Das Feuer. Henri Barbusse

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Das Feuer - Henri Barbusse


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nachdem man sie schüchtern geöffnet hatte und schaut sich draussen gegenseitig an, während der Vorrat an Hoffnungen in den Blicken immer kleiner wird.

      – Herrgott! Wirst sehn, wir kriegen nichts, murrt Barque. Ueberall haben sie schon mit Durchfallsgeschwindigkeit hingeschissen. Misthaufen, verfluchte!

      Die Menge wälzt sich nach allen Seiten. Die drei Strassen füllen sich nach dem Gesetz der kommunizierenden Röhren mit Leuten an. Man begegnet auch den Dorfbewohnern, alten Bauern oder schlecht gewachsenen Kreaturen, oder auch jungen Leuten, an denen das Geheimnis verborgner Krankheiten oder politischer Beziehungen haftet. In den Röcken stecken alte Weiber und viele junge, fette Mädchen mit aufgedunsenen Backen, die wie weisse Gänse einherwatscheln.

      Plötzlich erscheint mir, wie eine flüchtige Vision, zwischen zwei Häusern eine Frau, die jenen Schattenspalt durchschritt …

      Es ist Eudoxie! Eudoxie, jenes Rehweib, dem Lamuse nachjagte wie ein Faun im Wald und die sich an jenem Morgen, als wir den verwundeten Volpatte und Fouillade zurückbrachten, aus dem Waldrand beugte und mit Farfadet durch ein gemeinsames Lächeln verbunden schien.

      Sie war es, die ich soeben wie einen Sonnenstrahl in jenem Gässchen sah. Dann ist sie hinter einer Mauerwand verschwunden, und über die Stelle fiel der Schatten wieder … Sie schon hier! Natürlich, sie ist uns in unserer mühseligen und langen Wanderung gefolgt! Etwas hat sie hierhergezogen …

      Uebrigens, scheint sie in der Tat etwas herzulocken: so kurz auch der Augenblick war, der sie mir im blonden Lichte ihrer Haare zeigte, so habe ich doch einen ernsten, träumerischen und nachdenklichen Ausdruck von ihrem Gesichte ablesen können.

      Lamuse, der mir auf den Fersen folgt, hat nichts gesehn. Auch sag ich ihm nichts davon, denn er wird die Gegenwart jener reizenden Flamme, für die sein ganzes Wesen brennt, die ihn aber wie ein Irrlicht meidet, früh genug merken. Uebrigens haben wir augenblicklich Geschäftliches zu erledigen, und der ersehnte Ort muss unbedingt erobert werden. Wir machen uns wieder mit verzweifelter Energie auf die Suche. Barque schleppt uns mit und nimmt sich die Sache sehr zu Herzen. Er wittert wie ein Spürhund, und sein staubgepuderter Haarbüschel zittert vor Anstrengung. Er führt uns, die Nase auf der Suche und schlägt vor, es mit jener gelben Tür dort zu versuchen. Und nun heisst es: vorwärts!

      Bei der gelben Tür stossen wir auf eine hockende Gestalt; es ist Blaire; er stützt seinen Fuss auf den Randstein und schabt mit dem Messer seinen klotzigen Schuh ab und haut die Gipsschicht herunter wie ein Bildhauer.

      – Hast in deinem Leben noch nie solch schneeweissen Fuss gehabt, uzt ihn Barque.

      – Uzerei beiseite, antwortet Blaire, hast du 'ne Ahnung, wo der Zahnarztwagen steckt?

      Dann fährt er fort:

      – Ich muss absolut den Zähnekarren ausfindig machen, auf dass man mir die Kaue ansetzt und sie mir meine alten Dominos rausziehn. Irgendwo hier soll sie sein, die Maulklinik.

      Dann klappt er sein Messer wieder zu, steckt es in die Tasche und drückt sich an den Häusern entlang, in tiefer Sorge um die Wiedergeburt seiner Kiefer.

      Wir aber sagen unsere so oft wiederholte Bettlerlitanei wieder her:

      – Guten Tag, Madame, hätten Sie uns nicht einen kleinen Winkel zum Essen? Gegen Bezahlung versteht sich …

      – Nein …

      Eine männliche Gestalt aber hebt in der Aquariums-Beleuchtung des niedren Fensters sein merkwürdig flaches Gesicht, das, von parallelen Runzeln durchfurcht, an ein altes, beschriebenes Papier erinnert.

