Nur ein Tropfen Leben. Christina M. Kerpen
Читать онлайн книгу.auf der Strecke geblieben ist.
Man sollte es kaum für möglich halten, aber sogar die Pferde machen einen gelösten Eindruck. Silky scheint zu spüren, dass es endlich nach Hause geht, er ist temperamentvoll und tänzelt elegant, wie schon lange nicht mehr. Er hatte die beiden Willow-Tree Pferde vor gut einem Monat sofort erkannt und sie mit einem lauten Wiehern willkommen geheißen und auch die beiden Stuten waren sofort auf den ihnen bekannten Geruch zugetrabt und hatten den Hengst mit sanften Stupsern ihrer weichen Nüstern begrüßt.
Nun sind es nur noch einige Tagesritte und dann wird alles wieder seinen gewohnten Gang gehen, einen fast gewohnten Gang, denn auf der Ranch weiß nun jeder, dass sich der Vormann und sein weiblicher Cowboy lieben. Und damit dürfen sie sich zukünftig in aller Öffentlichkeit zueinander bekennen und deswegen wird es nicht lange dauern, bis auch der letzte Bewohner von Ebony Town über ihre Beziehung informiert ist. Aber solange niemand etwas von ihrem zu frühen Fehltritt und seinen schwerwiegenden Folgen weiß, ist es dem Mädchen mittlerweile egal, ob sich die Klatschtanten des Städtchens über die Dahergelaufene das Maul zerreißen.
Auch dem Indian ist die Tratscherei gleichgültig. Ihm hat es noch niemals etwas ausgemacht, wenn einer über ihn geredet hat, über solchen Dingen steht er seit Kindertagen lässig. Sein Vater hat ihn gelehrt, sich nicht über Worte, und seien sie noch so gemein, aufzuregen, sondern nur sein persönliches Ziel zu verfolgen. Und David hat nur noch ein Ziel vor Augen. Er hat sich vorgenommen, dass er, David Geronimo Widefield, die kleine Miss Carol Anne Blake zu einer Mrs. Carol Anne Widefield machen wird und zwar so schnell wie möglich.
Die verlorene Tochter kehrt heim
Unser Trio legt ein ganz beachtliches Tempo vor und als würden es die Tiere ahnen, dass es dem heimatlichen Stall zugeht, müssen sie nicht angetrieben werden und endlich wird die Gegend immer vertrauter.
Als sie wieder einmal ihr Nachtlager aufschlagen, murmelt Carol glücklich: „Morgen sind wir zu Hause und ich verspreche es Euch, dann mache ich nie wieder solche Dummheiten. Vielleicht andere, aber ich laufe bestimmt nicht wieder weg, ganz bestimmt nicht. Diese eine Erfahrung langt mir, auch wenn ich sehr, sehr viel gelernt habe und es wirklich keine unangenehme Zeit gewesen ist.“ Sie umarmt erst David, dann John und strahlt: „Ich habe mich benommen, wie eine ganz dumme Gans. Ich hoffe, dass mir alle noch einmal verzeihen können. Ich bin halt manchmal doch noch ein reichlich dummes, naives Kind, auch wenn ich mir noch so viel Mühe gebe, erwachsen zu wirken. - Hach, ich liebe Euch!“
„Einsicht ist der erste Weg zur Besserung, Du Dummchen“, knurrt ihr Bruder und gibt ihr einen sanften Nasenstüber.
In dieser letzten Nacht vor der endgültigen Heimkehr nach Willow-Tree bekommt das Girl kein Auge zu. Sie ist aufgeregt und ganz kribbelig vor lauter Wiedersehensvorfreude. Sie lauscht nach den beiden Männern und hört John neben sich gleichmäßig atmen, mit leisen Schnarchern zwischendurch. Auch der Indian schläft tief und fest mit ruhigen Atemzügen.
Das Mädchen wickelt sich aus ihrer Schlafdecke und geht ein Stück spazieren. Außer Hörweite des Nachtlagers hockt sie sich auf einen Stein und schaut in den klaren Sternenhimmel.
Leise murmelt sie: „Lieber Gott, ich danke Dir, dass Du alles zu einem guten Ende gebracht hast. Bitte, lass mich in Zukunft immer etwas klüger und besonnener sein, damit ich nicht wieder so dumme Sachen mache und allen Menschen, die ich lieb habe, so grässlich weh tue. - Und bitte, lieber Gott, nimm mein kleines Söhnchen zu Dir. Auch wenn ich das Kind zuerst gar nicht wollte, jetzt vermisse ich es schrecklich, das Kribbeln und die Bewegungen in meinem Bauch. Seit das alles nicht mehr da ist, komme ich mir manchmal vor, wie eine leere, abgestorbene Hülle.“
Ihr steigen die Tränen in die Augen und gerade, als sie sie wegwischen will, legt sich von hinten eine Hand auf ihren Mund. In einem ersten Reflex will sie kräftig zubeißen, da hört sie Johns leise, beschwörende Stimme: „Pst, Schwesterchen, ich bin’s.“
Carol atmet auf. „Mann, Du hast mir vielleicht einen Schrecken eingejagt! Wahnsinn, musste das sein?“
„Entschuldige, aber ich wollte etwas mit Dir besprechen, noch bevor wir wieder in Ebony Town sind, aber auch ohne, dass der Boss uns zuhört.“
Erstaunt schaut das rothaarige Kind seinen Bruder an. So ernst hat er sie noch nie zu einem Gespräch aufgefordert.
