Das Feuer. Henri Barbusse
Читать онлайн книгу.bemerke einen jener Entwischten, der in den Tag hinein singt wie der Husar aus dem Volkslied; es ist Vanderborn, der Trommler.
– Nanu, Vanderborn, so gut aufgelegt?
Vanderborn, der gewöhnlich sehr still ist, schreit mich an:
– Also diesmal sollt es noch nicht sein: bin noch da! Und mit der breiten Gebärde eines Wahnsinnigen, haut er mir die Faust auf die Schulter.
Ich verstehe …
Wenn sich jene Menschen trotz allem bei Verlassen dieser Hölle glücklich fühlen, so sind sie's eben gerade, weil sie in der Tat einer Hölle entwischt sind. Sie kehren zurück und sind gerettet; und dieses Mal noch hat sie der nahe Tod verschont. Die Dienstfolge schickt jede Kompagnie alle sechs Wochen in die erste Linie! Sechs Wochen! Die Soldaten im Kriege haben über die kleinen und grossen Dinge eine kindliche Philosophie: sie denken nie sehr weit und schauen nicht um sich und nicht weit vor sich in die Zukunft. Sie leben ungefähr von der Hand in den Mund und heute haben diese die Gewissheit, noch ein Weilchen leben zu können.
Und deswegen sind sie froh, trotz der Müdigkeit, die sie drückt und trotz der frischen Schlächterei, deren Spritzer sie noch beschmutzen, trotz der Verluste ihrer Brüder, trotz alledem sind sie in der Feststimmung von Ueberlebenden, die das unendliche Glück geniessen, noch aufrecht im Leben zu stehn.
*
IV. Volpatte und Fouillade.
Bei der Ankunft im Quartier rief eine Stimme:
– Wo ist nur Volpatte?
– Und wo ist Fouillade?
Sie waren vom 5. Bataillon aufgeboten, mit in die erste Linie genommen worden, und sollten sich nachher wieder in unserm Quartier einfinden; aber man fand nicht die Spur von ihnen. So war die Korporalschaft um zwei Mann ärmer geworden!
– Der Teufel soll das holen! So geht's einem immer, wenn man seine Leute hergibt, kreischte der Sergeant.
Als der Hauptmann davon erfuhr, fluchte auch er und sagte:
– Ich brauch die Leute; man soll sie sofort auftreiben. Vorwärts!
Farfadet und ich wurden von Korporal Bertrand aus der Scheune gerufen, in der wir uns schon zur Ruhe hingelegt hatten und einschlummern wollten.
– Volpatte und Fouillade müssen her. Wir standen schnell auf und machten uns mit bangem Gefühl auf den Weg. Unsre beiden Kameraden waren vom fünften Bataillon mit in jene höllische Ablösung mitgezogen worden. Wer weiss, wo sie jetzt stecken und was aus ihnen geworden ist?
… Wir gehn den Hügel wieder hinauf und machen zum zweitenmal, in entgegengesetzter Richtung, den langen Weg, den wir letzte Nacht und seit Morgenanbruch bereits hinter uns gelegt hatten. Wir sind zwar unbepackt, tragen bloss das Gewehr und die gewöhnliche Ausrüstung, aber die Müdigkeit lastet dennoch auf uns; schlaftrunken schleppen wir uns durch die traurige Landschaft, unterm dunstgrauen Himmel. Farfadet fängt allmählich an zu keuchen; anfangs sprach er ein wenig, dann aber liess ihn die Müdigkeit verstummen. Er ist zwar tapfer, aber schwächlich und hatte früher kaum gelernt, sich seiner Beine zu bedienen; denn seit seiner ersten Kommunion kratzte er mit der Feder in einem Bürgermeisteramt hinter dem Ofen und in Gesellschaft von alten verstaubten Akten.
Als wir aber aus dem Holz treten und uns, auf dem glitschigen Boden vorwärts tappend, in die Verbindungsgräben drücken, sehen wir zwei dünne Schatten vor uns; es sind zwei Soldaten, die auf uns zuschreiten; man erkennt die rundliche Form ihrer Bepackung und den geraden Strich ihres Gewehres. Allmählich wird die schwankende Zwillingserscheinung deutlicher.
– Sie sind es!
Einer von ihnen hat den Kopf in dickes Verbandzeug eingewickelt.
– Verwundet? Es ist Volpatte!
Wir laufen den Auferstandenen entgegen; dabei zischen unsre Sohlen geräuschvoll im Kot, in den wir einsinken, und die Patronentaschen schütteln klirrend ihren Inhalt.
