Das Feuer. Henri Barbusse

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Das Feuer - Henri Barbusse


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Berufe? Auch so ziemlich alles durcheinander. In früheren Zeiten, als man sich noch einer sozialen Stellung erfreute und man seine Zukunft in diese verregneten und beschossenen Maulwurfslöcher, die man immer wieder neu aufscharren muss, noch nicht vergraben hatte, damals waren wohl die meisten von uns Ackersleute und Arbeiter. Lamuse war Knecht, Paradis Fuhrmann; Cadilhac, dem der Kinderhelm auf seinem spitzen Schädel wackelt gleich einer Kuppel auf einem Kirchturm, wie sich Tirette ausdrückt, Cadilhac ist Grundbesitzer; Papa Blaire war Pächter in der Brie; Barque dagegen war Laufbursche und vollbrachte auf seinem Dreirad akrobatische Kunststücke, sich zwischen Pariser Trambahnen und Taxametern durchschlängelnd, wobei er, nach seiner eigenen Aussage, auf den Strassen und Plätzen den bestürzten Hühnerstall der Fussgänger in ganz hervorragender Art anbrüllte; Korporal Bertrand, der sich stets schweigsam und korrekt ein wenig abseits hält, mit seinem regelmässigen und exakt zugeschnittenen Gesicht, mit seinem schönen, wagerechten und mannhaften Blick, war Werkmeister in einer Röhrenfabrik. Tirloir bepinselte Kutschen, ohne zu murren, wie versichert wird. Tulacque hatte eine Weinpinte an der »barrière du Trône« und Eudore, der bleiche und sanfte Eudore führte an einer Landstrasse unweit von der jetzigen Front eine Wirtschaft; sie hat unter den Geschossen sehr gelitten – natürlich, denn, wie bekannt, hat Eudore kein Glück. Mesnil André, der noch die letzten Spuren von Zivilisation aufzuweisen hat und seine Haare pflegt, verkaufte Natron und garantiert unfehlbare Mittel (an einem grossen Platz); sein Bruder Joseph verkaufte Zeitungen und illustrierte Romane in einem Bahnhof der Staatseisenbahn, während Cocon, der Ziffermensch, fern von hier, in Lyon, hinter dem Ladentisch einer Eisenhandlung mit einer schwarzen Bluse und bleifarbenen, polierten Händen sich zu schaffen machte. Becuwe, Adolphe und Poterloo dagegen stiegen, wenn der Morgen graute, hinter dem armseligen Sternchen ihrer Laterne in die Kohlengruben des Nordens.

      Und andere hat es noch, deren Berufe man immer wieder vergisst und die man miteinander verwechselt; und dann die Landstromer, die zehn Berufe zugleich in ihrem Ranzen führen, Pépin nicht zu vergessen, der zweifelhafte Pépin, der wohl nie einen Beruf gehabt hat (alles was man weiss, ist, dass er vor drei Monaten, nach seiner Wiederherstellung im Depot geheiratet hat, um … die staatliche Unterstützung der Wehrmannsfrauen zu beziehen).

      Freie Berufe gibt es keine in meiner Umgebung. Lehrer sind Unteroffiziere bei der Kompagnie oder bei der Sanität. Im Regiment befindet sich ein Marist als Sergeant, dem Sanitätsdienst zugeteilt; ein Tenor ist Radfahrer beim Bataillons-Arzt; ein Advokat Sekretär des Obersten; ein Rentier Küchenkorporal bei der Verwaltungs-Kompagnie. Bei uns dagegen nichts von alledem; denn wir sind kämpfende Soldaten, wir; und während dieses Krieges werden die wenigsten unter den Intellektuellen, den Künstlern oder den Reichen ihr Gesicht an eine Schiesscharte vorgewagt haben, allerhöchstens im Vorbeigehen oder mit ein paar Streifen am Käppi.

      Gewiss, man ist grundverschieden von einander.

      Und doch sieht man einander so ähnlich.

      Trotz Altersunterschiede, trotz verschiedener Herkunft, Bildung und Stellung, trotz alledem, was früher war und trotz der Abgründe, die uns einst von einander trennten, sind wir im grossen und ganzen einer wie der andere. Hinter einer rauhen Silhouette verbergen sich und zeigen sich die gleichen Sitten, die gleichen Gewohnheiten, der gleiche vereinfachte Mensch, der auf den Urzustand zurückgekommen ist.

      Die gemeinsame Ausdrucksweise, jenes mit einigen Neubildungen aus der Werkstatt-, Kasernensprache und Dialekt gewürzte Gemisch verbindet uns wie eine Sauce jener gedrängten Ansammlung von Männern, die seit Monden Frankreich entleert, um sich im Nord-Osten anzustauen.

