Leopold von Ranke: Historiografische Werke. Leopold von Ranke
Читать онлайн книгу.Jugendkraft waltete fesselnde Darstellung vereint mit erfahrener Weisheit.
So vergingen ihm die letzten Lebensjahre in noch immer beglückendem Schaffen. Als er seinen neunzigsten Geburtstag feierte, beglückwünscht von Kaiser und Kaiserin, Kronprinz und Staatsministerium, Universitäten und Akademieen, Freunden und alten Schülern, lagen sechs Teile der Weltgeschichte vollendet vor. Doch nur wenige Monate konnte er noch der Fortsetzung widmen; im siebenten Teile mußte er, von Körperschmerz überwältigt, abbrechen, als er an die Regierung Kaiser Heinrichs III. kam. Nach kurzer Krankheit verschied er am 23. Mai 1886. Treue Schüler gaben aus vorhandenen Aufzeichnungen, wie er sie auch bisher benutzt hatte, dem Werk einen gewissen Abschluß. So liegt es der Nachwelt als ein besonderes Vermächtnis des Meisters vor, noch stärker zu ihr sprechend als die vollendeten Werke.
Die Wissenschaft strebt weiter; gerade ihre Meisterwerke weisen über sich selbst hinaus, darin liegt ihre lebenerweckende Kraft. Sie bieten die grundlegende Kenntnis, ohne welche es nicht möglich ist, das neu Errungene richtig zu würdigen; zugleich gewinnen sie durch ihren geistigen Gehalt der Wissenschaft immer wieder neue Diener und Freunde.
Grundsätze Rankescher Geschichtsschreibung
Man hat der Historie das Amt, die Vergangenheit zu richten, die Mitwelt zum Nutzen zukünftiger Jahre zu belehren, beigemessen. So hoher Ämter unterwindet sich gegenwärtiger Versuch nicht; er will bloß zeigen, wie es eigentlich gewesen
Vorrede zu den »Geschichten der romanischen und germanischen Völker«, 1824.
Die Hauptsache ist immer, wovon wir handeln, Menschheit wie sie ist, erklärlich oder unerklärlich; das Leben des Einzelnen, der Geschlechter, der Völker, zuweilen die Hand Gottes über ihnen
Schluß derselben Vorrede.
Der Weg der leitenden Ideen in bedingten Forschungen ist ebenso gefährlich als reizend; wenn man einmal irrt, irrt man doppelt und dreifach; selbst das Wahre wird durch die Unterordnung unter einen Irrtum zur Unwahrheit
Vorrede der Abhandlung »Zur Kritik neuerer Geschichtschreiber«, 1824
Gott wolle nicht, daß ich jemals irgendeine Gewalttat, sei sie begangen von den Machthabern oder ihren Gegnern, verhülle oder bemäntle; allein zur Verteidigung derjenigen, die sich nicht mehr verteidigen können, die Wahrheit ans Licht zu bringen, werde ich immer für eine der wichtigsten Pflichten der Historie halten
»Die Verschwörung gegen Venedig«, 1831.
In Zeiten religiöser und politischer Parteiungen hat die Historie ein besonders schweres Amt. Worin besteht ihr wissenschaftlicher Beruf, als darin, sich von denselben nicht ergreifen zu lassen und doch in keinerlei Indifferenz zu verfallen, mitten in der Afterrede und Schmeichelei, welche auch die alten Zeiten verdunkeln, die Wahrheit zu sehen, nur dem Großen und Würdigen ihre Anerkennung zu widmen; die ewigen Ideen, die das geistige Leben der Menschheit bedingen, nie aus dem Auge zu verlieren
Brief an König Max, 1852.
Unmöglich wäre es, unter allen den Kämpfen der Macht und der Ideen, welche die größten Entscheidungen in sich tragen, keine Meinung zu haben. Dabei aber kann doch das Wesen der Unparteilichkeit gewahrt bleiben, denn dies besteht nur darin, daß man die handelnden Mächte in ihrer Stellung anerkennt und die einer jeden eigentümlichen Beziehungen würdigt. Man sieht sie in ihrem besonderen Selbst erscheinen, einander gegenüber treten und miteinander ringen; in diesem Gegensatz vollziehen sich die Begebenheiten und die weltbeherrschenden Geschicke. Objektivität ist zugleich Unparteilichkeit.
»Die deutschen Mächte und der Fürstenbund«, Vorrede, 1875.
1. Ursprung des Christentums
Weltgeschichte III, Kap. 5 S. 152 ff.
