Das Feuer. Henri Barbusse
Читать онлайн книгу.Aeugelchen blinzelten in seinem staubigen Gesicht. Ueber der Oeffnung seines Mundes, in dem kein Zahn mehr zu sehen war, sass als gelber Büschel ein dichter Schnurrbart. Seine Hände hatten einen finstern Zug und ihr Rücken war derart verdreckt, dass sie ein Fell zu decken schien; die Handfläche war hart und grau. Seine ganze Gestalt, mürbe wie eine verschrumpfte, erdbedeckte Wurzel, hatte den muffigen Geruch eines alten Kochtopfes.
Er kratzte sich und sprach mit dem langen Barque, der ein wenig von ihm Abstand wahrte und nur sein Ohr hinhielt.
– Zu Hause bin ich nicht so dreckig, meinte er.
– Da hast du dich verdammt geändert, antwortete Barque.
– Dein Glück, platzte Tirette heraus, sonst kriegte nämlich deine Frau Negerbengels von dir.
Blaire wurde wild und zog seine Brauen an seiner schwarzbesudelten Stirn zusammen.
– So lass mich doch in Frieden. Was du nur mit mir hast? Krieg ist Krieg. Glaubst du, der ändert dir deine Manieren nicht, du Bohnenfratze? Begaff dich doch selbst, du Affenschnauze, Arschbackengesicht du! Die Redensarten bringt auch nur ein Kamel wie du raus.
Er fuhr mit der Hand über die graue Schicht, die sein Gesicht bedeckte; sie war durch den Regen dieser Tage klebrig geworden und tatsächlich nicht zum wegbringen. Dann fügte er hinzu:
– Uebrigens wenn ich bin, wie ich bin, so ist das meine Sache. Erstens hab ich keinen Zahn mehr. Der Bataillonsarzt hat mir schon lange gesagt: »Hast keinen Zinken mehr, das langt nicht. Bei der nächsten Pause, hat er gesagt, gehst du in den estomatologischen Wagen.«
– Tomatologischer Wagen, berichtigte Barque.
– Stomatologisch, belehrte Bertrand.
– Man kriegt's zwar umsonst, fuhr Blaire fort, aber gegangen bin ich doch nicht.
– Ha, und weshalb nicht?
– Halb wegen der Versetzung, antwortete er.
– Bist reif zum Küchenoberst, meinte Barque; das war eigentlich was für dich.
– Ganz deiner Meinung, machte Blaire einfach, worüber man lachte. Dies aber beleidigte ihn, er stand auf und meinte:
– Ich kriege Bauchgrimmen bei euch, ich geh 'nen Kaktus pflanzen.
Als er dann im Morgengrauen verschwunden war, wurde von den andern jene Wahrheit noch mal durchgekaut, dass es nichts gemeineres auf Erden gibt als die Köche.
– Wenn ein Kerl derartig schmierige Haut und dreckige Kleider hat, dass er nur noch mit Zangen anzugreifen ist, so kannst du Gift drauf nehmen, 's ist ein Küchenchef. Je dreckiger, desto eher ist er Küchenchef.
– Das ist sicher wahr und wahrhaftig, sagte Marthereau.
– Da kommt Tirloir. He! Tirloir!
Tirloir beschäftigt ein Gedanke; er schnüffelt nach rechts und schnüffelt nach links; sein dünner, chlorbleicher Schädel wiegt sich im Wulst seines Mantelkragens, der ihm viel zu dick und zu weit ist. Sein Kinn ist zugespitzt und die obere Zahnreihe vorspringend; um seinen Mund gräbt sich tief eine Falte ein wie ein Maulkorb. Er ist wütend wie gewöhnlich, und wie immer hat er was zu schimpfen.
– 's hat mir einer meinen Brotsack gemaust, heut Nacht.
– Wohl einer von der Ablösung vom 129ten. Wo lag der Brotsack?
Tirloir deutet auf ein Bajonett, das in der Wand steckt, neben dem Eingang eines Unterschlupfes:
– Da hing er, an dem Zahnstocher hier.
– Schafskopf! tönt es allgemein. Da langt doch jeder mit der Hand hin! Bist wohl verrückt?
– 'ne Gemeinheit ist es doch, jammert Tirloir.
Dann packt ihn plötzlich die Wut. Sein Gesicht schrumpft in Falten zusammen, wutschnaubend; seine kleinen Fäuste ballen sich wie Seilknoten, mit denen er in der Luft herumfuchtelt.
