Das Feuer. Henri Barbusse
Читать онлайн книгу.fragt den Wagenmeister:
– Wer hat dir das gesagt?
Der Wagenmeister verrät seine Quelle:
– Der Adjutant und Kommandant der Landwehrabteilung, der im General-Quartier des Armee-Korps den Verwaltungsdienst versorgt.
– Wo?
– Im General-Quartier des Armee-Korps … Und er sagt es übrigens nicht allein. Der andere da, weisst du, der Kerl, von dem ich den Namen vergessen habe: der, der dem Galle so ähnlich sah und doch nicht der Galle ist. Ich weiss nicht mehr, wen er in der Familie hat, der irgend was Teufels ist. Aber der konnte es von dem ganz genau wissen.
– Und dann?
Und sie stehn im Kreis, mit gierigen Blicken, um den Geschichten-Erzähler.
– Nach Aegypten, sagst du? … kenn ich nicht. Weiss nur, dass es dort Pharaonen gab, als ich noch klein war und in die Schule ging. Aber seither! …
– Nach Aegypten …
Der Gedanke bohrt sich allmählich in die Köpfe ein.
– Nein, sagt Blaire, ich hab die Seekrankheit Aber schliesslich die Seekrankheit, das dauert nicht lange … Schon, aber was würde meine Alte dazu sagen?
– Was soll sie auch? Sie wird sich schon damit zurechtfinden!
Aber Neger werden wir sehn; und grosse Vögel laufen dort auf den Strassen herum, wie bei uns die Spatzen.
– Hiess es denn nicht, wir kämen nach dem Elsass?
– Doch, sagt der Wagenmeister. Im Tresor glauben es einige.
– Mir wär's schon recht …
… Aber der gesunde Menschenverstand und die Erfahrung haben bald wieder die Oberhand gewonnen und verjagen die Träume. Wie oft hat man nicht bestimmt behauptet, dass man weit weg käme; so oft hat man es geglaubt und jedesmal wurde man enttäuscht! Dann ist es einem, als erwache man plötzlich wieder.
– Das ist alles Schwindel! Wie oft hat man uns angeschmiert. Warte erst ab, bevor du's glaubst, und zerbrich dir den Schädel nicht darüber.
Sie kriechen in ihre Ecken zurück, der eine da durch, der andere dort durch und ihre Hände halten das schwere oder leichtere Paket der Briefe.
– So! sagt Tirloir, ich muss schreiben, ich muss alle acht Tage geschrieben haben, da kannst du nichts dagegen machen.
– Ich auch, sagt Eudore, muss meiner kleinen Frau schreiben.
– Wie geht's der Mariette.
– Gut. Hab nur keine Bange wegen Mariette.
Einige haben sich schon zum schreiben fertig gemacht. Barque benützt sein Notizbuch als Unterlage. Er schreibt stehend auf einer Unebenheit der Grabenwand und scheint dabei das Opfer einer Inspiration; er schreibt und schreibt, den Kopf schief auf der Seite, angespannten Blickes und mit vollster Aufmerksamkeit wie ein Reiter in gestrecktem Galopp.
Dem Lamuse hingegen fehlt die Phantasie; er hat sich hingesetzt, das Brieftäschchen auf den Gipfel seines ausgepolsterten Knies gelegt und den Tintenstift angefeuchtet; nun liest er die letzterhaltenen Briefe wieder durch und weiss nichts anderes zu schreiben, als das, was er schon einmal geschrieben hat und doch versteift er sich darauf, etwas neues zu finden.
Eine süsse Gefühlsstimmung liegt über dem kleinen Eudore; er sitzt zusammengekauert in einer Art Erdnische und sammelt seine Gedanken, den Bleistift in der Hand, die Augen auf dem Papier; er blickt verträumt und schaut süsse Bilder und man errät jenen andern Himmel, der ihn erstrahlen lässt und wohin sein Blick schweift, weithin bis in seine Heimat …
Während des Briefschreibens ist man am ehesten wieder, was man früher war. Mehrere unter den Soldaten geben sich der Erinnerung an jene Vergangenheit hin und erzählen einander zunächst vom Essen.
