Leopold von Ranke: Historiografische Werke. Leopold von Ranke
Читать онлайн книгу.einer späteren Zeit vorbehalten. Er empfahl sie dringend in der vierten Denkschrift, März 1849, indem er hervorhob, daß die Zustimmung der meisten Fürsten zu dem Beschlusse des Frankfurter Parlaments erfolgt sei; es müsse etwas Besseres an die Stelle des unvollkommenen Deutschen Bundes mit seinen der Einheit widerstrebenden Souveränitäten treten: »welch eine Aussicht bietet sich dar, die Macht noch einmal mit den Ideen der Nation in Einklang zu bringen, wenn sich die Fürsten einem Haupte anschließen und in Übereinstimmung mit dem gesunden Teil der Nation gemeinschaftliche Sache zur Bekämpfung innerer und äußerer Feinde machen! Die Idee des Kaisertums fällt wie ein Strahl des Lichts in dieses Chaos.« Die preußische Regierung beschritt wohlmeinend, aber ohne rechte Entschlossenheit den Weg der Unionspolitik; Österreich setzte sich dem entgegen, indem es den früheren Bundestag wieder ins Leben rief; Preußen zögerte und schloß endlich den Vertrag zu Olmütz. Mehrmals wandte sich in dieser kritischen Zeit Herr v. Manteuffel ratfragend an Ranke; es liegen noch drei Denkschriften vor, die letzte vom Januar 1851; sie bemühen sich nachzuweisen, was man Österreich gegenüber doch wohl fordern und festhalten könne. Auch der König sprach öfters mit Ranke; es bildete sich ein näheres, persönliches Verhältnis, doch keineswegs in dem Sinne, daß Ranke gerade als politischer Ratgeber aufgetreten wäre: in freier Erörterung geschichtlicher und politischer Fragen berührten sich ihre Ansichten. Zweimal hat dann Friedrich Wilhelm IV. zur Zeit des Krimkrieges schriftliche Gutachten von Ranke erfordert, zuerst über die Verbesserung der Lage der christlichen Bevölkerung in der Türkei,26 sodann über die Frage, ob Preußen sich der feindseligen Haltung Österreichs gegen Rußland anschließen und damit die Sache der kriegführenden Mächte Frankreich und England fördern solle.27 Ranke riet, neutral zu bleiben, nicht Österreich zu dienen, ganz so wie der damalige Bundestagsgesandte v. Bismarck, den der König öfters nach Berlin berief, wo er dann auch mit Ranke in Beziehung trat. Das Glückwunschreiben, welches später Fürst Bismarck an Ranke richtete, als dieser 1882 sein Jubiläum als Mitglied der Akademie feierte, spricht von freundschaftlichem Verkehr seit vierzig Jahren;28 das mag als runde Zahl etwas zu hoch gegriffen sein, aber in das Jahr 1847, wo Bismarck zum Vereinigten Landtag in Berlin war, darf man gewiß solchen Verkehr setzen; damals wird Bismarck, noch ein Werdender, die soeben erschienene »Preußische Geschichte« gelesen haben und gern dem berühmten Professor näher getreten sein.29
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Im Herbst 1850 weilte Ranke wieder in Paris, um ein neues Werk vorzubereiten, die Französische Geschichte. Viele von den venetianischen Berichten, die er einst in Italien gesammelt hatte, bezogen sich auf Frankreichs Zustände im 16. und 17. Jahrhundert; in Paris boten sich ihm zahlreiche, bisher wenig benutzte Akten und biographische Aufzeichnungen dar: so konnte er auch hier eine auf neues Material gestützte eingehende Darstellung bringen. Er schuf ein Werk, daß in farbenreichen Gemälden das Aufstreben der französischen Monarchie, die Verwirrung der Religionskriege, die Herstellung, die Zeit der Größe unter Ludwig XIV., den Verfall unter seinem Nachfolger schildert. Oft hatte er dabei die traurigen Geschicke Deutschlands zu berühren, dem solche politische Machtentwicklung in jener Zeit versagt war. Die daraus hervorgehende Mahnung klingt schon im ersten Bande durch, wo er erzählt, wie Heinrich II. von Frankreich sich der deutschen Städte Metz, Toul und Verdun bemächtigte, »trotz seiner Erklärung, die deutsche Freiheit beschützen zu wollen«; noch stärker erhebt sie sich bei den Ereignissen des 17. Jahrhunderts. Aber der Geschichtschreiber zeigt auch, wie Ludwig XIV. selbst den Verfall verschuldete durch Überspannung der monarchischen Gewalt und des kirchlichen Eifers: die Unterdrückung der Hugenotten schlug nicht nur dem Wohlstande Frankreichs schwere Wunden, sie verschärfte auch die literarische Opposition, die sich mehr und mehr der Geister bemächtigte und der Monarchie wie der Kirche entgegenstrebte, bis »die Flut der in Frankreich siegreichen Umwälzung, Kirche und Staat vernichtend, sich über Europa ergoß«. Reichliche Mitteilungen aus den Urkunden nebst kritischen Erörterungen fügte Ranke auch diesem Werke bei.
