Das Feuer. Henri Barbusse

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Das Feuer - Henri Barbusse


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macht der erste, da sind »Poilus« … waschechte »Poilus«, tatsächlich.

      Dann tritt er auf uns zu, schüchtern wie ein Tiergarten-Besucher, und reicht dem ersten etwas linkisch die Hand, wie man einem Elefanten ein Stück Brot hinreicht.

      – So, so, sie trinken den Kaffee, konstatiert er kurz.

      – Man sagt »Schlamm«, berichtigt der schwarze Herr.

      – Schmeckt's, was?

      Der Soldat, an den sich die Frage richtet, und der selbst durch die fremden und exotischen Erscheinungen etwas eingeschüchtert ist, brummt etwas hin, lacht und errötet; dann sagt der Herr: »He! He! worauf er mit dem Kopfe ein wenig nickt und sich rücklings zurückzieht.

      – Brav, brav, meine Freunde. Ihr seid tapfere Leute!

      Darauf setzt sich der Menschenknäuel, der aus neutralem Zivilgrau und bunten Militärfarben besteht, wie mit Geranium und Hortensienblumen auf einem schwarzen Grund, wieder in Bewegung, drückt sich vorbei und verschwindet wieder auf der Seite, von der er gekommen war. Noch hörte man einen Offizier zu ihnen sagen: »Bitte die Herren Journalisten, wir haben noch vieles zu sehn.«

      Als aber die vornehme Gesellschaft verschwunden war, schauten wir uns an. Diejenigen, die in den Schlupfwinkeln verduftet waren, kriechen einer nach dem andern wieder hervor. Die Leute finden sich wieder und zucken mit den Achseln.

      – Das sind Journalisten, meint Tirette.

      – Journalisten?

      Na ja, die Bonzen, die die Zeitungen machen; kapierst du immer noch nicht, du Dickschädel! Oder meinst du, die Zeitungen, das geht so ganz von selbst?

      Also das wären jetzt die, welche uns den Schädel mit ihrem Zeug vollpfropfen? sagt Marthereau.

      Barque aber holt seine Fistelstimme vor, hebt die Hände hoch als halte er ein Stück Papier vor die Nase und rezitiert:

      – »Der Kronprinz ist verrückt geworden, nachdem er gleich zu Kriegsbeginn getötet worden war und hat unterdessen alle erdenklichen Krankheiten. Wilhelm stirbt heute oder morgen. Die Deutschen haben keine Munition mehr und futtern Holz: nach den massgebendsten Ansichten können sie nur noch bis Ende der Woche stand halten. Man wird sie kriegen, sowie man nur will, Gewehr bei Fuss. Wenn man die Sache bis jetzt noch verschiebt, so geschieht das nur, weil wir uns von unserm lieben Schützengraben nicht trennen können; es ist nämlich so gemütlich darin, mit Wasser, Gas und Brausebad auf jeder Etage. Das einzig störende ist im Winter die allzugrosse Hitze … Was die Oesterreicher betrifft, so halten die schon lange nicht mehr stand … sie stellen sich nur so, als ob …« Fünfzehn Monate schon geht das in dem Ton weiter und meint der Direktor zu seinen Schreibern: »So Jungens, jetzt heisst's die Geschichte breit treten, dass die verfluchten vier weissen Blätter, die man zu verdrecken hat, voll werden.«

      – Tja ja! macht Fouillade.

      – Na was denn sonst, Korporal, du lachst; hab ich Recht oder nicht?

      – Etwas Wahres ist schon dran, aber ihr macht die kleinen Kerle doch ein wenig zu schlecht; wenn ihr um eure Zeitung kämt, wärt ihr die allerersten, die 's Maul verziehn würden … Jawohl, wenn der Zeitungsverkäufer kommt, was schreit ihr dann einer wie der andre: »Mir! Mir!

      – Und überhaupt kann dir das alles doch Wurst sein! ruft der alte Blaire. Schreit sich der Kerl die Kehle heiser über die Zeitungen; mach's wie ich und denk einfach nicht dran.

      Ja, schon gut, Maul halten! Buch zu, Eselsrüssel!

      Die Unterhaltung lässt nach, die Aufmerksamkeit verfliegt. Vier Leute machen sich zu einem Kartenspiel zusammen, das bis zum Abend dauern wird und man die Karten nicht mehr unterscheiden kann. Volpatte hascht einem Zigarettenblättchen nach, das ihm aus den Fingern geflogen ist und an der Grabenwand wie ein fliegender Schmetterling hin- und herflattert.

