Das Feuer. Henri Barbusse
Читать онлайн книгу.sag mal, Dubidon!
– Dünner Ueberzieher, meint Tirette zu einem vorübergehenden Mantel, der mit Flicken in allen blauen Schattierungen besetzt ist.
Er ruft den Veteranen an:
– He! du Mustermappe … he, horch mal, du, ruft er nachdrücklich.
Der andre dreht sich um, macht den Mund auf und guckt ihn an.
– Sag mal, Alterchen, sei so freundlich, gib mir doch deine Schneider-Adresse in London, sei so gut.
Das alte und runzlige Gesicht lacht – und das Männlein, das auf den Anruf hin ein Weilchen stille stand, wird von dem nachfolgenden Zug angerempelt und wieder mitfortgerissen. »
Dann kommen ein paar weniger bemerkenswerte Statisten; dann aber erscheint wieder ein neues Opfer, das den Anspielungen als Zielscheibe dienen muss. Es trägt auf seinem rauhen, rötlichen Nacken eine Art schmutzige Schafswolle. Der Landwehrmann hat die Knie eingeknickt, den Oberkörper vorgebeugt und den Rücken gekrümmt und steht mit Mühe aufrecht.
– Guck da, schreit Tirette und zeigt mit dem Finger hin, der berühmte Harmonikamensch! Auf dem Jahrmarkt musste man Eintritt zahlen. Hier hat man's umsonst!
Und während der Angerufene Flüche ausstottert, lacht man hier und dort.
Mehr braucht es nicht, um beide Spottbrüder zu reizen. Der Wunsch, eine komische Bemerkung anzubringen, die ein wenig verwöhntes Publikum für lustig befindet, spornt die beiden an, sich lustig zu machen über die Lächerlichkeiten jener alten Waffenbrüder, die Tag und Nacht, am Rande des grossen Krieges, die Schlachtfelder mühsam vorbereiten und instand halten.
Auch die andern Zuschauer greifen jetzt ein; und diese Armseligen spotten jene aus, die noch armseliger sind als sie selbst.
– Schau dir den an! Und der erst!
– O verflucht, photographier mir doch einer den kleinen Floh-Arsch! He! du Erdhocker!
– Und der hört überhaupt nicht auf! Hast du Worte! Hui! der Wolkenkratzer!
Der, den's angeht, trippelt einher und hält seinen Spaten vor sich wie einen Kerzenstock, mit krampfhaft zusammengezogenem Gesicht und schiefem Körper, der im Hexenschuss erstarrt ist.
– He! Grossväterchen, willst du zwei Sous? fragt Barque, indem er dem Vorbeigehenden auf die Schulter klopft.
Der kahle Alte aber fühlt sich beleidigt und schimpft geärgert: »Scheisskerl!«
Dann wirft ihm Barque mit brüllender Stimme entgegen:
– Du, aber höflicher könntest du sein, altes Furzloch, du Scheissmühle!
Der Alte dreht sich völlig um und stottert in seiner Wut.
– Oho! schreit Barque und lacht, ich glaube, er röchelt, der Trümmerhaufen. Guckt, wie er rauflustig ist; wenn der Kerl sechzig Jahre jünger wär, wär er noch gefährlich.
– Und wenn er nicht besoffen wär, fügt billigerweise Pépin hinzu, der nach neuen Zielscheiben unter den neu Ankommenden sucht.
Dann sieht man die hohle Brust des letzten Nachzüglers, und bald verschwindet die Missgestalt seines Rückens. Und dem endenden Défilé jener verbrauchten, in den Gräben verdreckten Veteranen schauen die sarkastischen und beinahe böswilligen Blicke jener düstern Höhlenbewohner nach, die zur Besichtigung aus ihren Kotlöchern halb herausgetreten waren.
Unterdessen aber verstreichen die Stunden; der Abend taucht den Himmel schon in sein graues Licht, und in ihm werden die Dinge schwarz; er gesellt sich dem finstern Los und auch der dunkeln und unwissenden Seele jener Menge, die hier vergraben liegt.
Jetzt hört man im grauen Abend das trommelnde Geräusch nahender Schritte, und eine neue Abteilung bricht sich Bahn.
– Afrikaner!
