Das Feuer. Henri Barbusse
Читать онлайн книгу.antwortet, und beklopft dabei die Fläche seiner kleinen, runden Nase, die ihm wie ein Pfropfen wagrecht im Gesicht sitzt:
– Ich kann nicht, hab Besengarde!
Er zeigt dabei Schaufel und Besen, mit denen er an den Mauern entlang, über eine Giftluft gebückt, den Beruf eines Strassenkehrers und Kehrichtsammlers ausübt.
Wir gehen lässigen Schrittes weiter. Der Nachmittag liegt schwer auf der schlummernden Landschaft und drückt den vollen und reichlich mit Nahrung ausgestopften Magen. Man wechselt hie und da ein Wort.
Nicht weit von uns werden Schreie laut: Barque reisst sich mit einer Menagerie von Hausfrauen herum … und ein bleiches Mädchen mit Haaren, die wie Pinselfasern auf dem Hinterkopf gebunden sind, und mit einem Fieberausschlag. um den Mund, hört der Zankerei zu. Sonst sind noch andere Frauen zugegen, die im schmalen Schatten vor ihren Türen sitzen und irgend eine fade Näharbeit verrichten.
Sechs Leute marschieren mit einem Unteroffizier vorüber. Sie sind mit neuen Mänteln und mit neuem Schuhwerk hoch beladen.
Lamuse betrachtet seine geschwollnen und zerschundenen Schuhe:
– Unbedingt! Ich muss ein Paar neue Ruderboote haben, bald siehst du meine Klauen durch … Ich kann doch nicht auf nackten Flossen rumlaufen, oder?
Ein Flugzeug schnurrt. Man sieht ihm nach, das Gesicht nach oben, mit verrenktem Hals und wässrigen Tränen, die einem die knallhelle Sonne aus den Augen beisst. Als unsre Blicke aber wieder auf der Erde waren, erklärte Lamuse:
– Da kommt niemals was praktisches raus bei diesen Maschinen, nie.
– Wie kannst du so was behaupten! Man hat doch derartige Fortschritte gemacht, in so kurzer Zeit …
– Schon wahr, aber weiter geht's nicht. Besser als jetzt kann man's doch nicht machen.
Ich kämpfte diesmal gegen den vernagelten Widerstand, den die Unwissenheit jedesmal dem vielversprechenden Fortschritt entgegenstellt, nicht weiter an, sondern lasse meinen dicken Kameraden in seiner Meinung beharren, mag er glauben, dass die ausserordentliche Anstrengung der Wissenschaft und der Industrie plötzlich in seinem Hirn ihre Grenze findet.
Nachdem er mir aber seine innersten Gedankengeheimnisse anvertraut hat, fährt er fort und sagt gesenkten Hauptes, ganz nahe an mich herantretend:
– Weisst du, dass Eudoxie hier ist?
– So! machte ich.
– Jawohl. Du siehst auch gar nichts, du. Ich hab sie gesehn (und dabei lächelt er gnädig), verstehst du jetzt: wenn sie hier ist, so ist's, weil sie sich für einen interessiert, nicht? Sie ist uns nachgegangen wegen einem von uns, zweifellos.
Dann fährt er fort:
– Soll ich dir was sagen? Wegen mir ist sie gekommen.
– Bist du sicher, Alterchen?
Ja, klang es dumpf aus dem Munde des Stierkerls. Erstens will ich sie haben. Und zweitens hab ich sie zweimal ertappt, wie sie gerade dort durchging, wo ich, ich alleine, auch durchging, verstehst du? Und wenn du mir auch sagst, sie sei dann weggelaufen, schon, aber sie ist eben elend schüchtern, und wie! …
Er pflanzte sich mitten auf die Strasse und schaute mich scharf an. Sein derbes Gesicht mit dem fetttriefenden Backenpaar und der dicken Nase schaute ernst drein. Dann glättete er seinen sorgsam gedrehten, dunkelgelben Schnurrbart mit der wulstigen Faust und fuhr in seinen Herzensergiessungen fort:
– Ich will sie haben, und zwar würd ich sie schon heiraten. Sie heisst Eudoxie Dumail. Früher dachte ich nicht dran, sie zu heiraten. Seit ich aber ihren Familiennamen weiss, ist das eine ganz andre Sache, jetzt ging's schon. Verdammt schön ist das Weib; und nicht einmal deswegen … Ha! …
Dem dicken Kerl floss das Herz über und es schüttelte ihn ein Gefühl, das er mir in Worten auszudrücken versuchte.