– Das kann ich nur sagen: wenn ich den Hund erwische, hau ich ihm 's Maul kaput, den Ranzen stoss ich ihm ein, ich … ein ganzer Camembert war noch drin. Ich werde noch mal auf die Suche gehn.
Er massiert sich den Bauch mit der Faust, wie eine Gitarre mit kleinen, knappen Schlägen und macht sich davon. Seine Silhouette schreitet in die Morgendämmerung davon, würdig und zugleich wie die Fratze eines Kranken, der sich in seinen Schlafrock verkriecht. Noch hörte man ihn fluchen, bis er schliesslich verschwand.
– Das Kamel, machte Pépin, worauf die andern lachten.
– Er hat einen Spleen, er ist total verrückt, erklärt Marthereau, der die Gewohnheit hat, durch den gleichzeitigen Gebrauch zweier Synonyma seinen Aeusserungen das Rückgrat zu stärken.
*
Da, Alterchen, sagt Tulacque, der soeben erscheint, guck dir mal das an.
Tulacque ist ganz hervorragend. Er trägt ein zitronengelbes Wams, das er sich aus einem geölten Schlafsack zurechtgeschneidert hat. Für den Kopf hat er in der Mitte ein Loch herausgeschnitten und über das Ganze seine Achselriemen und den Gurt geschnallt. Tulacque ist gross und knochig im Bau. Wenn er geht, streckt er sein energisches Gesicht vor; in seinem Blick liegt etwas verdächtiges. In der Hand hält er einen Gegenstand.
Heut nacht hab ich das gefunden beim graben am »neuen Schlauch«, als man die verfaulten Holzrahmen ausgewechselt hat. Hat mir gleich imponiert, das Zeug. 'S ist ein Beil, älteres Kaliber.
»Aelteres Kaliber« stimmte unbedingt: es bestand aus einem zugespitzten Stein und einem braunen Knochen als Griff. Es schien mir ein prähistorisches Stück zu sein.
– Es liegt einem famos in der Hand, sagt Tulacque, indem er das Werkzeug schwingt. Tatsache, gar nicht so schlecht ausgedacht, jedenfalls besser, als das heutige Ordonnanz-Beil. Tadellos, weisst du; da, probier mal … was? Aber wieder zurückgeben. Ich behalt mir das Zeug auf; das kann mir sicher mal Dienste leisten …
Er schwingt sein vorsündflutliches Beil und scheint selbst ein Pitecanthropus mit Flittergold, der in den Eingeweiden der Erde haust.
*
An der Biegung des Schützengrabens stehen wir nun aneinander, wir von der Bertrandschen Korporalschaft und vom halben Zug. An dieser Stelle ist der Graben etwas breiter als an seinem geraden Teil, und wenn andre vorübergehn, drückt man den Rücken an die Wand, aber die Bäuche streifen noch aneinander.
Unsere Kompagnie steht in Reserve in einem Parallelgraben zweiter Linie. Hier gibts keinen Wachpostendienst. Nachts sind wir für Erdarbeiten vorne gut, aber tagsüber gibt es für uns nichts zu tun. So hocken wir aneinandergepfercht, Ellenbogen an Ellenbogen, und schlagen, wie's geht, bis zum Abend die Zeit tot.
Das Tageslicht ist schliesslich in die endlosen Erdschlitze, die diese Gegend durchfurchen, eingesickert und beleckt die Schwelle unserer Höhlen. Trübseliges Licht des Nordens, niedrer und schlammiger Himmel, an dem der Rauch und Gerüche von Fabriken zu kleben scheinen. In dieser bleichen Beleuchtung erscheint die Gelegenheitskleidung jener tiefsten Menschenschicht ungeschminkt in der unendlichen und verzweifelten Armseligkeit, die sie schuf. Aber es steht damit wie mit dem eintönigen Tik-Tak des Gewehrfeuers und dem Brummen der Kanonen: zulange schon dauert das Drama, das wir spielen, als dass man sich noch über das Aussehen aufhielte und über die Verkleidung, die man sich erfunden hat, zum Schutze gegen den Regen, der von oben kommt, gegen den Dreck, der von unten kommt und gegen die Kälte, die wie eine Unendlichkeit überall fliesst.
Tierfelle, Deckenbündel, Tücher, Pelzmützen, Wollkappen, gefütterte Mützen, Halstücher, dick über den Mund gezogen oder als Turban über dem Schädel auspolsternde Unter- und Oberleibchen, Ueberzüge von geteerten, gummierten