      – Hast doch den Hundestall.

      – 's hat keinen Platz im Hundestall, wir haben doch die Wäsche drin …

      Barque aber fängt den Vorschlag prompt auf.

      – Lässt sich vielleicht doch machen? Wir können's mal ansehn.

      – Die Wäsche ist doch drinn, knurrt die Frau und kehrt dabei mit ihrem Besen ununterbrochen weiter.

      – Wissen Sie, lächelt Barque einladend, wir sind nicht solche, die sich im Heu hinten betrinken. Wir könnten doch mal drüber reden, nicht?

      Die Frau lässt ihren Besen fahren. Sie ist mager wie ein Schatten. Ihr Mieder hängt an ihren Schultern wie an einem Kleiderhaken, sie hat ein ausdrucksloses, starres Pappegesicht. Sie guckt uns an, stutzt und führt uns schliesslich widerwillig in einen sehr dunklen Raum, der auf nackter Erde steht und in dem die schmutzige Wäsche herumliegt.

      – Is' ja tadellos, ruft Lamuse voller Ueberzeugung aus.

      – Reizendes Mädel! sagt Barque und klopft einem kleinen Mädchen auf die runden Backen, die wie bemalter Kautschuk aussehn; und das Mädchen betrachtet uns mit seiner kleinen, dreckigen Nase im Halbdunkel. Ist die Ihnen, Madame?

      – Und der da? wagt Marthereau zu fragen, als er ein aufgeschossenes Baby bemerkte, mit Backen, drall wie eine Schweinsblase und auf denen schmierige Konfitüre die Staubteilchen der Luft auffängt.

      Marthereau hält dem bestrichnen und klebrigen Gesicht mit einer gewissen Vorsicht seine Hand hin.

      Die Frau aber würdigte ihn keiner Antwort.

      Und wir stehn dabei, schaukeln auf unsern Beinen hin und her und lächeln wie Bettler, denen noch nicht ganz willfahren wurde.

      – Wenn sie nur ja sagt, der alte Waschlappen! flüstert mir Lamuse ins Ohr; denn ihn nagt ein Herzenswunsch, aber er traut der Sache noch nicht. Tadellos ist's hier, weisst du, und sonst ist alles schon besetzt!

      – Aber 's hat keinen Tisch, macht endlich die Frau.

      – Gotteswillen, machen Sie sich mal keine Sorgen wegen dem Tisch, ruft Barque aus. Die alte Türe dort in der Ecke, das ging schon für'n Tisch.

      – Sie werden mir doch nicht meine ganzen Sachen an die Luft setzen! antwortet das Pappe-Weib misstrauisch, wobei sie es offensichtlich bereute, uns nicht sofort vor die Türe gesetzt zu haben.

      – Haben Sie nur keine Bange! Schauen Sie her. He, Lamuse, alter Esel, da fass mal an.

      Und die alte Türe wird auf zwei Fässer gelegt, was das alte Mann-Weib unzufriedenen Blickes geschehn liess.

      – Das putzen wir ein bisschen und die Sache klappt.

      – Ha natürlich, Mütterchen, mal mit dem Besen drüber wischen, das gilt als Tischtuch.

      Sie wusste nicht recht, was sie dazu sagen sollte und schaute uns mürrisch an.

      – 's hat nur zwei Hocker, und wieviel seid ihr?

      – Ein Dutzend ungefähr.

      – Ein Dutzend, Jesus-Maria!

      – Spielt doch keine Rolle, wird schon gehn, hier hat's noch ein Brett zum sitzen, das ist doch wie bestellt, nicht, Lamuse?

      – 'türlich! meint Lamuse.

      – Aber das Brett da, das geb ich nicht gerne her; es waren schon früher welche da, die haben's schon mitnehmen wollen.

      – Aber wir sind doch keine Diebe, erklärt Lamuse, sehr zahm, um das Wesen, das in seinen Händen unser Glück geborgen hält, nicht zu erzürnen.

      – Weiss schon, aber Sie wissen, Soldaten, die machen immer alles kaput. Ach Gott, ist das ein Elend mit dem Krieg!

      – Jetzt, sagen Sie, und wie viel wär, die Miete für den Tisch und dann, wenn man was auf dem Ofen wärmen wollte?

      – Zwanzig Sous pro Tag, machte die Wirtin, und stösst diese Worte hervor, als quetsche man ihr die Summe gewaltsam


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