Leopold von Ranke: Historiografische Werke. Leopold von Ranke

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Leopold von Ranke: Historiografische Werke - Leopold von  Ranke


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Dies sind friedliche Bemühungen; öfter aber steht er an der Spitze seiner Heere. Er dringt über die Alpen in Frankreich vor und überschwemmt die Provence, er setzt Paris von der Marne aus in Schrecken. Dann kehrt er um nach Osten und Süden. Den Siegeslauf Solimans hält er ein an der Raab; er sucht den Halbmond bei Algier auf. Das Heer, das ihm in Afrika gedient, folgt ihm an die Elbe, und auf der Lochauer Heide hört man das Feldgeschrei Hispania. Da ist Karl das am meisten beschäftigte Haupt der Welt. Gar manchmal schifft er über das Mittelmeer, über den Ozean. Indessen sind seine Seeleute Entdecker in früher nie befahrenen Meeren, seine Krieger Eroberer von früher nie betretenen Erden. In so weiter Ferne bleibt er ihr Regierer und Herr. Sein Wahlspruch »mehr, weiter« hat eine glorreiche Erfüllung.

      So ist sein Leben, wenn wir es im ganzen betrachten: nach ungewöhnlich langem Ruhen volle Tätigkeit. Es läßt sich bemerken, daß die nämliche Erscheinung, anfangs Ruhen, Warten, Zusehen, spät die Tat, auch während seines bewegtesten Lebens in den einzelnen Ereignissen immer wiederkehrt.

      In wieviel anderen Dingen war es mit ihm nicht anders bestellt! Er bestrafte zwar, doch ließ er sich zuvor viel gefallen; er belohnte wohl, aber freilich nicht sogleich. Mancher mußte jahrelang unbezahlt ausharren, dann aber bedachte er ihn mit einem jener Lehen, mit einer jener Pfründen, deren er so viele hatte, daß er reich machen konnte, wen er wollte, und ohne selbst etwas auszugeben. Hierdurch brachte er andere dahin, in seinem Dienste alle Mühseligkeiten der Welt zu erdulden. Wenn man ihm die Waffen anzog, so bemerkte man, daß er über und über zitterte; erst wenn er gerüstet war, dann ward er mutig, so mutig, daß man glaubte, er trotze darauf, daß noch nie ein Kaiser erschossen worden.

      Ein solcher Mensch, voll Ruhe und Mäßigung, leutselig genug um sich verschiedenen zu bequemen, scharf genug, um viele zugleich in Unterwerfung zu halten, scheint wohl geeignet, mehreren Nationen zusammen vorzustehen. Man lobt Karl, daß er durch Herablassung die Niederländer, durch Klugheit die Italiener, durch Würde die Spanier an sich gezogen habe; was besaß er aber, um den Deutschen zu gefallen? Seine Natur war nicht fähig, sich zu jener treuherzigen Offenheit zu entwickeln, welche unsere Nation an ausgezeichneten und hochgestellten Menschen zu allererst anerkennt, liebt und verehrt. Ob er wohl die Manier, wie die alten Kaiser sich mit Fürsten und Herren gehalten, gern nachahmte; ob er sich wohl bemühte, deutsche Sitten anzunehmen und sogar den Bart in Deutschland nach deutscher Weise trug, so erschien er den Deutschen doch immer als ein Fremder. Besonders seit dem Schmalkaldischen Kriege zerfiel er mit der Meinung der Nation. Man nannte seine beiden Gegner die Großmütigen; er aber, Karl von Gent, wie man ihn hieß, habe hämisch gelacht, wie er den guten Kurfürsten gefangen genommen; mit welcher Hinterlist habe er sich in Halle des Landgrafen bemächtigt! In Deutschland ward ihm nie recht wohl; die Entzweiungen nahmen alle seine Tätigkeit hin, ohne ihm Ruhm zu gewähren; das Klima war seiner Gesundheit nachteilig; er konnte die oberdeutsche Sprache nicht recht; die Mehrzahl der Nation mißverstand ihn und war ihm abgeneigt.

      So hoch Karl V. die Würde der Kaisertums schätzte, so ist es doch sehr menschlich und natürlich, daß er den Mittelpunkt seiner Politik nicht in den deutschen Interessen sah. Nur aus dem Komplex seiner Reiche und Verhältnisse konnte die Summe seines Denkens hervorgehen. Er fühlte sich immer als der burgundische Prinz, der mit seinen anderen zahlreichen Kronen auch die höchste Würde der Christenheit verband. Insofern mußte er dabei stehen bleiben, die Rechte des Kaisertums als einen Teil seiner Macht zu betrachten, wie schon sein Großvater getan; noch viel weniger als dieser konnte er sich den inneren Bedürfnissen Deutschlands mit voller Hingebung widmen. Von dem Treiben des deutschen Geistes hatte er ohnehin keinen Begriff; er verstand weder unsere Sprache noch unsere Gedanken.

      Ein merkwürdiges Schicksal, daß die Nation in dem Augenblick ihrer größten, eigensten inneren Bewegung sich ein Oberhaupt berufen hatte, das ihrem Wesen fremd war, in dessen Politik, die einen bei weitem größeren Kreis umfaßte, die Bedürfnisse und Bestrebungen der Deutschen nur als ein untergeordnetes Moment erscheinen konnten.

       Kaiserkrönung zu Bologna Deutsche Geschichte 3, 157 f. Reichstag zu Augsburg 3, 117-171. Schmalkaldischer Krieg 4, 310 ff. 375. 381. Machtstellung um 1550. 5, 66-68.

      6. Martin Luther

       Inhaltsverzeichnis

      Deutsche Geschichte I, Werke Bd. 1, S. 195 ff. 332.


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