Das Feuer. Henri Barbusse

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Das Feuer - Henri Barbusse


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als sie nach Verwundeten schnupperten; die haben uns angemeldet. Dann kriegten wir Befehl zum Rückzug und zwar sofort, hiess es. Da haben wir unsre Siebensachen gepackt und sind gegangen und haben gelacht von wegen dem »sofort«. Den Deutschen haben wir die Schnüre von den Beinen abgeschnallt, haben sie mitgenommen und dem 204ten abgeliefert. Und jetzt sind wir wieder da.

      – Im Vorübergehn haben wir sogar einen Sergeanten aufgefunden, der sich in ein Loch duckte und sich nicht rauswagte; so was wie Gehirnerschütterung hatte er; da haben wir ihn angeschnauzt und das hat ihn wieder ein wenig auf den Damm gebracht und »dank schön« hat er gesagt; Sacerdote, hiess er.

      – Aber du? Deine Wunde?

      – An beiden Ohren. Eine Granate, weisst du, mitten rein geplatzt. Mein Kopf zwischen die Splitter durch sozusagen, aber knapp, sag ich dir, rasibus, nur die Ohrläppchen, die hat's geputzt.

      – Wenn du's siehst, sagt Fouillade, zum kotzen, die beiden Ohren, so runterhängen sie. Unsre zwei Verbandpakete hatten wir, und die Sänftenträger haben uns noch eins gepumpt. Drei Verbände hat er also rumgewickelt um seine Wärmeflasche.

      – Gebt euer Zeug her, und gehn wir heim.

      Farfadet und ich teilten uns in das Gepäck von Volpatte. Fouillade aber will um alles in der Welt das seine nicht hergeben, obwohl der Durst ihn melancholisch stimmt und er vor Trockenheit vergeht.

      So schreiten wir denn langsam davon. Ist es doch immerhin ein Genuss, nicht in Reih und Glied marschieren zu müssen; und es ist so selten, dass es einem ungewohnt vorkommt und eine Wohltat ist. Bald atmen wir alle vier erleichtert auf und fühlen uns frei; man schreitet so wie zum Vergnügen übers Land.

      – Jetzt gehn wir spazieren, sagt Volpatte stolz. Und als wir aber oben auf der Anhöhe stehn, gibt er sich rosigen Gefühlen hin und sagt:

      – Es ist doch noch eine Glückswunde schliesslich, so krieg ich doch Urlaub, totsicher.

      Er zwinkert mit den Augen; Freude strahlt aus ihnen und aus der weissen Kugel, die auf seinen Schultern hin- und herwackelt und an den verwundeten Stellen rötlich gefärbt ist.

      Da tönen aus der Tiefe sechs Glockenschläge vom Dorf her.

      – Ich kümmere mich 'n Dreck um die Zeit, sagt Volpatte. Die Zeit, die sich abwickelt und ich, wir haben miteinander nichts mehr zu tun.

      Mit einem Male wird er redeselig. Ein leichtes Fieber reizt seine Gesprächigkeit, wobei er vergnügt in einem langsamen Schritt dahinschlendert.

      – Jetzt krieg ich ein rotes Zeichen auf den Mantel, totsicher, und werd zurückgeschickt. Und dabei werd ich höflich behandelt werden: »Bitt schön, hier durch … so, so, Alterchen.« Dann die Ambulanz, dann der Sanitätszug mit den Knutschereien der Damen vom Roten Kreuz auf der ganzen Reise, wie sie 's dem Crapelet Jules gemacht haben, und dann 's Spital erst mit weissen Bettüchern und dem warmen Ofen mitten drin und nichts als Leute, die einen bedienen und denen man zuschaut, und die Ordonnanz-Hauspantoffeln, Herrgott, und einen Nachttisch: Möbel überhaupt! Und in den grossen Spitälern wohnst du prima, was die Nahrung angeht. Ausgezeichnetes Essen, Bäder werd ich nehmen, überhaupt werd ich alles nehmen, was da ist. Und allerlei Annehmlichkeiten, ohne dass man erst mit den andern drum raufen muss und sich bis aufs Blut drum anstrengen. Auf der Bettdecke liegen dann meine beiden Pfoten, die nichts zu tun haben, wie Luxusartikel – wie so 'n Spielzeug! Und ich unter der Decke schön warm von oben bis unten, und die Füsse ausgebreitet wie zwei Veilchensträusser …

      Volpatte hält plötzlich inne, sucht in seinen Taschen und zieht zugleich mit seiner berühmten Schere von Soissons etwas heraus, das er mir vorzeigt.

      – Guck her, hast du's schon gesehn?

