Das Feuer. Henri Barbusse

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Das Feuer - Henri Barbusse


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uns durchnässt. Es ist wie ein feenhafter Lichtschacht, der sich mitten durch die irdischen Wolken aufreisst.

      Das ganze Regiment streckt sich, wacht jetzt erst eigentlich auf und hebt seine Gesichter in das sanfte Goldlicht des ersten Sonnenstrahles.

      Dann brennt die Sonne mit einem Mal, und dann ist es zu heiss.

      Man keucht in den Reihen und schwitzt und schimpft noch mehr als vorhin, da die Zähne klapperten und uns der Nebel wie ein nasser Schwamm über Gesicht und Hände fuhr.

      Wir marschieren jetzt in der brennenden Morgensonne durch eine Kreidegegend.

      – Sie beschütten ihre Strassen mit Kalksteinen, die Hundskerle hier in der Gegend!

      Die Strasse ist blendendweiss und nun ist's eine lange Staubwolke getrockneten Kalkes, die sich über uns hinzieht und uns bestreift.

      Die Gesichter röten sich und glänzen wie Beize; gewisse vollblütige Gesichter scheinen mit Vaselin eingeschmiert; auf Backen und Stirnen bildet sich eine graue Staubschicht, die daran kleben bleibt und dann abbröckelt. Die Füsse scheinen in Unförmigkeit zu verschwimmen und sind weiss, als seien sie in einem Maurertrog herumgewatet. Der Tornister und das Gewehr sind weiss gepudert, und unsere langgedehnte Masse zieht in die Randgräser rechts und links eine milchweisse Spur.

      Jetzt heisst es noch zu alledem:

      – Rechts halten! Train!

      Schnell drückt man sich auf die rechte Seite der Strasse, nicht ohne Drängen. Und wie eine lange Kette kolossaler, viereckiger Meteorsteine, umrollt von einem höllischen Radau, stürzt sich der Train auf die Landstrasse. Gottverd…! Er stäubt im Vorbeirasseln den dichten Kalkteppich aus, der die Strasse bedeckt, und streut uns den Staub auf die Schultern!

      Nun sind sie eingewickelt in einen hellgrauen Schleier, und auf den Gesichtern sitzt eine mehlige Maske, die an den Augenlidern, dem Schnurrbart, dem Kinnbart und in den Rinnen der Runzeln eine dichtere Schicht bildet. Wir scheinen zugleich unser eignes Abbild und sonderbare Greise zu sein.

      – Wenn wir mal alte Fetzen sind, dann sehn wir so aus, so hässlich, sagt Tirette.

      – Du spuckst weiss, meint Biquet.

      – Wenn aber Halt gemacht wird, so sind wir wie weisse Kalkstatuen, durch deren Schale schmutzige Reste von Menschlichkeit durchschimmern.

      Dann geht's wieder weiter. Alles ist stumm und schindet sich ab. Jeder Schritt wird zur harten Arbeit. Die Gesichter schneiden Fratzen, die sich in die blasse Staubkruste einzeichnen und darunter erstarren. Der ganze Körper zieht sich in jener ununterbrochenen Anstrengung krampfhaft zusammen, und wir vergehn in stumpfer Müdigkeit und düstrem Ekel.

      Endlich erblickt man die langersehnte Oasis: über einen Hügel hinweg auf einem zweiten, höheren Hügel schauen Schieferdächer aus einem frischen, salatgrünen Blätterstrauss hervor.

      Dort liegt das Dorf, das der Blick endlich erreicht; aber noch ist man nicht angekommen. Je mehr das Regiment sich ihm nähert, desto weiter scheint das Dorf sich zu entfernen.

      Schliesslich aber, punkt zwölf Uhr, erreicht man letzten Endes doch das Quartier, an das man bald nur wie an ein Märchen glaubte.

      Jetzt marschiert das Regiment im Schritt, mit geschultertem Gewehr in die Strasse von Gauchin-I`Abbé ein und überschwemmt sie in ihrer ganzen Breite. Die meisten Dörfer des Pas-de-Calais haben nur eine Strasse, aber was für eine Strasse! Oft ist sie mehrere Kilometer lang. In Gauchin-l'Abbé gabelt sich die grosse, einzige Strasse vor dem Bürgermeisteramt und bildet zwei Nebenstrassen, so dass die Ortschaft ein grosses Y bildet, unregelmässig mit niederen Häuserfronten berändert.

