Das Feuer. Henri Barbusse

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Das Feuer - Henri Barbusse


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im ruhigen Blau des Himmels.

      Bei der ersten Biegung vernehmen wir, kaum hörbar, das Knistern leichter Schritte und stehn gerade Eudoxie gegenüber.

      Lamuse stösst einen dumpfen Ausruf aus. Vielleicht glaubt er, dass sie ihm auch diesmal auf der Spur sei, und sieht darin ein Geschenk des Schicksals … Dann geht er mit dem ganzen Gewicht seiner Masse auf sie zu.

      Sie schaut ihn an, bleibt stehn, umkränzt von wilden Rosen. Ihr seltsam mageres und bleiches Gesicht wird unruhig, die Augenlider zittern über ihr prächtiges Augenpaar. Sie ist barhäuptig; ihr Mieder öffnet sich auf ihrem Hals an der Morgenröte ihres Busens. In solcher Nähe gesehn, ist sie in der Tat begehrenswert, dies goldbekränzte Weib im Lichte der Sonne. Die Mondblässe ihrer Haut lockt den Blick und lässt ihn stauen. Ihre Augen flackern und ihre Zähne glitzern in der heissen Wunde ihres halbgeöffneten Mundes, der sich wie Herzblut rötet.

      – Ich … hören Sie … ich möchte … sagt Lamuse heiss atmend; Sie gefallen mir so sehr …

      Und er streckt die Arme aus nach der kostbaren, unbeweglichen Erscheinung.

      – Lassen Sie mich gehn, Sie ekeln mich an.

      Seine Männerfaust stürzt sich auf die eine kleine, weisse Hand. Sie möchte sie zurückziehn und zerrt sie aus der Schlinge. Ihre goldblonden Haare lösen sich und wehen wie Flammen. Er zieht sie an sich. Er streckt den Hals nach ihr und auch seine Lippen drängen begehrend. Er will sie küssen; er will es mit ganzer Kraft, mit ganzer Seele und würde sterben, könnte er sie mit dem Munde berühren.

      Sie aber wehrt sich und stösst einen erstickten Schrei aus; ihr Hals bebt und ihr hübsches Gesicht wird hässlich vor Hass.

      Dann trete ich näher und lege meine Hand auf die Schulter meines Kameraden, aber vergebens: er tritt zurück und murrt im Bewusstsein seiner Niederlage.

      – Ihnen fehlt doch sonst nichts! schrie ihn Eudoxie an.

      – Nein, jammerte der Unglückliche, enttäuscht, wie vom Schlag getroffen.

      – Dann lassen Sie die Finger weg ein andresmal, sagte sie.

      Drauf ging sie keuchend davon; er aber schaute nicht einmal hin, als sie sich entfernte: er blieb stehn, liess die Arme hängen und glotzte den Fleck an, auf dem sie gestanden hatte; er war gepeinigt in seinem Körper, aus seinem Traum herausgeschleudert und fand keine Worte des Flehens mehr.

      Ich schleppe ihn mit fort. Er folgt mir, stumm, in innerlichem Durcheinander; er schnüffelt und keucht, als ob er lange geflohen sei.

      Er lässt den Klotz seines dicken Schädels hängen. In der unerbittlichen Klarheit des ewigen Frühlings sieht er aus wie ein armer Cyklop, der auf den alten Ufern Siziliens herumirrte, bemeistert und geschändet von der leuchtenden Kraft eines Kindes, gleich einem Riesenspielzeug aus alten Zeiten.

      Der herumziehende Weinhändler stösst seinen Karren, auf dem sich ein Fass wölbt, und hat den Wachen einige Liter verkauft. Er verschwindet an der Strassenbiegung, mit seinem gelben Gesicht, platt wie ein Camembert, mit seinen spärlichen, flüchtigen Haaren, die wie Staubflocken zergehn, und so dünn in seiner flatternden Hose, dass es aussieht, als hingen die Füsse mit Schnüren an seinem Rumpf.

      Die unbeschäftigten Wachtsoldaten stehn am Ende des Dorfes unter dem Flügel einer wackeligen und quitschenden Tafel, die dem Dorf als Anschlagebrett dient. Nun entspinnt sich unter ihnen ein Gespräch über jenen umherirrenden Hampelmann.

      – Dreckige Kerze, sagt Bigornot. Und weisst du, ich will dir was sagen: man sollte die Zivilspatzen nicht so an der Front rumpicken lassen, vor allem solche Kiebitze, wo man nicht weiss, wo sie die Herkunft herhaben.

