Das Feuer. Henri Barbusse

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Das Feuer - Henri Barbusse


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Uniformen und ihre Gesichter und lässt sie ins Ungeheuerliche wachsen. Dem einen hängt im Rücken ein weiss- und rotkarriertes Wachstuch, das er im Vorübergehn irgend in einem gastfreundlichen Esszimmer aufgegabelt hat: es ist Pépin, den man von weitem schon an diesem Harlekinfetzen besser erkennt als an seinem bleichen Apachengesicht. Hier wölbt sich Barques Brustlatz, den er sich aus einer Steppdecke ausgeschnitten hat, früher mal rosafarben, jetzt aber unter Staub und Regen abgeschossen und moiriert. Dort steht der mächtige Lamuse wie eine Turmruine mit Reklame-Ueberbleibseln. Der kleine Eudore trägt einen Rückenpanzer aus Moleskin, so dass er von hinten aussieht wie ein polierter Käfer; aus allen heraus aber ragt Tulacque mit seinem gelben Häuptlings-Brustkasten.

      Der Helm überm Kopf bringt eine gewisse Einförmigkeit, und dies auch nicht immer! Manchem sitzt er nämlich auf dem Käppi, wie dem Biquet, oder wie Cadilhac auf der Pelzmütze, andern wieder auf der Baumwollmütze, wie Barque; das alles kompliziert noch die Sache und bringt die verschiedensten Spielarten hervor.

      Und unsre Beine! … Eben kroch ich gebückt in unsern Unterstand, eine niedere Höhle, in der man über leere Konservenbüchsen und schmutzige Lumpen glitscht und wo es nach muffiger Feuchtigkeit riecht; zwei lange Leiber lagen schlafend am Boden, während eine knieende Gestalt beim Kerzenlicht in einem Brotsack stöberte … Als ich nun wieder hinauskletterte, kamen mir, indem ich durch die rechteckige Oeffnung sah, Beine zu Gesicht. Da gab es wagrechte, senkrechte und schiefstehende, ausgebreitete, eingeklappte und verstrickte, die den Durchgang versperrten und die von jenen verwünscht werden, die sich durchdrücken möchten. Sie bieten jedenfalls eine an Farben und Formen äusserst reiche Auswahl: Gamaschen, schwarze und gelbe Wadenbekleidungen, lange und kurze, aus Leder, gegerbtem Tuch oder sonstigem wasserdichtem Gewebe: dunkelblaue, hellblaue, schwarze, resedafarbige, kaki und hellgraue Wadenbinden … nur Volpatte trägt noch, einzig in seiner Art, von der Mobilisation her, die kleinen Ordonnanzbinden. Mesnil André führt seit zwei Wochen ein Paar dicke, grüne und gerippte Wollstrümpfe spazieren, während man Tirette von jeher mit grau und weiss gestreiften Tuchbinden gekannt hat, die von einer Zivilhose herrühren und gottweiss, wo diese Zivilhose bei Kriegsausbruch gehangen hat … Und Marthereau erst, dessen Binden nicht genau gleich in der Farbe sind; als er sie nämlich zurechtschneiderte, konnte er unmöglich zwei Mantelfetzen ausfindig machen, die gleich abgenützt und dreckig gewesen wären. Daneben gibt es in Lumpen, ja sogar in Zeitungen eingewickelte Beine, um die sich Schnüre und, was noch praktischer ist, Telephondrähte spiralenförmig winden. Pépin protzt vor den Kameraden und den Passanten mit einem Paar fuchsgelben Gamaschen, die er einem Toten gepumpt hat … Barque, der auf Findigkeit und Ideenreichtum Anspruch erhebt (womit er einem, weiss Gott, zuweilen auf die Nerven geht), der Bruder Barque leistet sich weisse Waden: er hat sich nämlich Verbandbinden um die Gamaschen gewickelt, um sie zu schonen; diese weisse Farbe an der Basis seiner Gestalt passt zu seiner Baumwollmütze, die unter seinem Helm herausschaut und unter der wiederum der feuerrote Haarbüschel eines Clowns hervorguckt. Poterloo marschiert seit einem Monat in den Stiefeln eines deutschen Infanteristen herum; es sind schöne, fast noch neue Stiefel mit Hufeisen am Absatz. Caron hat sie ihm anvertraut, als er seines Armes wegen wegkam. Caron selbst hatte sie einem bayrischen Mitrailleur abgenommen, der auf der Pylones-Strasse gefallen war. Ich höre noch Caron die Geschichte erzählen:

      – Jawohl, mein Lieber, da lag er, der Bruder Hiroton, zusammengeklappt, den Hintern in einem Loch; er blinzelte den Himmel an, die Beine in der Luft. Er hielt mir seine Komisstiefel hin, als wollte er sagen, der Streich lohne sich. Werden wir schon machen, sagt ich mir. Aber Mensch, die Schinderei, dem die Stiefel auszuziehn! Abgeschunden hab ich mich, dran gezogen, gedreht, geschüttelt … eine halbe Stunde, mein Ernst; mit seinen stocksteifen Haxen, ohne Behilflichkeit seinerseits. Und als ich eine lange Zeit dran gewürgt hatte, da gingen dem Leichnam schliesslich die Beine an den Knien aus dem Leim und seine Büchsen desgleichen und die ganze Bescherung nach, mit einem Ruck! Auf einmal stand ich da, in jeder Pfote einen gefüllten Stiefel. Und nun hiess es, die Beine und die Füsse rausnehmen.