      Und dann kettet uns hier das gleiche unwiderrufliche Schicksal aneinander, wo uns eine höhere Macht und das gewaltige Abenteuer auf die gleiche Stufe stellt. So muss man wohl nach Wochen und Monaten einer allgemeinen Aehnlichkeit unterliegen. Die schreckliche Enge des gemeinsamen Daseins, das uns aneinanderdrängt, passt uns gegenseitig an, verwischt alle Unterschiede, und jeder wird unwiderruflich davon angesteckt; so dass wir einander schliesslich ähnlich sehen, ohne dass man erst aus der Ferne zum Eindruck jener Gleichheit gelangte, aus einer Ferne, für die wir nur Staubkörnchen sind, die in der Ebene umhergetrieben werden.

      *

      Man hockt da und wartet; dann wird man müde vom hocken und steht auf. Beim Aufstehen aber quetschen einem die Gelenke wie gleitendes Holz oder alte Türangeln; in der Feuchtigkeit rostet der Mensch ein wie 's Gewehr, langsamer zwar, aber gründlicher. Und dann fängt das Warten wieder von vorne an, und man versucht es auf andere Weise.

      Ein Warten ohne Ende ist der Kriegszustand. Man wird zur Wartemaschine. Augenblicklich wartet man gerade auf die Suppe. Dann kommen die Briefe an die Reihe. Doch jedes Ding zu seiner Zeit: erst wenn man mit der Suppe fertig ist, wird man an die Briefe denken. Und dann wird es irgend was anderes zum abwarten geben.

      Hunger und Durst sind brennende Instinkte, die auf den Geisteszustand meiner Kameraden mächtigen Einfluss haben. Und da die Suppe auf sich warten lässt, werden sie ungehalten und murren. Das Bedürfnis nach Nahrung und Trank knurrt ihnen zum Mund heraus.

      – Acht Uhr schon. Wo bleibt diese gottverdammte Brühe?

      – Und mir brummt schon seit gestern zwölf Uhr der Magen, knurrt Lamuse, mit sehnsuchtsfeuchten Augen und weinroten Backen.

      Von Minute zu Minute wächst der Missmut zu Erbitterung an.

      – Plumet hat sich wohl meinen Lakritzensaft hinter die Binde gegossen, anstatt ihn herzubringen und liegt besoffen, weiss der Teufel wo.

      – Das ist sicher und gewiss, meint Marthereau.

      – Halunken, Ungezieferbagage! brüllt Tirloir, gemeine Bande alle mit einander, diese Ober-Faulpelze! Auf dem Ranzen liegen den ganzen Tag, hinter der Front und sich nicht einmal zur Zeit herschleppen können. Wenn ich Prinzipal wäre, ich wollte sie schön an unserer Stelle in die Schützengräben stopfen, und dran glauben müssten die bequemen Herrn! Erstens müsste jeder mal schmutzig werden und die Brühe kochen dürfen; d. h. wer dazu Lust hätte, versteht sich. Und dann …

      – Pépère, der Schweinehund, schreit Coco, wird natürlich an der Bremserei schuld sein. Erstens tut er's mit Fleiss und zweitens kriegt man morgens den Satan nicht aus den Federn, das arme Kerlchen. Sechs Stunden Lauskapsel braucht er zum ausschnarchen, wie ein Milchsüppchen, und tags über liegt er auf der faulen Haut.

      – Ich möcht ihm schon Feuer unter die Hosen zünden! schimpft Lamuse. Den wollt ich prompt aus den Federn jagen, wenn ich dabei wäre. Den Hirnkasten würd' ich ihm eintrommeln, an seinen Stelzen rausangeln sollte man ihn.

      – Letzthin, sagt Cocon, hab ich's ausgerechnet: sieben Stunden siebenundvierzig Minuten hat er gebraucht vom Unterstand Nr. 31. Fünf gut gestampfte Stunden brauchst du, nicht mehr.

      Cocon ist ein Zahlenmensch.

      Er ist mit Gier ins Genaue-Dokumentiertsein vernarrt; überall steckt er wie ein Wiesel seine Nase hinein, ob es nicht nach Statistiken rieche, die er dann mit Ameisenfleiss anhäuft und jedem geduldigen Ohr als Schmaus anbietet. Augenblicklich fuchtelt er mit Zahlen herum wie mit einer Waffe und Wut verzerrt sein dünnes Gesicht, das aus lauter Dreiecken und Winkeln besteht, auf denen die zwei Kreise seiner Brillen ruhn.

      Er steigt aufs Schiessbrett, das noch aus der Zeit stammt, als hier die vorderste Linie durchlief; dann streckt er seinen Kopf wütend über die Böschung; dabei sieht man im dünnen, kalten Lichtstreifchen, das über die Erde kriecht, die Brillengläser glänzen und auch einen Tropfen, der ihm wie ein Diamant an der Nase hängt.

      – Und überhaupt mit dem Pépère, kein Wunder, so ein Spundloch; unglaublich, was er sich kiloweise Saft an einem Tag hinter die Binde giesst.

      Der alte Blaire mistet seine Ecke. Man sieht, wie dabei sein dichter, weisslicher Schnurrbart zittert, der ihm wie ein weisser Kamm aus der Nase steht.

      – Soll ich dir was sagen? Die Suppenmannschaft, das ist überhaupt der Typus eines Schweinetypus. Bei


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