      – Mensch, dir schwindelt, du Lausfliege, antwortet Cornet.

      – Halt den Rand, du Bleichsohle, meint Bigornot, man ist nie genug auf der Hut. Und wenn ich was sage, dann weiss ich, was ich sage.

      – Weisst du, sagt Canard, dass Pépère auf Urlaub kommt?

      – Die Weiber hier, murmelt La Mollette, sind hässlich wie Gift.

      Die andern schauen zum Himmel und betrachten zwei feindliche Flieger, die sich in grossen Bögen durch die Luft winden. Um die steifen Maschinenvögel, die je nach dem Licht bald schwarz wie Raben, bald weiss wie Möwen erscheinen, platzen zahllose Schrapnells, spicken den blauen Himmel und fliegen wie weisse Schneeflocken im Sonnenlicht.

      *

      Wir kehren zurück. Zwei Spaziergänger kommen uns entgegen. Es ist Carassus und Cheyssier.

      Sie erzählen, dass Pépère, der Koch, nach hinten in ein Landsturmregiment versetzt werden soll, dank der loi Dalbiez.

      – Das ist ein gefundener Drückposten für Blaire, sagt Carassus, der sich mitten im Gesicht eine komische, schlechtangepasste Nase leistet.

      Im Dorf sieht man Soldaten in Gruppen vorübergehn oder paarweise miteinander durch das Kreuzband des Gespräches verbunden. Man sieht einzelne zusammentreten, voneinander gehn und dann, des Gespräches noch voll, sich wieder einander nähern, wie durch einen Magneten gegenseitig angezogen.

      Dann ein wütendes Gedränge: mitten drin wogen weisse Papierfahnen. Es ist der Zeitungsverkäufer, der für zwei Sous seine Fünfcentimes-Zeitungen verkauft. Fouillade, mager wie eine Hasenpfote, wird mitten auf der Strasse aufgehalten, während Paradis an der Ecke eines Hauses sein schinkenrosiges Gesicht sonnt.

      Wir begegnen Biquet in Arbeitsuniform: Bluse und Quartiermütze auf dem Kopf. Er schleckt noch seine Lippen ab und sagt:

      – Ich bin welchen begegnet und dann haben wir gesoffen. Verstehst du; morgen geht 's Kratzen wieder los, Garderobeputzen und 's Gewehr. Schon alleine der Mantel, bis der wieder hell wird, 's ist schon kein Mantel mehr, mein Mantel, eher so 'ne Art Panzerfutter.

      Dann ist plötzlich Montreuil da, der auf dem Bureau arbeitet, und ruft Biquet.

      – He, du Scheisskerl! Ein Brief. Eine Stunde schon lauf ich dir nach! Nie bist du da, du Hühnergackel!

      – Kann nicht überall sein, Dicksack du. Gib her.

      Erst betrachtet er den Brief, wägt ihn auf der Hand, reisst ihn auf und sagt:

      – Von meiner Alten ist er.

      Dann schlagen wir einen langsameren Schritt ein, während er mit dem Finger den Zeilen nachgeht, dann überzeugt mit dem Kopfe nickt und die Lippen bewegt wie eine alte Betschwester.

      Je näher man dem Zentrum des Dorfes kommt, umso grösser ist der Zulauf. Man grüsst den Kommandanten und den schwarzen Feldprediger, der ihn wie eine Spazierdame begleitet. Pigeon, Guenon, der junge Escutenaire und Clodore rufen uns an. Lamuse aber ist blind und taub und scheint bis auf's Gehn alles verlernt zu haben.

      Bizouarne, Chanrion, Roquette kommen lärmend heran und verkünden eine grosse Neuigkeit.

      – Weisst du, Pépère kommt hinter die Front.

      – Merkwürdig, wie die Leute auf dem Holzweg sind! sagt Biquet, indem er seine Nase aus dem Brief steckt. Meine Alte sorgt sich um mich.

      Und er zeigt mir eine Stelle aus dem mütterlichen Schreiben: »Wenn du diesen Brief erhalten wirst, buchstabiert er, wirst du wahrscheinlich im Kot stecken und frieren, ohne alles, und nichts als Entbehrungen, mein armer Eugene …«

      Er lacht.

      – Vor zehn Tagen hat sie mir das aufnotiert. Auf dem Holzweg ist sie! Man friert doch nicht, seit heute morgen ist doch schönes Wetter. Unglücklich ist man auch nicht mit dem Esszimmer. Elend hat's gegeben, aber jetzt geht's uns doch gut.

      Wir kehren in unsern gemieteten Hundestall


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