      Es ist das Bild seiner Frau und seiner beiden Jungens. Schon oft hat er sie mir gezeigt; auch diesmal schau ich's an und nicke zustimmend.

      – Jetzt geh ich dann auf Urlaub, fährt Volpatte fort, und derweil meine Ohrlappen wieder anwachsen, werden mich meine Frau und meine Kinder anschauen, und ich werd sie auch anschauen. Und während sie dann wieder anwachsen, wie Salat, unterdessen wird's vorwärts gehn mit dem Krieg … Die Russen … oder sonst was! …

      So ergab er sich dem glücklichen Zukunftstraum, sprach laut vor sich hin und fühlte sich bereits weit weg von uns in seiner Feststimmung.

      – Du Lauskerl! schrie ihn Fouillade an. Ein gottverdammtes Schwein hast du!

      Wie sollte man ihn auch nicht beneiden? Ihn, der jetzt einen oder zwei Monate lang, gerade in dieser Jahreszeit, hinter die Front kommen wird, und der, anstatt hier in Gefahr und Elend weiter zu leben, plötzlich in einen Rentier umgewandelt war!

      – Anfangs, meinte Farfadet, fand ich's schon komisch, wenn einer von der »guten Wunde« sprach. Aber jetzt, hol's der Teufel, jetzt ist es bei Gott das einzige, was sich ein armer Soldat Gutes wünschen kann.

      *

      Das Dorf lag nicht mehr weit von uns, als wir gerade um den Wald bogen. Da erschien plötzlich eine weibliche Gestalt an der Waldecke gegen das Licht, dessen helle Strahlen ihre Silhouette leuchtend abgrenzten. Am Saum des Waldes, in dessen Hintergrund die Bäume violette Striche hinzeichneten, stand die schlanke Gestalt mit blondleuchtenden Haaren; in ihrem blassen Gesicht aber sah man ein Paar grosse Augen, wie zwei Nachtschatten sitzen. Dieses leuchtende Wesen schaute uns an und stand auf zitternden Beinen; dann schlüpfte sie plötzlich unter's Gehölz wie eine Fackel.

      Diese Erscheinung, die so plötzlich wieder verschwand, machte auf Volpatte einen solchen Eindruck, dass er den Faden seiner Rede verlor.

      – Ist das eine Schnepfe, das Weib da?

      – Nein, meint Fouillade, der nicht recht verstanden hatte; Eudoxie heisst sie. Ich kenne sie, vom Sehn; sie ist ein Flüchtling. Keine Ahnung, woher sie kommt; ich weiss nur, dass sie in Gamblin bei einer Familie wohnt.

      – Sie ist mager und schön, bemerkte Volpatte. 'n bisschen dran naschen, wäre gar nicht übel … das wär ein Fressen, so'n Hühnchen … Paar Augen hat sie!

      – Komisch ist sie, sagt Fouillade. Immer muss sie rumstrolchen. Kaum siehst du sie irgendwo mit dem blonden Haarbusch oben drauf, da ist sie schon weg. Und dann weiss sie nicht, was Gefahr ist. Manchmal drückt sie sich in der vordersten Linie rum. Komisches Ding.

      – Da! dort ist sie wieder, die Erscheinung! Die hält uns fest mit den Augen. Offenbar kommen wir ihr interessant vor.

      Die leuchtende Silhouette zierte in diesem Augenblick das andere Ende des Waldrandes.

      – Ich kümmere mich 'n Dreck um die Weiber, erklärte Volpatte, der sich wieder in seinen Urlaubstraum versenkte.

      – Jedenfalls hat's einen in der Korporalschaft, der haarig in sie vernarrt ist. Da! Wenn man vom Wolf spricht …

      – Sieht man seinen Schwanz …

      – Noch nicht, aber fast … Da!

      Und man sah aus einem Gebüsch, heraus rechterhand, die Nase von Lamuse wie einen roten Wildschweinrüssel vorschnüffeln. Er war jenem Frauenzimmer auf der Spur und als er sie sah, stand er still wie ein Jagdhund und holte zum Sprung aus. Als er sich aber auf das Weib stürzen wollte, stiess er auf uns.

      Wie der dicke Lamuse nun Volpatte und Fouillade erkannte, liess er einen Freudenschrei los und hatte nur noch den einen Gedanken, uns die Tornister, die Gewehre und die Brotsäcke abzunehmen.

      – Her damit! Ich hab ausschlafen können, gebt nur her!

      Alles wollte er tragen; Farfadet und ich machten keine Schwierigkeiten und gaben gerne das ganze Zeug Volpattes ab; auch Fouillade trennte sich schliesslich von seiner Brottasche und seinem Gewehr.

      So wurde Lamuse


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