Andere lassen in unbeholfener und unklarer Form einen vergangenen Traum wach werden, wo das einst Gewesene wie helle Lichtstrahlen aufleuchtet: der frühe Sommertag, wenn das frische Grün des Gartens in die weisse Bauernstube leuchtet, oder der Wind, der über die Ebenen weht und die Kornfelder wiegt in behäbigen und festen Rhythmen, und daneben das Haferfeld, das mit zappeliger und weiblicher Beweglichkeit im Winde erzittert; oder die Winterabende, wenn die lieblichen Frauen um den Tisch sitzen, im sanften Schein der Lampe.
Papa Blaire hat einen begonnenen Fingerring vorgenommen, hat das unfertige Aluminium-Ringlein über einen Holzzapfen gezogen und bearbeitet es mit einer Feile. Mit ganzer Seele ist er bei der Arbeit und strengt seine volle Geisteskraft an, wobei zwei tiefe Runzeln sich in seine Stirn graben. Zeitweise hält er inne, hebt den Kopf hoch und betrachtet den kleinen Gegenstand mit Liebe, wie wenn auch sie dabei wäre und es besähe.
– Verstehst du, sagte er mir eines Tages wegen eines andern Ringes, gut oder nicht gut, darauf kommts nicht an; Hauptsache ist, dass ich's für meine Frau gemacht habe, verstehst du? Wenn ich so nichts zu tun hatte und mir die Faulheit in den Knochen lag, betrachtete ich dieses Bild (dabei zeigte er die Photographie einer dicken, pausbäckigen Frau) und dann ging's mit diesem verfluchten Ring wie geschmiert. Wir haben ihn miteinander gemacht, kann man sagen, verstehst du? Beweis dafür ist, dass er mir Gesellschaft leistete und dass ich von ihm Abschied genommen habe, als ich ihn meiner Alten schickte.
Jetzt macht er einen andern mit Kupfereinlage und arbeitet fleissig dran. Sein ganzes Gefühl möchte er so gut als möglich hineinlegen und übt sich darin wie in einer Art Kaligraphie.
In den nackten Erdlöchern, in denen diese Menschen ehrfurchtsvoll über leichte, elementare Schmucksächelchen gebückt sitzen, über jene Gegenstände, die so winzig sind, dass die harte, schwere Hand sie mühevoll hält und gleiten lässt, bei dieser Arbeit erinnern sie noch mehr an Wilde und scheinen primitiver und menschlicher noch als sonst.
Man denkt dabei an den ersten Erfinder, den Vater aller Künstler, der es versuchte, dauerhaften Gegenständen die Form des Gesehenen zu verleihen und sein eigenes Erleben hineinzulegen.
*
– Achtung, es kommen welche, kündet Biquet an, der immer in unserm Grabenabschnitt die Rolle eines Hauswärters vertritt, ein ganzer Zug.
Im gleichen Augenblick erscheint ein Adjutant mit geschnürtem Bauch und Kinn, und schwingt die Säbelscheide.
– Platz da! Teufel nochmal, Platz, wenn ich's sage! Liegt ihr auf der Bärenhaut? … Vorwärts, drückt euch, das letzte Mal, dass ich euch auf der Passage erwische, verstanden!
Die Leute folgen langsam. Einige drücken sich träge in die seitlichen Löcher.
Es ist eine Kompagnie Landwehrleute des Sektors, die die Erdarbeiten in der zweiten Linie zu besorgen und die hinteren Laufgräben instand zu halten haben. Sie marschieren mit ihren Geräten, in elender Kleidung und müden Schrittes an.
Man betrachtet sie, einen nach dem andern, jeden einzelnen, wie er herankommt, vorbeigeht und verschwindet. Kleine, alte und zusammengeschrumpfte Leute, mit aschgrauen Backen, oder dicke, asthmatische Kerle, eng eingeschnürt in ihre abgeschossnen, ausgefranzten fleckigen Mänteln, an denen die Knöpfe fehlen.
Tirette und Barque, die beiden Spassvögel, stehn mit dem Rücken an der Erdwand und betrachten sie zunächst ohne Bemerkungen. Dann lächeln sie.
– Strassenkehrer-Défilé, meint Tirette.
– 's gibt was zu feixen für drei Minuten, kündet Barque an.
Einige jener alten Arbeiter sehn in der Tat komisch aus. Da kommt zum Beispiel einer, dem die Schultern herabhängen wie bei einer Flasche; er hat eine ausserordentlich schmächtige Brust und dünne Beine und ist trotzdem wohlbeleibt.
Barque