Die beiden stehen still und lassen uns herankommen. Als wir nun auf Hörweite von ihnen entfernt sind, schreit Volpatte:
– Höchste Eisenbahn!
– Bist du verwundet?
– Was? fragt Volpatte, dem der Verband die Ohren verstopft, sodass man brüllen muss, um sich mit ihm zu verständigen. Wir treten an ihn heran und schreien; dann antwortet er:
– Noch gut abgelaufen … Wir kommen aus dem Loch, wo uns das 5. Bataillon Donnerstag reingesteckt hat.
– Seid ihr solange nicht mehr rausgekommen? brüllt Farfadet, dessen gellende Frauenstimme durchs Polster dringt, das Volpatte das Trommelfell versperrt …
– Jawohl, meint Fouillade, Gottverdammich! Oder glaubst du, wir sind mit Flügeln davongeflogen, oder haben uns etwa ohne Befehl auf die Beine gemacht?
Dann hocken beide ermattet ab. Der Kopf von Volpatte sieht aus wie ein Pack schmutziger Wäsche, mit dem dicken Knoten oben auf dem Verband, aus dem ein schwarzgelbliches Gesicht guckt.
– Hat man euch arme Teufel vergessen?
– Schon ein wenig! schreit Fouillade, glaub's schon, dass man uns vergessen hat! Vier Tage und vier Nächte in einem Granatenloch, wo die Kugeln von der Seite einschlugen und das obendrein noch nach Scheisse roch.
– Hast 'ne Ahnung, sagt Volpatte. Das war kein gewöhnlicher Horchposten, wo man aus und eingeht und regelmässig abgelöst wird. Ein Granatenloch, sag ich dir, ein ganz gewöhnliches Granatenloch und nichts weiter. Letzten Donnerstag haben sie uns gesagt: »So, versteckt euch hier und schiesst in einer Tour weiter«, hat einer gesagt. Am andern Morgen kam zwar einer vom 5. Bataillon und hat seine Nase reingesteckt: »Was Teufels macht ihr hier!« »Schiessen tun wir; sie haben gesagt wir sollen schiessen, deshalb schiessen wir und wenn sie's gesagt haben, wird schon was dran sein; und jetzt warten wir, bis einer sagt, wir sollen was anderes tun als schiessen.« Drauf hat sich der Kerl gedrückt; er schien nicht ganz überzeugt von der Sache und hatte offenbar keine Vorliebe für Granatenpuffer, »'s ist 10 Uhr« hat er gesagt.
– Wir hatten für uns zwei, fährt Fouillade weiter, einen Kleieklumps und einen Kübel Wein, den uns die 18te gegeben hatte und eine ganze Patronenkiste. Die Patronen haben wir verknallt und den Saint-Honoré gesoffen. Vorsichtshalber haben wir ein paar Patronen und von dem Kuchen ein Stück aufgehoben; den Wein aber haben wir ausgetrunken.
– Schade, sagt Volpatte, sintemal ich durstig bin. Habt ihr nichts für den Gaumen, ihr?
– Einen Tropfen Wein hab ich noch, antwortet Farfadet.
– Her damit, sagt Fouillade, indem er auf Volpatte deutet. Er hat Blut verloren, ich hab nur einen gewöhnlichen Durst, gib's ihm.
Volpatte schlotterte. Seine kleinen Augen fieberten aus dem mächtigen Verband heraus, der wie ein Stein auf seinen Schultern lag.
– Ah! Das tut wohl, meinte er und trank den Wein.
– Richtig, fuhr er fort, nachdem er, wie es die Höflichkeit gebietet, den letzten Tropfen auf den Boden geschleudert hatte, zwei Deutsche haben wir gesichert. Sie krochen über's Feld und sind in unser Loch geraten, blindlings wie Maulwürfe in eine Falle, die Scheissbrüder. Eingesackt haben wir die Kerle. Als wir dann sechsunddreissig Stunden lang geschossen hatten, haben wir die letzten Patronen in die Klistierspritze gesteckt und haben gewartet mit unserm deutschen Paket. Der Verbindungskuli hatte nämlich vergessen zu sagen, dass wir noch immer da seien. Ihr vom 6ten habt vergessen uns zurückzuverlangen, die 18te Kompagnie, die hat uns auch sitzen lassen und da wir nicht auf gewöhnlichem Horchposten standen, wo es regelmässige Ablösung gibt wie