Das Feuer. Henri Barbusse
Читать онлайн книгу.sich dehnen und sich über die Erde strecken gleich unseligen Engeln, glauben sie eine weite Ebene zu schauen. Gestalten kriechen aus der Ebene, die lauter Kot und Wasser ist, und sie krampfen sich wie schiffbrüchige Ungeheuer an die Erde, unter der Last des Kotes, der sie blind macht. Den Beschauern aber ist, als seien es Soldaten. Die ungeheure Ebene trieft von Feuchtigkeit und die parallelen Spuren langer Kanäle durchfurchen sie; Löcher bohren sich voll Wasser in die Erde. Jener Schiffbrüchigen aber, die aus der Erde kriechen, sind es Unzählige … Und die dreissig Millionen Sklaven, die das Verbrechen und der Irrtum in jenen Krieg des Kotes gestürzt, heben ihr Menschenantlitz empor, in welchem endlich ein Wollen keimt. Die Zukunft liegt in den Händen der Sklaven und man versteht nun, dass eine neue Welt erstehn wird in der Verbrüderung jener, deren Zahl und Elend ohne Grenzen sind.
*
II. In der Erde.
Donnerschläge grollen unterm grossen, bleichen Himmel und jedesmal, wenn ein Blitz rotleuchtend aufzischt, zerfällt ein Feuerstrang dort unten, wo die Nacht noch dunkelt und eine Rauchwolke steigt hinauf ins anbrechende Morgenlicht.
Hoch oben, in der Ferne hört man den Flug schrecklicher, unsichtbarer Vögel, die mit machtvollem und schnurrendem Atemzug zum Himmel steigen, sich die Erde zu besehn.
Die Erde! Mählich erscheint diese Wüste, unbegrenzt und wassertriefend in der endlosen Trübseligkeit des Morgengrauens. Man entdeckt feuchte Flächen und Trichter, in denen das Wasser unter dem scharfen Morgenwinde erzittert; dann sieht man die wässrigen Spuren, die nächtliche Züge und Truppenteile in jenes Feld der Unfruchtbarkeit eingestampft haben. Wie lange Schienen ziehn sie sich durch die Ebene und haben einen metallnen Glanz im armseligen Dämmerlicht. Hier und dort stecken zerbrochne Pfähle einsam in Kothügeln und gekreuzte Stützpflöcke liegen zerschlagen neben aufgerollten, zerschundnen Drahtbüscheln. Es scheint, als schwimme ein riesengrosses, graues Tuch auf dem Meere, stellenweise überschwemmt. Es regnet nicht, aber alles ist nass, triefend schiffbrüchig und verwässert und das fahle Licht scheint über die Landschaft zu fliessen.
In langen Gräben, die sich durch die Ebene schlängeln, verkriechen sich die letzten Schatten der Nacht. Es ist der Schützengraben, auf dessen glitschigem Grund der Fuss kleben bleibt und sich bei jedem Schritt zischend loslöst. Es stinkt um die Unterstände herum vom Urin der Nacht und auch aus den Schlupfwinkeln stinkt es, wenn man sich im Vorbeigehn hineinbeugt, wie aus Mäulern.
Ich sehe aus den seitlichen Schachten Schatten ragen, die ihre plumpen und unförmigen Massen hin und her bewegen, wie knurrende, tappende Bären. Diese Schatten sind wir.
Wir sind eingemummt wie Lappländer und eingepackt in Wollzeug, in Decken und Säcke, die uns überragen und uns grotesk aufblähen. Einige strecken sich, laut gähnend. Man sieht rötliche oder bleifarbne Gesichter mit Schmutzstreifen, die ihnen wie Schmisse im Gesicht sitzen, ihre Augen blinzeln wie schläfrige Nachtlichter und haben klebrige Ränder. Verwilderte Bärte sitzen büschelartig an den Wangen; andere haben kotige Stoppeln am Kinn.
Tak! Tak! Pam! Gewehrschüsse schnarren, Kanonen brummen; über uns, überall her knattert es, donnert ein gedehntes Rollen oder knallen einzelne Schüsse; und dieses wütende, flammende Gewitter hat nie, nie ein Ende. Seit mehr als fünfzehn Monaten, seit fünfhundert Tagen dauern auf diesem Erdfleck das Gewehrfeuer und das Schiessen ununterbrochen an, vom Morgen bis zum Abend und vom Abend bis zum Morgen. Man hockt verscharrt in ein endloses Schlachtfeld, aber wie man damals in jener fast märchenhaften Zeit das Ticken der Uhren in unseren Stuben nur hörte, wenn man hinhorchte, so auch hier den Lärm.