Sie schreiten vorüber mit ihren gelben, hell- und dunkelbraunen Gesichtern; die einen haben spärliches, die andern dichtes und gewelltes Barthaar; ihre Mäntel sind grüngelb und man sieht auf ihren kotbespritzten Helmen einen Halbmond an Stelle unserer Granate. Ihre Augen leuchten wie Elfenbein- oder Onyx-Kugeln in ihren glänzenden, teils stumpfen, teils eckigen und spitzen Gesichtern. Von Zeit zu Zeit wiegt sich über dem Zug die schwarze Kohlenmaske eines Senegalesen, der die andern überragt. Hinter der Kompagnie flattert eine kleine, rote Fahne mit einer grünen Hand in der Mitte.
Man betrachtet die Leute schweigend und spricht sie nicht an; denn sie imponieren und flössen sogar eine gewisse Angst ein.
Und doch scheinen diese Afrikaner fröhlich und gut aufgelegt. Sie marschieren natürlich in die erste Linie. Dort gehören sie hin, und ihre Gegenwart ist das Zeichen eines nahe bevorstehenden Angriffes. Sie sind wie geschaffen für den Sturm.
– Sie und die Fünfundsiebziger-Kanone, das kann man sagen, denen haben wir schon was zu verdanken! Ueberall zuvorderst in den wichtigen Augenblicken stand sie, die Marokko-Division!
– Sie können sich nicht an uns anpassen. Es geht ihnen nie schnell genug. Unmöglich, die Kerle aufzuhalten …
Die einen haben ernste Gesichter unter diesen blonden, bronze- und ebenholzfarbnen Teufeln; ihr Blick ist beunruhigend, stumm wie die Falle, die man sieht. Die andern lachen; ihr Lachen aber tönt wie die bizarren Instrumente exotischer Musik und sie zeigen dabei die Zähne.
Man bespricht miteinander die Eigenarten jener Schwarzen: ihre Wut beim Ansturm, ihre wahnsinnige Vorliebe für's aufgabeln, ihre Art, kein Pardon zu geben. Man wiederholt die Geschichten, die sie selbst gerne erzählen, und alle ungefähr mit denselben Worten und denselben Gebärden: sie strecken die Arme hoch: »Kam'rad, Kam'rad!« »Nein, nix Kam'rad!« worauf sie das Spiel des Bajonetts nachmachen, das man in Bauchhöhe vorstösst und wieder herauszieht, indem man mit dem Fuss nachhilft.
Einer jener Schützen hört im vorübergehn, wovon die Rede ist. Er schaut uns an, lacht breit aus seinem behelmten Turban heraus und wiederholt mit dem Kopfe nickend: »Nix Kam'rad, nix Kam'rad! Kopf kaput!«
– Es ist doch eine ganz andere Rasse als wir, mit ihrer Zelttuchhaut, gesteht Biquet zu; und Biquet ist kein Hasenfuss. Die Ruhe können sie nicht leiden, sie leben nur für den Augenblick, in dem der Offizier seine Uhr in die Tasche steckt und sagt: »Vorwärts, los!«
– Es sind im Grunde genommen echte Soldaten.
– Wir, wir sind keine Soldaten, wir sind Menschen, sagt der dicke Lamuse.
Die Abendstunde hat das Land in Dunkelheit getaucht und doch wirft dieses wahre und leuchtende Wort einen lichten Schein auf jene Männer, die seit Monaten jeden Morgen hier auf den Abend warten.
Es sind Menschen; es sind ganz gewöhnliche Menschen, die man dem Leben plötzlich entrissen hat; wie beliebig aus der Masse herausgenommene Menschen sind sie unwissend, wenig begeistert, mit engem Horizont begabt und voll gesunden Menschenverstandes, der zwar zeitweise entgleist; sie lassen sich führen und geben sich her, das zu tun, was ihnen befohlen wird, ohne merklichen Widerstand, und sind fähig, lange zu leiden.
Es sind einfache Menschen, die man noch vereinfacht hat und bei denen notgedrungen die Urinstinkte in den Vordergrund treten: der Selbsterhaltungstrieb, der Egoismus, die hartnäckige Hoffnung immer wieder davonzukommen und dazu die Freude am Essen am Trinken und am Schlafen.
Mitunter aber bricht aus dem dunklen Schweigen ihrer grossen, menschlichen Seelen ein tiefer Schrei der Menschlichkeit.
Und dann, wenn im Abend alle Formen untergehen, hört man in der Ferne einen Befehl, der sich mählich nähert:
– Zweite Halbsektion! Antreten!
Und man tritt an in Reih und Glied;