Zu den universalhistorisch wichtigsten Handlungen der Römer gehört es, daß sie den Jehovahkult in der Zeit der Makkabäer vor der Vernichtung schützten. Sie waren auch später davon entfernt geblieben, ihn zu unterdrücken; Pompejus betrat das Allerheiligste des Tempels, allein die Gottesverehrung in demselben störte er nicht; er ließ selbst den Tempelschatz unberührt. Das römische Reich schloß diesen Dienst in sich ein. Wenn aber die anderen Religionen der besiegten Völker, die italischen, griechischen, selbst die asiatischen und die ägyptische, Eingang in Rom fanden, und sich auf eine oder andere Weise eine gewisse Geltung selbst in der Hauptstadt verschafften, so war dies der jüdischen unmöglich;52 sie war und blieb heterogen und unverständlich. Die Ursache davon liegt in der mit der römischen verwandten Natur der erstgenannten Religionen; sie schlossen sämtlich eine Vergötterung der Naturkräfte in sich ein. Anders verhielt es sich mit der Religion des Volkes Israel; sie beruhte auf dem Glauben an einen intelligenten Gott, den Schöpfer der Welt. Dieser Glaube war durch die strengsten Satzungen festgehalten worden, so daß der Monotheismus in der Form der Nationalität erschien.
Im Laufe der Begebenheiten war nun aber das Land des monotheistischen Gesetzes in sehr eigenartige Verhältnisse zu den Römern getreten, bei denen sich aus der politischen Verflechtung nach und nach auch ein religiöser Gegensatz von höchster Bedeutung erhoben hat. Die Autorität der Römer im Lande, welche von den Juden doch selbst gewünscht worden war,53 bildete einen Teil der Weltherrschaft der Römer, deren Idee zugleich eine religiöse Seite hatte; der Widerstand, den die Juden leisteten, beruhte auf dem religiösen Partikularismus, den sie bekannten. Sie träumten von einem König, der sie von Rom losreißen und die Welt mit eisernem Zepter regieren werde, so wie jetzt sie von einem solchen regiert wurden: so verstanden sie die ihnen vom Altertum her überlieferte Prophezeiung eines Messias, der sie befreien und die Welt ihnen unterwerfen werde.
In der Tat aber war doch ihre Religion in der provinzialen Form, die sie annahm, unfähig, nicht allein sich in der Welt Bahn zu machen, sondern auch nur sich einer viel stärkeren Macht gegenüber zu behaupten. Wenn der Kampf begann, so konnte er nicht anders als zum Untergang Judäas führen. In dieser Krisis nun, in welcher die politisch-militärische Vielgötterei und der aus den Urzeiten stammende, mit den hierarchischen Formen einer Landesverfassung umkleidete Monotheismus miteinander in einen Kampf gerieten, in dem sich für den letzteren nichts als der Untergang absehen ließ, ist Jesus Christus erschienen.
Indem ich diesen Namen nenne, muß ich, obwohl ich glaube ein guter evangelischer Christ zu sein, mich dennoch gegen die Vermutung verwahren, als könnte ich hier von dem religiösen Geheimnis zu reden unternehmen, das doch, unbegreiflich wie es ist, von der geschichtlichen Auffassung nicht erreicht werden kann. So wenig, wie von Gott dem Vater, kann ich von Gott dem Sohne handeln; die Begriffe der Verschuldung, Genugtuung, Erlösung gehören in das Reich der Theologie und des die Seele mit der Gottheit verknüpfenden Bekenntnisses. Dem Geschichtschreiber kann es nur darauf ankommen, die große Kombination, der welthistorischen Momente, in welchen das Christentum erschienen ist, wodurch dann auch seine Einwirkung bedingt wurde, zur Anschauung zu bringen.
Von allen herrlichen Worten, die von Jesus Christus vernommen worden sind, ist keines wichtiger, folgenreicher als die Weisung, dem Kaiser zu geben was des Kaisers, und Gott was Gottes ist. Dieses Wort hatte nach beiden Seiten hin eine zugleich nahe und unermeßliche Tragweite. An der von dem römischen Imperium in Anspruch genommenen Divinität54 konnte man dann nicht länger festhalten; die religiösen Vorstellungen der römisch-griechischen Welt, wie sie noch obwalteten, ihre uralten und niemals aufzulösenden Beziehungen zu den politischen Zuständen mußten aufgegeben werden. Ebenso stand der Gedanke in Widerstreit mit den Gebräuchen und Gesetzen der Juden; diese waren ohne Zweifel notwendig gewesen, um den Monotheismus zu behaupten,