Das Feuer. Henri Barbusse

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Das Feuer - Henri Barbusse


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dem unebenen Boden, auf den seit Jahren der Staub und die Spinngewebe lautlos gefallen sind. Er findet das Essgerät wieder, aber es ist kohlenschwarz und mit dünnen Fasern behangen. Hier einen Gegenstand auf den Boden fallen lassen, ist allerdings eine Katastrophe und es heisst vorsichtig sein.

      Lamuse legt seine fette Schinkenfaust zwischen zwei Bestecke und ruft:

      Vorwärts, zu Tisch!

      Dann wird gegessen. Die Mahlzeit ist reichlich und von feiner Qualität. Das Gespräch mischt sich unter den Lärm der schmatzenden Mäuler und der Flaschen, die sich leeren. Und während man die Freude hat, das Essen sitzend zu gemessen, dringt durch's Kellerloch ein Lichtstrahl, der einen lichten Luftschleier webt, ein Stück des Tisches überstrahlt und ein Gedeck, ein Visier oder ein Auge aufblitzen lässt; – dabei betrachte ich verstohlen dieses düstere Fest, das vor Freude überschäumt.

      Biquet erzählt von den kniefälligen Scherereien, die es ihn kostete, bis ihm eine Glätterin den Gefallen tat, sich seiner Wäsche anzunehmen, aber »teuer war's, verdammich!« Tulacque beschreibt die Reihen, die vor dem Krämerladen Queue-stehen: verboten reinzugehn, draussen ist man eingepfercht wie 'ne Hammelherde.

      – Und wenn du schon draussen stehst, so schmeissen sie dich raus, wenn du 's Maul zu weit auftust.

      Und was alles sonst noch? Der Rapport zählt die Strafen auf, die auf Ausplünderung des Einwohners stehn; – er enthält schon eine ganze Liste. – Volpatte ist zurückgeschickt worden. – Die Leute der Klasse 93 werden auch zurückgeschickt: Pepere ist drunter.

      Barque, der die Bratkartoffeln auftischt, teilt mit, dass die Wirtin Soldaten an ihrem Tisch hat und zwar sind es die Krankenwärter der Maschinengewehr-Abteilung.

      – Die glauben, sie hätten das beste erwischt, aber wir haben's doch besser, meint Fouillade überzeugt, und stemmt sich in den Schatten dieses engen Und verdreckten Lokales, wo man ebenso blind aufeinanderhockt wie im Unterstand. (Wem fiele aber jetzt dieser Vergleich ein?)

      – Wisst ihr, sagt Pépin, die Jungens von der 9. Kompagnie, die haben's geschleckt! Die sind bei einer Alten, die sie umsonst logiert, weil ihr Alter, der vor fünfzig Jahren abgefahren ist, seinerzeit auch Voltigeur war. Sie hat ihnen, scheint's, sogar einen Rindrücken umsonst gegeben, den sie im Pfeffer verzehren.

      – Es hat schon überall gute Leute. Aber die Jungens von der 9. haben doch ein überzähliges Schwein, im ganzen Dorf gerade das Dach erwischt zu haben, wo's die guten Leute hatte.

      Palmyre bringt den Kaffee, den sie liefert. Sie ist zahmer geworden, hört unserer Unterhaltung zu und fragt uns aus mit hochmütiger Stimme;

      – Warum sagt ihr dem Adjutanten: le juteux?

      Barque antwortet wie ein Lehrspruch:

      – Nie noch ward er anders geheissen.

      Nachdem sie aber verschwunden ist, gibt man über den Kaffee sein Urteil ab:

      – Nun red einer noch von Helligkeit! Man sieht den Zucker unten im Glas spazieren gehn.

      – Sechs Sous verlangt sie dafür.

      – Filtriertes Wasser ist das.

      – Da geht die Türe einen Spalt weit auf und es gibt davon einen weissen Strich, darin das Gesicht eines kleinen Knaben erscheint. Man lockt ihn herein wie eine kleine Katze und hält ihm ein Stückchen Chokolade hin.

      – Ich heisse Charlot, zwitschert darauf das Kind. Wir wohnen nebenan, 's hat auch Soldaten bei uns. Es hat immer welche bei uns. Man verkauft ihnen alles, was sie wollen. Manchmal aber eben sind sie betrunken.

      – Sag mal, Kleiner, komm mal bisschen her, sagt Cocon und nimmt den Kleinen zwischen die Knie. Horch mal zu: Nicht wahr, dein Vater sagt: »Wenn nur der Krieg noch lange dauert,« nicht?

      – Freilich, antwortet das Kind und nickt mit dem Kopf, weil man dann reich wird. Er hat gesagt, dass wir Ende Mai fünfzigtausend Franken verdient haben werden.

