Das Feuer. Henri Barbusse

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Das Feuer - Henri Barbusse


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aber schien ihn seine fixe Idee nicht ruhn zu lassen, und seine Blicke spähten seitwärts nach der Frau, der er nachgelaufen war.

      Alle Augenblicke blieb er stehn, rückte ein Gepäckstück zurecht, schöpfte Luft und wischte sich die fetten Schweisstropfen vom Gesicht, wobei er alle Ecken des Horizonts absuchte und den Waldrand abspähte. Er sah sie aber nicht mehr.

      Ich dagegen erblickte sie wieder … und kam diesmal allerdings zur Erkenntnis, dass sie es mit einem von uns hatte. Dort, linkerhand, kroch sie halb aus dem grünen Schatten des Unterholzes. Sie hielt sich dabei mit einer Hand an einem Zweig fest, beugte sich vor und man sah ihre schwarzen Nachtaugen und ihr bleiches Gesicht, das halb beleuchtet war und so einem wachsenden Monde glich. Ich bemerkte ein Lächeln auf ihren Lippen. Indem ich dann der Richtung ihres Blickes nachging, sah ich nicht weit hinter uns Farfadet, der ebenfalls lächelte.

      Dann verschwand sie lächelnd im Schatten des Laubes und Farfadet lächelte ihr nach …

      So wurde mir klar, dass zwischen jener gelenkigen und zarten Zigeunerin, die keiner andern Frau glich, und Farfadet, der sich durch seine feine, zitternde Biegsamkeit von uns allen abhob, ein Einverständnis herrschte …

      … Lamuse hatte nichts gesehn; denn die Last, die er Farfadet und mir abgenommen hatte, versperrte ihm die Aussicht, und seine Aufmerksamkeit konzentrierte sich ganz auf die Aufrechterhaltung seines Gleichgewichtes und die Wahl der Stelle, auf die er seine arg beschwerten Füsse hinsetzen wollte.

      Er sieht totunglücklich aus und jammert; ein trauriger Gedanke drückt ihn schwer, und aus dem rauhen Keuchen seiner Brust glaube ich sein klopfendes und murrendes Herz herauszuhören. Dann betrachte ich mir Volpatte mit seinem Verbandpolster und dann den mächtigen, dicken und blutdrallen Kerl, der in sich den ewigen, tiefen Drang schleppt, dessen Schärfe er allein zu messen vermag; und dabei denke ich, dass nicht jener verbunden wird, der die schwerste Wunde trägt.

      Endlich steigen wir zum Dorf hinab.

      – Jetzt gibt's was zu trinken, sagt Fouillade.

      – Urlaub krieg ich jetzt, sagt Volpatte.

      Lamuse aber keucht:

      – Meuh … Meuh …

      Dann kommen die Kameraden gelaufen, schreien durcheinander und versammeln sich auf dem kleinen Dorfplatz, auf dem die Kirche steht mit ihren zwei Türmen, von denen der eine durch eine Granate derart zertrümmert wurde, dass die Kirche, von vorne gesehn, nur noch ein entstelltes Gesicht zeigt.

      *

      V. Das Obdach.

      Unzählige Schatten verwischen traumhaft die bleiche Landstrasse, die sich durch den nächtlichen Wald zieht, als ob der Wald sich wie verhext im Dunkel der Nacht darüber wälze. Es ist das Regiment, das sich vorwärts bewegt, auf der Suche nach einem neuen Obdach.

      Die hoch und breit bepackten Reihen stossen schattentriefend aneinander; und jede neue Welle, von der hinteren vorwärts gestossen, drängt sich der vorderen auf. Seitwärts schreiten, vereinzelt, die schlankeren Gestalten der Offiziere. Ausrufe, Befehle, kurze Gespräche, Hustenanfälle und Gesänge mischen sich zu einem dumpfen Gemurmel, das jenem engen und zwischen die Böschungen eingedämmten Gedränge entsteigt. Und in den Lärm der Stimmen mischt sich das Stampfen der Füsse, das Geklirre der Bajonettscheiden, der Feldflaschen und der Metallkannen, das Donnern und Gerassel der sechzig Wagen Artillerietrain und des Regimentstrain, die den zwei Bataillonen folgen. So gross ist die Masse, die auf der ansteigenden Strasse vorwärtsschreitet und sich hindehnt, dass man draussen, unter dem unendlichen Dom der Nacht, in der Stickluft eines Löwenkäfigs schwimmt.