      – Na, du trägst dick auf!

      – Frag den Radfahrer Euterpe, ob's nicht wahr ist. Wenn ich dir sag, dass er dabei war: mit den Händen haben wir Knochen, Sockenfetzen und Fusstücke rausgezogen. Aber guck her, gelohnt hat sich die Sache!

      … Und während Carons Abwesenheit trägt Poterloo für ihn die Stiefel ab die der bayrische Mitrailleur nicht mehr selbst hat abtragen können.

      Und so wehrt man sich mit regsamem Erfindungsgeist und allerlei kühnen Hilfsmitteln gegen den schrecklichen Mangel an häuslicher Einrichtung. Jeder ist wie ein Zeugnis dessen, was er in der tiefen Armseligkeit, die ihn überfallen hat, zu erfinden wusste und auszuführen sich nicht scheute.

      Mesnil Joseph schlummert, Blaire gähnt, Marthereau qualmt stieren Blickes. Lamuse kratzt sich wie ein Gorilla und Eudore wie ein Seidenaffe; Volpatte hustet und sagt, ich werde verrecken; Mesnil André hat Spiegel und Kamm vorgeholt und pflegt seinen schönen braunen Bart wie eine seltene Pflanze. Die eintönige Stille wird zuweilen durch Anfälle verzweifelten Schüttelns unterbrochen, hervorgerufen durch die endemische, chronische und ansteckende Gegenwart der Parasiten.

      Barque aber, der ein guter Beobachter ist, lässt seine Blicke in der Runde spazieren, zieht seine Pfeife aus dem Munde, spuckt, zwinkert mit dem Aug und meint:

      – Man sieht sich doch verdammt unähnlich.

      – Wie sollte man auch? fügt Lamuse hinzu; das wär schon ein Wunder.

      *

      Unser Alter? Alle möglichen Alter haben wir. Unser Regiment ist ein Reserveregiment, das durch verschiedentlichen Nachschub teils aus der aktiven Armee, teils aus der Landwehr ergänzt worden ist. In dem einen halben Zug gibt's Landwehr-Reserven, Anfänger und Halbflügge. Fouillade ist vierzig, Blaire könnte Biquets Vater sein, der selbst ein Fläumling ist und zum Jahrgang 13 gehört. Der Korporal redet den Marthereau mit »Grossvater« an oder mit »alter Schutthaufen«, je nachdem er im Spass oder im heiligen Ernst spricht. Mesnil Joseph wäre jetzt in der Kaserne, wenn nicht Krieg wäre. Es berührt uns schon merkwürdig, wenn wir uns führen lassen müssen von unserm Sergeanten Vigile, einem kleinen netten Kerl mit einem Anflug von Härlein an der Oberlippe und der letzthin im Standquartier mit kleinen Mädchen Seil hüpfte.

      In unserer zusammengewürfelten Gruppe, in dieser Familie ohne Verwandtschaft, an diesem Herd ohne Heim sitzen dicht nebeneinander drei Generationen und leben, warten reglos wie unförmige Statuen, wie starrende Meilensteine.

      Unsre Rassen? Alles mögliche ist bei uns vertreten und aus allen Gegenden sind wir zusammengelaufen.

      Meine Nachbarn zum Beispiel: Poterloo ist Minen-Arbeiter aus der Calonne-Grube und hat eine rosige Gesichtsfarbe, strohgelbe Augenbrauen, flachsbläuliche Augen und einen dicken goldgelben Schädel, für den man lange in den Magazinen nach der mächtigen blauen Schüssel gesucht hat, die ihn behelmt. Fouillade dagegen ist Schiffsmann von Cette und rollt ein Paar teuflische Augen; er hat das lange, magere und geigenbraune Gesicht eines romantischen Haudegens und eingefallene Wangen; so sind meine beiden Nachbarn in der Tat voneinander verschieden wie Tag und Nacht.

      Und nicht minder der Kontrast zwischen Cocon, jener langen, bebrillten Bohnenstange, mit der vom Grosstadtdunst zersetzten Hautfarbe und zwischen Biquet, dem rauh zugeschnittenen Bretonen mit grauer Gesichtsfarbe und seinem Pflastersteinkiefer; und André Mesnil, der gemütliche Apotheker aus der normannischen Unterpräfektur, der einen hübschen, zarten Bart trägt und der so viel und so gut spricht; er hat nicht viel gemeinsames mit Lamuse, dem fetten Bauern aus dem Poitou, mit seinen Faustbacken und seinem Stier-Nacken. Barque, der sämtliche Strassen von Paris abgeklopft hat, spricht die Sprache der Pariser Vorstadt, wogegen andere aus dem 3. Landwehr-Regiment den singenden, fast belgischen Akzent des Nordens haben; dazwischen tönt wiederum die klangvolle Sprache der 144., die über die Silben wie über Pflaster rollt und schliesslich der Dialekt der Auvergnaten vom 12., die sich wie Ameisen gegenseitig anziehen und inmitten der übrigen einen abgesonderten Block bilden … Ich erinnere mich noch, wie Tirette, dieser Spassvogel, sich mit folgenden Worten vorstellte: »Ich, Kinder, ich bin von Clichy-la-Garonne! Wer hat da noch Worte?« Und


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