Das Feuer. Henri Barbusse

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Das Feuer - Henri Barbusse


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Glück, dass er tot ist, wenn er das wüsste mit den Parkettbrettchen, dass er nicht an die gedacht hatte für's feuern, darüber hätte er sich nicht mehr trösten können.« Eine Nummer war's doch, der verdammte Kerl!

      – Schon, aber wenn einer an sich denkt, dann ist es immer auf Kosten von andern. Wenn einer von der Mannschaft das beste Stück oder den besten Platz wegnimmt, dann müssen eben die andern dran glauben, philosophiert Volpatte.

      – Ich, meint Lamuse, ich hab mich oft gedrückt vor dem Schützengraben, ich kann's schon gar nicht mehr an den Fingern abzählen wie vielmal; das muss ich schon zugestehn. Aber wenn die Kameraden in Gefahr sind, dann drück ich mich nicht mehr. Dann vergess ich die Uniform, dann vergess ich alles. Ich sehe nur Leute vor mir und drauf los. Aber sonst, weisst du, da denk ich an meine Wenigkeit …

      Was Lamuse behauptet, sind keine leeren Worte. Er ist allerdings ein Virtuos im Sichdrücken; daneben aber hat er Verwundeten das Leben gerettet, die er unter dem Kugelregen hervorholte.

      Er erzählt das ohne jede Prahlerei:

      – Wir lagen auf dem Bauch im Gras. Es knallte. Pam! pam! Zim, zim … da sah ich sie umfliegen und bin aufgestanden, obwohl mich die andern anbrüllten: »leg dich hin!« Aber ich konnte sie einfach nicht liegen lassen. Ich hab kein weiteres Verdienst dabei, ich konnte eben nicht anders handeln.

      Fast alle von der Korporalschaft haben eine Heldentat zu verzeichnen, und nach und nach haben sich Kriegskreuz an Kriegskreuz auf ihrer Brust angereiht.

      – Ich, sagt Biquet, hab keine Franzosen gerettet, aber Deutsche hab ich eingeheimst.

      Letzten Mai bei der Attacke hat man ihn vorstürmen und dann wie ein Pünktchen verschwinden sehn; darauf kam er mit vier bemützten Kerlen zurück.

      – Ich hab welche getötet, sagt Tulacque.

      Vor zwei Monaten hat er mit einer stolzen Koketterie neun vor den eroberten Schützengraben nebeneinander hingelegt.

      – Aber, fügt er hinzu, auf die deutschen Offiziere hab ich's besonders abgesehn.

      – Ha, die Ochsen!

      Der Ausruf liess sich von verschiedenen Seiten zugleich vernehmen und tönte aus tiefster Ueberzeugung.

      – Ach »Alter«, sagt Tirloir, man spricht von der schmutzigen Boche-Rasse. Die Mannschaft, weiss nicht, ob's wahr ist oder ob man uns auch in dem Kapitel einen Bären aufbindet; vielleicht sind es doch Leute ungefähr wie wir.

      – Wahrscheinlich sind sie auch nicht anders wie wir, macht Eudore.

      – Müsste man noch wissen! … platzt Cocon heraus.

      – Jedenfalls, was die Mannschaften angeht, ist man noch nicht orientiert, fährt Tirloir fort, aber die deutschen Offiziere, nein, nein und abermals nein! Das sind keine Menschen, das sind Ungeheuer. Weiss Gott, es ist schon ein Spezial-Ungeziefer; Kriegsbazillen nenne sie meinetwegen. Von nahem muss man die Kerle gesehen haben, lang, mager, dünn wie Nägel, und doch mit dicken Kälberfratzen.

      – Haufenweise haben sie Schlangenmäuler.

      Dann fährt Tirloir wieder weiter:

      – Ich hab mal einen gefangen gesehn nach dem Gefecht. Das gemeine Biest! Ein preussischer Oberst mit einer Prinzenkrone, wie ich hörte, und einem goldnen Wappen auf dem Lederzeug. Hat der Kerl nicht reklamiert, als man ihn durch den Schlauch führte, weil sich einer erlaubte, ihn zu streifen! Und auf alles hat er runtergeguckt von der Höhe seines Kragens herab. »Warte du, Alter, ich will dir!« hab ich gedacht. Ich nicht faul, hinter ihm her und jag dem Kerl mit ganzer Kraft einen Tritt in den Arsch. Jawohl, umgefallen ist er, halb erstickt.

      – Erstickt?