Der erste Band der »Französischen Geschichte« erschien 1853;30 gleichzeitig veröffentlichte H. v. Sybel den ersten Band seiner »Geschichte der Revolutionszeit«, auf deren Bearbeitung Ranke bei dem Umfange des ihm für die früheren Zeiten vorliegenden Stoffes gern verzichtet hatte. Beide Werke wurden in Deutschland wie in Frankreich mit Beifall aufgenommen. Fand Sybel vielleicht noch lautere öffentliche Zustimmung als Ranke, so lag das in dem Gegenstände, dessen Bedeutung sich niemand entziehen konnte. Der Meister erfreute sich selber an dem Erfolge seines hochbegabten Schülers; dieser aber wirkte treu mit ihm zusammen zur Verwirklichung eines wissenschaftlichen Unternehmens, welches Ranke seit längerer Zeit im Sinne trug, in Preußen aber unter den damaligen Verhältnissen nicht zur Ausführung bringen konnte. König Friedrich Wilhelm IV. nahm lebhaften Anteil an der Französischen Geschichte, aus der ihm der Verfasser bedeutende Abschnitte noch vor Vollendung des Werkes vorlesen durfte; aber sein Unternehmungsgeist war gebrochen, er mochte in den letzten Jahren seiner Regierung nicht mehr Neues schaffen. Dagegen zeigten sich in München günstige Verhältnisse; König Maximilian II. war bemüht, seine Hauptstadt, die schon als Stätte der deutschen Kunst berühmt war, auch zu literarischer und wissenschaftlicher Bedeutung zu erheben. Er hatte als Kronprinz in Berlin studiert und Rankes Vorträge eifrig gehört; die Geschichte war seine Lieblingswissenschaft; sie durch königliche Huld zu fördern entschloß er sich infolge des persönlichen Gedankenaustausches mit Ranke, als dieser im Herbst 1854 seiner Einladung folgend in Berchtesgaden bei ihm verweilte. Ranke hielt damals dem Könige eine Reihe historischer Vorträge, die unter dem Titel »Über die Epochen der neueren Geschichte« später veröffentlicht und der »Weltgeschichte« angeschlossen worden sind. Bei den Gesprächen, die sich hieran knüpften, wies Ranke darauf hin, wie sehr zu wünschen sei, daß die urkundliche Erforschung der deutschen Geschichte in größerem Umfang gefördert werde; es müsse ein Verein von Gelehrten zusammentreten, um dieser nationalen Aufgabe, die zahlreiche Kräfte erfordere, gerecht zu werden. Der König ging freudig darauf ein; zur praktischen Ausführung des Gedankens trug wesentlich H. v. Sybel bei, der 1856 als Professor an die Universität München berufen wurde. So entstand 1858 die » Historische Kommission bei der königlich bayrischen Akademie der Wissenschaften«,31 zusammengesetzt aus hervorragenden Gelehrten Deutschlands und Österreichs. Ranke ward zum Vorsitzenden erwählt und leitete die Verhandlungen, die fortan alljährlich im Herbst in München stattfanden, mit großem Eifer bis 1873. Die Reisen nach München waren ihm, der so gern auch Reisen ins Ausland machte zum Zweck seiner Studien, willkommene Gelegenheiten zum Verkehr mit Freunden und Schülern; auch freute er sich des öfteren Wiedersehens mit seinem Bruder Heinrich, der seit 1845 Konsistorialrat in Ansbach war, 1866 als Oberkonsistorialrat nach München berufen wurde; gelegentlich besuchte er bei der Rückreise auch den jüngeren Bruder Ernst, Professor in Marburg.
Bedeutende Werke gingen nun, meist nach Rankes Vorschlägen, aus dem Wirken der Kommission hervor; zunächst umfangreiche Quellensammlungen: die Akten der deutschen Reichstage seit 1376, die Chroniken der deutschen Städte, die Hanserezesse, die politische Korrespondenz der Fürsten aus dem Hause Wittelsbach. Aber auch darstellende Werke wurden unternommen: Jahrbücher der deutschen Geschichte im Mittelalter, zur Ergänzung der früher aus Rankes Übungen hervorgegangenen; Geschichte der Wissenschaften in Deutschland, Allgemeine deutsche Biographie. König Max nahm an dem Fortschreiten der Arbeiten regen Anteil und besprach sich oft eingehend mit den Gelehrten. Nach seinem frühen Tode 1864 war das Fortbestehen der Kommission eine Zeitlang in Frage gestellt, doch gelang es dem Vorsitzenden, den jungen König Ludwig II. günstig dafür zu stimmen, und so ist die Kommission in Wirksamkeit geblieben und waltet noch ferner, immer neue Aufgaben in ihren Bereich ziehend, zum Besten der deutschen Geschichtsforschung: ein Sammelpunkt wissenschaftlichen Lebens, in welchem die von Ranke aufgestellten Grundsätze umfassender Forschung, sachlicher Kritik, klarer und kunstvoller Darstellung fortwirken und die jüngeren Gelehrten in geistiger Verbindung mit ihren Vorgängern erhalten; eine Erneuerung in höherem Sinne jener historischen