      Die Radfahrer, die Offiziere und die Ordonnanzen lösen sich von dem langen, wandelnden Wurm. Dann treten, während er sich vorwärts bewegt, die Leute gruppenweise in die Tore der Scheunen, da die noch freien Wohnhäuser für die Offiziere und die Bureaus bestimmt sind … Unser Zug muss erst bis ans Ende des Dorfes marschieren und dann stellt sich ein Versehen der Furiere heraus, und wir kommen, rechtsumkehrt, wieder ans andre Ende, an welchem wir einmarschiert waren.

      Dieses Hin und Her kostet Zeit, und die Korporalschaft, die man so von Süden nach Norden und wieder von Norden nach Süden schleppte, äussert über die ohnehin schon unglaubliche Müdigkeit und über die Schritte, die man ihr hätte ersparen können, ihren fieberhaften Unwillen. Es ist nämlich sehr wichtig, dass man sich so früh als möglich einrichte und freigelassen werde, wenn man die seit lange ersonnenen Projekte zur Ausführung bringen will; das heisst, bei einem Einwohner eine Unterkunft mit einem Tisch finden, an den sich die Korporalschaft zu den Mahlzeiten setzen könnte. Man hat die Sache und ihre Vorteile schon eifrig besprochen. Man ist einig geworden, hat zusammengelegt und beschlossen, sich diesmal in überschüssige Ausgaben zu stürzen.

      Wird aber das alles noch zu machen sein? Eine Menge Lokale sind schon besetzt, und noch andere sind hergekommen mit jener Sehnsucht nach Bequemlichkeit, so wird man den freien Tischen schon nachlaufen müssen … Drei Kompagnien sind allerdings nach uns einmarschiert, aber vier waren schon vor uns da; und dann: die offiziösen Suppentöpfe der Sanitätler, der Schreiber, der Wagenführer, der Ordonnanzen des Brigadekommandos und weiss der Teufel was noch … Alles das sind wichtigere und mächtigere Leute als der einfache Liniensoldat, sie haben mehr Bewegungsfreiheit und Mittel und können ihre Pläne vorher ausführen. Jetzt schon sieht man solche Liebhaber auf den eroberten Torschwellen häusliche Geschäfte verrichten, während wir erst auf die Scheune zumarschieren, die für die Korporalschaft bestimmt wurde.

      Tirette ahmt das Brüllen des Rindviehs und das Blöcken der Schafe nach.

      – Das wär also der Kuhstall.

      Es ist eine ziemlich geräumige Scheune. Das geschnittene Stroh, aus welchem beim Drübergehn der Staub auffliegt, riecht nach Abort. Der Raum aber kann als ungefähr geschlossen gelten. Man belegt seinen Platz und schnallt ab.

      Diejenigen aber, die, wie so oft schon, von einem besonderen Paradies geträumt hatten, stecken wiederum ihre Hoffnungen in die Tasche.

      – Du, das sieht hier so aus wie anderswo.

      – 's ist dieselbe gleiche, ewige Ewigkeit.

      – Ja, Gottverdanzig.

      – 's war auch nicht anders zu erwarten.

      Aber nun darf mit Reden keine Zeit verloren werden. Jetzt heisst es die Hände rühren und den andern zuvorkommen: per Express und doppelter Geschwindigkeit. Eilig geht's ans Werk. Trotz zerschundenem Rückgrat und zermürbten Füssen ringt man um die letzte Anstrengung, von der das Wohlsein einer Woche abhängen wird.

      Die Korporalschaft teilt sich in zwei Patrouillen, die sich im Trab davonmachen, die eine nach rechts, die andere nach links auf die Strasse, die schon von geschäftigen Soldaten auf der Suche wimmelt. Und alle Gruppen beschnuppern und beobachten einander … und beeilen sich. Manchmal auch kommt es, auf gewisse Bewegungen hin, zu fluchenden Keilereien.

      – Gehn wir gleich mal dorthin schauen, sonst sind wir lackiert!

      Ich habe den Eindruck einer Art verzweifelten Kampfes unter den Soldaten, der sich auf den Strassen des soeben besetzten Dorfes abspielt.

      – Für uns, sagt Marthereau, ist der Krieg eine ewige Keilerei und eine ewige Schlacht, ohne Ende, ohne Ende!

      *

      Man geht von Tür zu Türe, klopft an, stellt sich schüchtern vor und preist sich an wie eine unerwünschte Ware. Einer unter uns meint:

      – Hätten Sie nicht ein bisschen Platz, Madame, für die Soldaten? Wir zahlen schon.

      – Nein, ich hab schon Offiziere – oder: Unteroffiziere – oder: die Musikanten, die Sekretäre, die Pöstler, oder die Herrn vom Lazarett und so


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