– Ich sag dir, manchmal musste man mich mit Zangen zurückhalten, sagte er, indem er ein ernstes Gesicht machte, die Worte mit der Faust herausklopfte und ihm das Blut in den Nacken und in's Gesicht schoss. So schön ist sie, sie ist … Und ich bin … Sie ist so ganz anders – hast du's gemerkt, du merkst doch alles, du –. Es ist allerdings mir ein Bauernmädchen, aber sie hat was, was noch verdammter ist als 'ne Pariserin, sogar eine feine Pariserin am Sonntag, nicht? Sie … Ich, ich …
Er zog seine rötlichen Brauen zusammen und hätte mir die Pracht dessen, was er fühlte, mitteilen wollen. Aber er kannte die Kunst des Ausdruckes nicht, und schwieg; so stand er einsam da mit seinem Erlebnis, das nicht in Worte zu fassen war, ewig einsam, trotz seiner Bemühungen, sich auszusprechen.
… Wir schritten weiter nebeneinander her, an den Häusern vorbei. Kleine Rollwagen mit Fässern fuhren vor die Haustüren. In den Fenstern glänzten bunte Stösse von Konservenbüchsen, Zündschnurbündeln und von all den Sachen, die der Soldat kaufen muss. Fast alle Bauern treiben Spezereihandel. Lang hat es zwar gebraucht, bis sich der Handel im Dorf einbürgerte; jetzt aber ist er im Schwung und jedermann hat sich ihm ergeben, angesteckt vom Zahlenfieber, geblendet von den gewinnberechnenden Multiplikationen.
Die Glocken läuteten. Ein Leichenzug kam die Strasse herauf, es war ein Soldatenbegräbnis. Auf einem Militärheuwagen, den ein Trainsoldat führte, lag ein Sarg in eine Trikolore gewickelt. Dann folgte ein Zug Soldaten, ein Adjutant, ein Geistlicher und ein Zivilist.
– Armes Trauerzügelchen, hat den Schwanz verloren, sagte Lamuse.
– Das Lazarett ist nicht weit von hier, murmelte er, und das entleert sich halt. Ach, die Toten sind doch die Glücklichen. Manchmal nur, nicht immer … so ist es!
Die letzten Häuser des Dorfes liegen hinter uns. Draussen vor dem Dorf steht der Regimentstrain und der Artillerietrain: die Feldküchen und die rasselnden Karren, die mit ihrem Krimskrams hinten nachfahren, die Lazarettwagen, die Gepäck- und Futterwagen und das Wägelchen des Wagenmeisters.
Um den Wagenpark herum sitzen die Zelte der Fahrer und der Wachen. Hier und dort stehn Pferde auf der nackten Erde und gucken mit ihren Glasaugen ins Himmelsloch. Vier Soldaten hauen Tischbeine in den Boden, und die Feldschmiede raucht in die freie Luft hinein. Um diese wimmelnde und bunte Stadt aber, die sich auf zerschundnem Felde, wo die parallelen und kehrenden Räderspuren in der Sonnenhitze erstarren, liegt bereits ein breiter Kehricht- und Scherbenkranz.
Am Rand des Feldes steht ein grosser, weisser Wagen, der durch seine blanke Sauberkeit von den andern absticht, wie in einem Jahrmarkt ein besserer Artistenwagen, der mehr Eintritt verlangt als die andern.
Es ist der vielbesprochene zahnärztliche Wagen, nach welchem sich Blaire sehnte.
Blaire steht gerade davor und betrachtet ihn. Wahrscheinlich schleicht er schon lange mit interessierten Blicken drum herum. Sambremeuse, ein Krankenwärter der Division, kehrt gerade zurück; er besteigt die fliegende Holztreppe, die zur Wagentüre führt. Er hält in seinen Armen eine grosse Zwiebackbüchse, ein Phantasiebrot und eine Champagnerflasche. Blaire ruft ihn an:
– Du, du Fessier, die Hütte da, ist das die Zahnschmiede?
– Steht doch drauf, antwortet Sambremeuse, ein kleiner, feister, sauberer und rasierter Kerl, mit weissem, steifem Kinn. Wenn du's nicht siehst, dann geh doch lieber zum Viehdoktor und lass dir deine Gucklöcher wischen.
Blaire, der näher herangetreten ist, betrachtet das Institut. Er tritt noch ein paar Schritte näher hinzu, dann entfernt er sich, überlegt sich, ob er dem Karren seine Kiefer anvertrauen will und entschliesst sich endlich, setzt einen Fuss auf die Treppe und verschwindet im Wagen.
*
Und wir spazieren weiter … Der Weg führt uns auf einen krummen Pfad zwischen hohen Hecken, auf denen der Staub liegt.