      Cocon und Tirette kramen Kasernen-Erinnerungen aus. Die Dienstjahre leben in unverwischbarer Erinnerung in den Geistern fort; man war so sehr daran gewöhnt seit zehn, fünfzehn oder zwanzig Jahren in dieser reichen, stets offenen und freigebigen Fundgrube Unterhaltungsstoff zu schöpfen, dass man nach anderthalb Jahren allseitiger Kriegserfahrung immer noch darauf zurückgreift.

      Ich lausche mit einem Ohr der Unterhaltung und errate das übrige, übrigens sind es stets dieselben Anekdoten, die der Exmilizer aus seiner militärischen Vergangenheit hervorholt: das eine Mal hat einer einem lästigen Vorgesetzten durch eine freche aber witzige Antwort das Maul gestopft. Er, er hat's gewagt, er hat es ihm laut und deutlich gesagt! … ich vernehme einzelne Bruchstücke der Unterhaltung:

      – … und als Nenoeil mich verklatscht hatte, jawohl, nicht einen Augenblick hab ich mit der Wimper gezuckt. Die andern hatten alle 's Maul verpappt; aber ich hab ihm's raus gesagt: »Herr Adjutant, hab ich gesagt, schon möglich, aber …« (der Rest des Satzes ist mir entfallen) … Jawohl, dem hab ich die Meinung gesagt. Er war mäuschenstill. »Schon gut, schon gut,« hat er gebrummt und hat sich gedrückt. Platt war er, sag ich dir.

      – Grad wie ich, damals mit dem Adjutant vom 13., als ich auf Urlaub war. Der Hund. Jetzt ist er Aufseher im Pantheon. Er konnte mich nicht riechen. Und dann …

      So holt ein jeder seine berühmten Aussprüche aus der Sammlung seiner Erinnerungen hervor.

      Und sie sind einer wie der andere: aber keiner ist unter ihnen, der nicht behauptete: ich bin nicht einer wie die andern.

      *

      – Der Wagenmeister!

      Ein grosser, breiter Kerl mit dicken Waden, gut gekleidet und geschniegelt wie ein Polizeisoldat.

      Er ist schlechter Laune. Neue Befehle sind ausgegeben worden und so muss er alle Tage zum Kommandoposten des Obersten die Briefsachen bringen. Er flucht auf diese Verordnung, als sei sie ausschliesslich gegen ihn gerichtet.

      Aber nichtsdestoweniger spricht er gewohnheitsgemäss mit dem einen oder dem andern im Vorübergehen und ruft die Korporale zur Verteilung der Briefe. Trotz seiner schlechten Laune packt er alle Neuigkeiten aus, mit denen er frisch beladen hergekommen war; und während er die Schnur löst, die die Briefe zusammenhält, verteilt er den Vorrat seiner mündlichen Neuigkeiten.

      Zunächst verrät er, im Rapport stehe das ausführliche Verbot, Kapuzen zu tragen.

      – Hörst du? sagt Tirette zu Tirloir. Kannst darauf hin deine schöne Kapuze wegschmeissen.

      – Fällt mir im Traum nicht ein, geht mich nichts an, antwortet der Kapuzenmann, dessen Ehre und Behaglichkeit zugleich auf dem Spiele stehn.

      – Befehl des Armee-Kommandanten.

      – Dann soll der General zuerst das Regnen verbieten; der Rest geht mich 'n Dreck an.

      Die meisten Befehle, selbst die minder aussergewöhnlichen, werden nie anders aufgenommen … bis man sich ihnen fügt.

      – Der Rapport befiehlt auch, sagt der Briefmensch, dass die Bärte abzuschneiden seien, und die Haare mit der Maschine, glatt ab!

      – Nur langsam, Alter! meint Barque, dessen Haarbüschel sich durch die Verordnung direkt bedroht fühlt, erzähl das deiner Grossmutter!

      – Maul halten! Uebrigens mach's oder mach's nicht, geht mich 'n Dreck an.

      Ausser diesen positiven, schwarz auf weiss festgenagelten Nachrichten, gibt es noch wichtigere, aber dafür auch weniger bestimmte und fantastischere Neuigkeiten: es heisst, die Division werde abgelöst und käme, entweder auf Urlaub – aber auf richtigen Urlaub, für sechs Wochen – oder nach Marokko, oder vielleicht nach Aegypten.

      – Eh! … Oh! … Ah! …

      Alles


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