, dass sie den Namen laut ausgesprochen hat. „Gerrit, der Tölpel muss mir helfen, mein Geld gewinnbringend anzulegen, damit die Kinder mal etwas davon haben, wenn David oder mir was zustößt. Der Kerl ist zwar zu doof zum alleine überleben, aber was Gelddinge angeht, ist er unschlagbar!“

      Das Girl zieht den Packen Bankpapiere aus der Innentasche ihrer Weste und blättert nachdenklich darin. Sie betrachtet die Zahlen, die auf den einzelnen Blättern vermerkt sind und zuckt mit den Achseln. Lauter Nullen und das soll viel wert sein? Ihr fällt Davids unwillig gerunzelte Stirn ein, als er die Gesamtsumme errechnet hatte und sie schüttelt sich.

      Seufzend rollt sie die Blätter wieder zusammen und fixiert die Rolle mit einem Bändchen, dann tritt sie an ihren Sekretär und schiebt die Papiere in die hinterste Ecke des Geheimfachs. Schon will sie es verschließen, da fällt ihr noch etwas ein. Wieder greift sie in Ihre Westentasche und angelt nach dem Ehering ihrer Mutter, „Tja, Mama, nun hat es mit dem Enkelchen doch nicht geklappt, aber hoffentlich schenke ich der Welt bald einen kleinen Zwerg, in dem ihr weiterleben dürft.“

      Sie schaut auf den schmalen, goldenen Reif in ihrer Hand, gibt sich einen Ruck und legt ihn zu den Bankpapieren. Während sie das Geheimfach verschließt, flüstert


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