      – Jawohl, vor Wut, als ihm die Situation klar wurde, nämlich dass ihm sein adeliges Offiziersgesäss von einem gewöhnlichen benagelten Kommisabsatz demoliert war. Dann ist er ab, und hat geschrien wie ein altes Weib und rumgefuchtelt hat er wie ein Epileptischer …

      – Ich, meint Blaire, bin kein schlechter Kerl. Hab Kinder zu Hause, und daheim, wenn ich ein Schwein, das ich kenne, abschlachten muss, geht's mir durch die Gedärme, aber so ein Kaliber, dem würd ich mit Wonne so eins – dzing – in die Brustkommode jagen.

      – Ich auch!

      – Abgesehn davon, sagt Pépin, dass sie Silberdeckel auf dem Schädel tragen und Revolver, die du zu jeder Zeit für hundert Franken verkaufen kannst, und Prismengucker haben, die unbezahlbar sind. Was hat ich doch am Anfang für Gelegenheiten verpasst; gekonnt hätt' ich; es geschieht mir recht, aber nur keine Bange: was den Silberhelm betrifft, sag ich dir, hör nur zu, einen krieg ich schon noch. An der Haut allein ist mir nicht gelegen, die Kleider eines kaiserlichen Offiziers muss ich haben. Hab nur keine Sorge, bevor der Krieg fertig ist, werd ich das schon noch deichseln.

      – Glaubst du dran, dass der Krieg mal aus sein wird? fragt einer.

      – Nur keine Sorge, antwortet der andre.

      *

      Unterdessen hört man rechts von uns ein lautes Durcheinander und sieht plötzlich einen lauten Menschentrupp, der sich vorwärts bewegt und dabei schwarze Gestalten sich unter die Uniformen mischen.

      Was ist das Teufels?

      Biquet hat sich zur Orientierung hinausgewagt. Als er zurückkam, deutete er mit dem Daumen über die Schulter nach der bunten Gesellschaft:

      – Hola! Kameraden, guckt euch mal das an, die Leute.

      – Leute?

      – Ja, Herren, Zivilisten mit Generalstabsoffizieren.

      – Zivilisten! Wenn sie nur durchhalten!

      Es ist zwar bereits eine traditionelle Phrase, und obgleich man sie schon hundertmal gehört hat, reizt sie doch wieder zum Lachen; und obwohl der Soldat ihr mit Recht oder Unrecht einen andern Sinn unterschiebt und sie als einen ironischen Hieb auf sein entsagungsreiches und gefährdetes Leben auffasst, so lacht er doch darüber.

      Man sieht zwei jener Herren hervortreten; sie tragen Ueberzieher und Stock, ein anderer steckt im Jagdkostüm mit einem Samthut und einem Feldstecher.

      Zartblaue Waffenröcke mit gelbem oder schwarzem Glanzleder folgen als Begleitung hinterdrein.

      Ein Hauptmann mit einer seidnen, mit goldnen Pfeilen bestickten Armbinde, macht auf die Schiessbank vor einer alten Scharte aufmerksam und lädt die Besucher ein, hinauf zu steigen und sich die Gegend zu betrachten. Der Herr mit dem Reiseanzug stemmt sich hinauf und stützt sich dabei auf seinen Regenschirm.

      Da meint Barque:

      – Hast du den Bahnhofsvorstand in der Sonntagsuniform gesehn, der dem reichen Jägersmann eine erste Klasse auf dem Nordbahnhof anweist, am Tag der Jagderöffnung: »Bitte, Herr Gutsbesitzer.« Ueberhaupt, wenn die grossen Tiere nagelneu ausstaffiert sind mit Leder und Blechzeug und wichtig tun mit ihrem Kaninchen-Schiesszeug!

      Drei oder vier Soldaten, die ihr Lederzeug abgelegt hatten, sind unter die Erde gekrochen. Die andern rühren sich nicht, wie vom Schlag getroffen, dass die Pfeifen sogar ausgehn und man nur das Wortgesumse der Offiziere und ihrer Gäste hört.

      – Das sind die Schützengraben-Touristen, meint Barque halblaut. Dann mit etwas lauterer Stimme: »Bitte, meine Herrn und Damen!«

      – Halt's Maul! flüsterte ihm Farfadet ins Ohr, denn er befürchtete, Barque würde mit seiner »frechen Schnauze« die Aufmerksamkeit jener einflussreichen Leute auf sich ziehn.

      Einige Gesichter werden auf uns aufmerksam; ein Herr mit weichem Filzhut und wehender Kravatte tritt heran. Er trägt einen kleinen, weissen Spitzbart und sieht wie ein


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