      – Fünfzigtausend! Das ist nicht wahr!

      – Doch, doch! stampft der Kleine, Er hat's zur Mutter gesagt; dem Vater wär's recht, wenn's immer so weiter ging. Der Mutter ist es manchmal nicht recht, weil mein Bruder Adolf an der Front ist. Aber wir werden ihn zurückstellen lassen und dann kann der Krieg schon noch dauern.

      Kreischendes Gezanke von der Wohnung unseres Wirtes her macht diesem Geständnis ein Ende. Der bewegliche Biquet geht, Erkundigungen über das Gekreische einzuziehn.

      – 's ist nichts, sagt er zurückkehrend. Nur der Alte, der schnauzt die Alte an, weil sie kein Geschick hat, sagt er, weil sie den Senf in ein Weinglas giesst, so was sei nicht zum glauben, sagt er.

      Dann steht man vom Tisch auf und verlässt das Erdloch, in dem die drückende Luft nach Pfeifenqualm, Wein und abgestandenem Kaffee riecht. Beim Ueberschreiten der Schwelle fährt uns eine drückende Hitze entgegen, die noch ein Schmalzgeruch beschwert, wenn die Küchentüre aufgeht.

      Unzählige Fliegen summen in der Luft, kleben in schwarzen Schichten an den Mauern und fliegen, wenn man vorbeigeht, in brummenden Schwärmen auf.

      – Es ist wieder wie letztes Jahr! … Draussen die Fliegen, drinnen die Läuse …

      – Und im Innern die Bazillen.

      In diesem schmutzigen, kleinen Haus mit dem angehäuften alten Krimskrams und den staubigen Ueberresten aus der vergangnen Jahreszeit, mit der Asche erloschner Sonnen, kriecht durch die Möbel und die Gerätschaft ein Etwas umher: ein altes Männchen mit langem, abgeschältem Hals, rauh und hellrot, der an eine kranke, gerupfte Hühnerkehle mahnt. Der Alte hat auch das Profil einer Henne, eine lange Nase, unter der das Kinn fehlt. Der graue Filzfleck seines Bartes sitzt in der Höhlung seiner eingefallnen Wange, und ein Paar dicke, runde und hornige Augenlider öffnen und schliessen sich wie zwei Deckel über der blinden Glasur seiner Augen.

      Barque hat ihn schon beobachtet.

      – Guck her, er sucht: einen Schatz. Er behauptet, es sei einer versteckt in dieser Spelunke, in der er den Schwiegeralten spielt. Mit einem Mal siehst du ihn auf allen Vieren kriechen und mit seinem alten Käsestummel in allen vier Ecken herumschnüffeln. Da! Guck hin!

      Der Alte nahm mit seinem Stock eine systematische Untersuchung vor. Er klopfte den Wandsockel und die Bodenkacheln ab, wurde dabei durch die vorbeigehenden Hausbewohner angerempelt und auch durch den Besen Palmyrens, die ihn gewähren Hess in der offensichtlichen Ueberzeugung, dass die Ausbeutung des armen Publikums ein besserer Schatz sei als märchenhafte Schatullen.

      Zwei Klatschbasen standen in einer Fensternische und erzählten sich Geheimnisse neben einer alten Karte Russlands, auf der die Fliegen scharenweise klebten.

      – Ja, ja, schnatterte die eine, aber mit dem Picon muss man aufpassen. Wenn Ihnen beim Einschenken die Hand zu schwer wird, kriegen Sie die sechzehn Gläser pro Flasche nicht raus und dann kommen Sie mit dem Verdienst zu kurz. Ich meine nicht, dass man noch aus dem Geldsack drauflegen müsste, aber immerhin mit dem Verdienst kommt man doch zu kurz. Man müsste sich eben unter Verkäufern verständigen, aber das ist so schwer, sogar wenn's im allgemeinen Interesse ist!

      Draussen brennt eine höllische Sonne mit unheimlich viel Fliegen. Die Viecher waren vor einigen Tagen noch selten, aber seither hört man überall das Gesumme ihrer winzigen und unzähligen Motore. Ich gehe mit Lamuse ein wenig spazieren; wir schlendern durch die Strassen. Heute wird man Frieden haben; denn heute ist vollständiger Ruhetag wegen des nächtlichen Marsches. Man könnte auch schlafen, aber es ist vorteilhafter, die Zeit zum ungebundenen Spazierengehn auszunützen; morgen wird man wieder ins Exerzieren und in den Quartierdienst eingespannt werden …

      Wir sind allerdings nicht die Unglücklichsten, denn andere sind heute schon ins Räderwerk des Quartierdienstes


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