„Carol, ich muss Dich unbedingt etwas fragen. – Hat Mutter mit Dir nie darüber gesprochen, dass Du – ähm, - dass Du, mit einem Mann, äh“, er stockt und stammelt: „dass Du nicht vor der Hochzeit mit einem Mann, na Du weißt schon.“ John ist ein wenig ungeduldig mit sich selbst und dadurch ein wenig ins Schleudern geraten.
Carol senkt leicht errötend den Blick, doch der Anflug eines Lächelns ist um ihre Mundwinkel deutlich zu erkennen. Sie flüstert leise: „Du meinst wohl mit dem ‚Na Du weißt schon’, das, was David und ich miteinander gemacht haben und wodurch ich in andere Umstände gekommen bin und ein Kind erwarten konnte, nicht wahr?“
Blacky nickt fast ein wenig erleichtert und als Carol das sieht, setzt sie frech hinzu: „Du meinst, dass David sein Ding nicht hätte in mich reinstecken dürfen?“
John wird bleich und schluckt: „Ich bin nicht prüde, Schwesterherz, aber irgendwie gefällt mir Deine Ausdrucksweise manchmal gar nicht.“
Carol prustet leise: „Aber so ist es doch, Du traust Dich nicht, die Sache beim Namen zu nennen. Warum fragst Du mich nicht einfach, ob ich nicht weiß, dass ein Mädchen vor der Hochzeit nicht mit einem Mann schlafen darf?“
„Du glaubst nicht, wie schwierig das ist, Liebes. - Mutter hat doch bestimmt mit Dir darüber gesprochen, dass sich das für ein anständiges Mädchen nicht gehört.“
„Und dennoch passiert es immer wieder. - Ach, Blacky, Du stellst Dir das wohl ganz einfach vor, aber so einfach und gerade ist es im Leben nun einmal nicht. Und gerade mein Leben ist ja sehr kurvenreich verlaufen.
Schau, ich war noch nicht mal vierzehn, wie Mutter starb, also in aller Augen noch ein Kind und mit einem Mädchen von dreizehn Jahren bespricht man derart unanständige Dinge nicht. Mutter hat mit mir nie darüber geredet und ich war mehr oder weniger wirklich unaufgeklärt, als ich das erste Mal mit David geschlafen habe.“
„Aber Du musst Doch regelmäßig, ähm, unpässlich gewesen sein. Wusstest Du nicht, dass das bedeutet, dass eine Frau reif genug ist ein Kind kriegen zu können?“
Das Girl schluckt: „Ich bin bisher von dieser Migräne, wie Susan es immer zu nennen pflegt, verschont geblieben und habe mir auch keine Gedanken über die Vorgänge in meinem Körper gemacht. Erst Dr. Steel hat mir alles genau erklärt und da war es schon zu spät, da wuchs das Baby schon in mir. Tja, also wie ich das erste Mal mit David zusammen war, hatte ich keine Ahnung, was auf mich zukommen könnte, ja, ich hatte doch noch nicht mal von der rein technischen Seite eine große Ahnung.“
Hörbar zieht John die Luft in seine Lungen. „Carol!“ Seine Stimme hat einen etwas vorwurfsvollen Tonfall angenommen.
Ungerührt erzählt das Mädchen weiter. „Mir ist es zwar mal erklärt worden, aber kapiert hatte ich nicht die Bohne. – Nachdem Mutter gestorben war, habe ich mich auf die Socken gemacht, um Dich zu suchen. Das war aber nicht unbedingt im Sinne der Erwachsenen, die meinten, ich sei noch zu jung, um auf mich alleine gestellt durch die Lande zu reisen. Ewig waren mir irgendwelche wohlmeinenden Leute, vor allem aber Gesetzeshüter, auf den Fersen, die unbedingt meinten, ich müsse in der Obhut Erwachsener groß werden. Einmal traf ich einen besonders eifrigen Sheriff, der glaubte, nur eine Anstalt für schwer erziehbare Mädchen sei für mich der geeignete Aufenthaltsort. Ich bin damals bei einer Witwe untergekrochen, die mit diesem Mann befreundet war und seine Meinung keinesfalls teilte und mir half, so gut sie konnte. Diese Frau hatte eine Tochter, die in einem Saloon arbeitete und unheimlich oft Besuch von Männern bekam. Manchmal waren es sogar mehrere in einer Nacht und ich glaube, keiner der Kerle kam mehr als einmal zu ihr. Manchmal kamen auch am Tag welche und ich wurde dann immer fortgeschickt. Entweder haben die mich in der Speisekammer versteckt oder aber nach draußen