Jetzt kriecht ein Puppengesicht aus der Erde mit aufgedunsenen Augenlidern und karminroten Bäckchen, als habe man sie mit roten Quadrätchen beklebt und öffnet ein Auge und dann das andere; es ist Paradis. Auf seiner Haut kleben noch wie Striemen die eingedrückten Spuren seines Zelttuches, in das er zum Schlafe den Kopf eingewickelt hatte.
Er blickt mit seinen kleinen Augen um sich, sieht mich, nickt mir zu und sagt:
– Wieder eine Nacht vorbei, Alter!
– Ja, mein Sohn, und wie viele werden wir noch durchzuhalten haben?
Er streckt seine dicken Arme zum Himmel, hat sich auf der Leiter aus dem Unterstand herausgequetscht und steht neben mir. Dann stolpert er über eine dunkle Masse, die im Halbdunkel kauert, kratzt sich krampfhaft unter rauhen Seufzern und humpelt von hinnen wie ein Pinguin in einer sündflutlichen Landschaft.
*
Allmählich tauchen die Leute aus ihren Schlupfwinkeln hervor und Schattenklumpen lösen sich aus allen Ecken los; dann bewegen sich diese menschlichen Schatten und nehmen deutlichere Formen an und einer nach dem andern wird erkennbar. Da steht einer, seine Decke über dem Kopf; er sieht aus wie ein Wilder oder vielmehr wie das Zelt eines Wilden, das schaukelnd herumschwankt. Von nahem unterscheidet man, in ein breites gestricktes Wollzeug eingerahmt, ein viereckiges, jodgelbes Gesicht mit dunklen Flecken und gebrochner Nase, eng zusammenstehenden Schlitzaugen mit rosiger Umrandung und einem kleinen Stoppel-Schnurrbart, feucht wie eine Fettbürste.
– Hola Volpatte! Wie gehts Firmin?
– Es geht, es geht, immer hin und her, sagt Volpatte.
Er hat einen trägen Tonfall, den seine Heiserkeit noch beschwert. Dann hustet er.
– Ein Husten, zum Verrecken! Du, hast du gehört heut Nacht, die Attacke? Alter, das war ein Bombardement, das reinste Absieden!
Er zieht die Luft durch seine eingefallne Nase und fährt mit dem Aermel drüber. Dann schiebt er die Hand unter Mantel und Weste, greift nach seiner Haut und kratzt sich.
– Dreissig Stück hab ich beim Kerzenlicht gefangen, grunzt er. Im grossen Unterstand neben dem Schleichweg kannst du was erleben; im Stroh sieht man sie rumkrabbeln, wie ich dich hier sehe.
– Wer hat angegriffen, die Deutschen?
– Sie und wir auch, bei Vimy; ein Gegenangriff. Hast du nichts gehört?
– Nein, antwortet für mich der dicke Lamuse, der Stier-Kerl. Ich schnarchte. Kannst dir ausrechnen, letzte Nacht Dienst gehabt.
– Ich hab was gehört, sagt Biquet, der kleine Bretone. Hab' schlecht geschlafen, oder, besser gesagt, gar nicht geschlafen. Ich hab 'nen Spezial-Unterstand. Das Hurenloch, da guck her.
Er zeigt mit dem Finger auf einen nicht sehr tiefen Graben, in dem es auf einem dünnen Mistbett gerade für einen Platz hat.
– In der Nusschale schlafen, sagt er, und nickt mit seinem kleinen, harten und eckigen Schädel, der aussieht, als sei er noch nicht fertig ausgefeilt. Ich hab fast nicht geschlafen; eingeschnarcht war ich zwar schon, aber die Ablösung vom 129ten ist hier durch und hat mich aufgeweckt, aber nicht durch den Lärm, sondern durch den Gestank. Die Kerle mit ihren Füssen an meiner Nase vorbei! Das weckt einen totsicher auf; Nasenfieber kriegst du davon.
– Ich kenne das. Wie oft bin ich nicht selbst im Schützengraben aufgewacht an jener schweren Stickluft, die eine Abteilung beim Marsche wie eine Spur hinter sich herzieht.
– Wenn die Läuse wenigstens dran kaput gingen, sagt Tirette.
– Bewahre, die kriegen im Gegenteil Beine davon, meint Lamuse. Je dreckiger du bist, je lausiger, sag ich dir, um so mehr lieben sie dich, die Läuse.
– Uebrigens war's mein Glück, fährt Biquet fort, dass sie mich mit dem Stinkgeruch aufgeweckt haben. Ich erzählte es soeben dem dicken Schmerbauch da, hab zur rechten Zeit meine Gucklöcher aufgesperrt und erwischte grad noch das Zeltdach über meiner Schlafkapsel, sonst hätte sie mir so ein schuftiger Mistkäfer gemaust.
– Lauskerle sind die vom 129ten.
Zu unsern Füssen unterscheidet man, unten im Graben, eine menschliche Gestalt, die das Morgenlicht noch nicht traf; sie hockte unten