      Wenn man selbst in Reih und Glied steckt, sieht man von alledem nichts; stösst man aber bei einer Stockung mit der Nase drauf, so unterscheidet man allerdings, wohl oder übel, das Blech einer Gamelle, den bläulichen Stahl eines Helmes oder den schwarzen Stahl eines Gewehres. Sonst sieht man manchmal im blendenden Funkenschein eines Feuersteines oder hinter der roten Flamme, die am winzigen Stiel eines Streichholzes flackert, nahe Hände oder Gesichter im Relief aufblitzen, oder das durcheinanderwogende Schattenspiel behelmter Schultern, die wie Flutwellen gegen die klotzige Dunkelheit ankämpfen. Dann verschwindet alles wieder im Dunkel, und während man einen Fuss vor den andern setzt, heftet jeder seinen Blick unentwegt an die Stelle, wo sich vermutlich ein Rücken vorwärts bewegt.

      Nach mehrfachen Marschpausen, während deren man sich auf den Tornister und vor die Gewehrpyramiden niederfallen lässt, die man auf das Zeichen einer Signalpfeife mit fieberhafter Hast und verzweifelnder Umständlichkeit in der undurchsichtigen, pechschwarzen Nacht zusammenstellt, kündet sich schliesslich der Morgen an und fliesst aus der Dunkelheit allmählich über den ganzen Himmel. Dann sehn wir, wie so oft schon, das grossartige Schauspiel des anbrechenden Tages, der sich über unsre ewig umherirrende Horde ergiesst.

      Endlich treten wir aus dieser durchmarschierten Nacht heraus, gleichsam durch konzentrische Schichten abnehmender Schatten, Halbschatten und schliesslich düsteren Lichtes hindurch. Die Beine haben eine hölzerne Starrheit, die Rücken sind gelähmt und die Schultern zerschunden. Die Gesichter aber behalten ihre graue und schwarze Färbung; es ist, als befreie man sich nur unvollkommen von der Nacht, die man jetzt nie mehr ganz los wird.

      Diesmal marschiert die grosse Herde in Reih und Glied in ein neues Quartier zum Ausruhn. Was wird das wohl für ein Dorf sein, in welchem man nun acht Tage verleben wird? Niemand weiss es genau, aber man glaubt, es heisse Gauchin-l'Abbé, und erzählt sehr viel Gutes davon.

      – Man soll's gut haben wie 'n Hühnchen im Ei.

      Allmählich erkennt man die Kameraden und unterscheidet ihre Silhouetten, und schliesslich die herabhängenden Schädel und die gähnenden Mäuler; aus dem Morgengrauen heraus werden gesprächige Stimmen laut.

      – Nie würde man ein so patentes Quartier gesehen haben. Das Brigadekommando, das Divisionsgericht sei dort untergebracht; da gibt es was du willst beim Krämer.

      – Wenn die Brigade dort hockt, dann wird am Sitz nichts fehlen.

      – Meinst du, wir werden einen Esstisch für die Korporalschaft ausfindig machen?

      – Alles was du willst, wenn ich dir sage.

      – Wie's in einem Quartier ausschaut, das man nicht kennt, weiss ich nicht. Aber wissen tue ich bestimmt, dass es auch nicht anders sein wird als anderswo.

      Aber keiner glaubt ihm das. Vielmehr erscheint allen das neue Quartier, nach dem erregten Fieber der Nacht, eine Art gelobtes Land, dem man nach Osten entgegenmarschiert, während man sich in der eiskalten Morgenluft dem unbekannten Dorfe nähert, das uns das Licht bringen wird.

      *

      Jetzt erreichen wir den Fuss eines Hügels und kommen an Häusern vorbei; sie schlummern noch im grauen Schatten der Morgendämmerung.

      – Das wird es sein!

      Endlich! Achtundzwanzig Kilometer sind diese Nacht zurückgelegt worden.

      Nanu? … Wird hier nicht Halt gemacht? Es geht immer weiter, vorbei an den Häusern, die sich wieder, eines nach dem andern, in den verschwommenen Dunst und in das Totentuch ihres Geheimnisses verziehn.

      – Es heisst, man könne noch lange Strassen klopfen. Es sei noch sehr weit.

      Und man marschiert automatisch weiter; die Glieder beschwert eine Art versteinerten Dusels; die Gelenke knirschen und lassen die Leute selbst darüber knirschen.

      Der Tag ist spät am Aufgehn, eine Nebelschicht bedeckt die Erde. Es ist so kühl, dass die Leute während der Rast, trotz der Müdigkeit, die sie zermalmt, sich nicht getrauen abzusitzen und in der satten Feuchtigkeit hin- und hergehn wie irrende Geister. Ein scharfer, winterlicher Wind peitscht die Haut, fegt und zerstäubt die


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