Leopold von Ranke: Historiografische Werke. Leopold von Ranke
Читать онлайн книгу.sie »einen bemerkenswerten, innerlich bildenden Einfluß auf die Literatur von Frankreich und dadurch von Europa ausgeübt hat«. Als anziehende Zeugnisse von Rankes Tätigkeit als Vorsitzender liegen die Reden vor (Werke, Band 51 und 52), mit denen er die Versammlungen zu eröffnen pflegte, teils fein erwogene und zugleich von Herzen kommende Gedächtnisreden auf König Max und auf jüngstverstorbene Fachgenossen, teils allgemeinere Betrachtungen nationalen Inhalts.
Die Regierung König Wilhelms I. brachte auch in Preußen bedeutende Veröffentlichungen zum Besten der vaterländischen Geschichte in Gang. Seit 1864 erschienen, angeregt von den Berliner Historikern Duncker und Droysen, unter besonderem Schutze des Kronprinzen die »Urkunden und Aktenstücke zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg«; es folgte, nachdem 1875 H. v. Sybel zum Direktor der Staatsarchive berufen war, die »Politische Korrespondenz Friedrichs des Großen«; andere Urkundenwerke schlossen sich an unter dem Gesamttitel »Publikationen aus den Preußischen Staatsarchiven«. Die Berliner Akademie, obgleich mit manchen Aufgaben aus anderen Wissenschaften beschäftigt, übernahm die Fortführung der Monumenta Germaniae, zu deren Leitung 1875 Waitz berufen ward. Alles dies war bestimmt, der Zukunft als feste Grundlage der Forschung zu dienen; Ranke sah es mit großer Freude, schuf aber auch selbst noch darstellende Werke in großer Zahl, die dem fröhlichen Aufblühen der historischen Studien sehr zugute kamen.
Sein umfangreichstes Werk ist die Englische Geschichte, 1857-1867 entstanden,33 verknüpft mit zahlreichen Reisen nach London, Dublin, Paris und dem Haag. Überall nahm man ihn mit hoher Achtung und Zuvorkommenheit auf; er war den fremden Gelehrten eine rechte Verkörperung deutschen Fleißes und deutscher Tüchtigkeit. In England wurde er auch bei Hofe eingeführt und besuchte den berühmten Geschichtschreiber Macaulay, dessen Werk einen Teil des Stoffes behandelte, den er zu bearbeiten sich vorgesetzt hatte. Macaulay starb 1859, sein Werk blieb unvollendet. Ranke erklärte in der Vorrede, er wolle mit den einheimischen Geschichtschreibern nicht wetteifern, nicht englische Nationalgeschichte darstellen, sondern die Teilnahme dieses Volkes an den Schicksalen und Unternehmungen der großen abendländischen Völkergenossenschaft, der es angehöre. So hat er denn hauptsächlich die Beziehungen der auswärtigen Politik ins Auge gefaßt, aber stets auch die Rückwirkung auf die inneren Verhältnisse und nicht minder die von diesen ausgehenden Antriebe. Sein Werk bietet nicht so glänzende Schilderungen wie Macaulay, der den Leser fast gefangen nimmt, aber ein großer Reichtum historischen Lebens entfaltet sich, und wer sich von den politischen Verwicklungen weniger angezogen fühlt, findet mannigfache Befriedigung in den Bildern hervorragender Herrscher und Staatsmänner, in der Schilderung der kirchlichen Parteien, die sich auch im Staate bekämpfen, des parlamentarischen Lebens, der See- und Kolonialmacht, der Literatur und Wissenschaft. Es beginnt, gleichwie die Deutsche und Französische Geschichte, mit einem Überblick der älteren Zeiten, wird ausführlich von Heinrich VIII. an und geht durch bis 1760; als urkundliche Grundlagen dienen auch hier Berichte von venetianischen Gesandten, dann natürlich Parlamentsakten und mancherlei englische Berichte, französische Gesandtschafts- und Kriegsberichte; ganz ergiebig sind auch die Berichte des brandenburgischen Residenten Bonnet, die das Berliner Archiv darbot, und besonderen Wert hat der im Haag aufbewahrte Briefwechsel König Wilhelms III. mit dem holländischen Staatsmanne Heinsius. Treffliche kritische Abhandlungen sind beigefügt über die älteren englischen Geschichtswerke von Clarendon und Burnet, sowie über die von König Jakob II. herrührenden Aufzeichnungen.
Während Ranke die Geschichte der Verfassungskämpfe Englands im 17. Jahrhundert schrieb, vollzog sich vor seinen Augen in Preußen ein ähnlicher Kampf, der jedoch nicht zum parlamentarischen Königtum führte, sondern den geschichtlich begründeten Anspruch der Monarchie auf stärkere leitende Macht zum Siege führte. Oft mag er Zweifel hinsichtlich des Ausgangs gehegt haben; die ruhmvolle Erhebung des Staates, die nachher auch von der Volksvertretung willig anerkannt wurde, hatte seinen ganzen Beifall. Wie weit er im einzelnen an den politischen Vorgängen teilnahm, läßt sich nicht erkennen; ein deutlicher Beweis dafür, daß er treu zu seinem Könige stand, ist die hohe Ehrung, welche ihm 1865 zuteil wurde, die Verleihung des erblichen Adels. Zwei Jahre darauf folgte die Ernennung zum Kanzler der Friedensklasse des Ordens pour le mérite. Als im Herbst 1870 die Historische Kommission in München zusammentrat, sprach er in der Eröffnungsrede bedeutende Worte über die neue Epoche, die für Deutschland nun eingetreten sei. In Wien traf er dann mit dem alten Freunde Thiers zusammen, der eine Rundreise durch Europa machte, um Hilfe für Frankreich zu erlangen. Sie sprachen über die Aussichten auf Herstellung des Friedens; Ranke wies nachdrücklich darauf hin, daß das alte Unrecht Ludwigs XIV. wieder gutgemacht werden müsse.34 Thiers wollte nichts von Gebietsabtretung hören; wenige Monate später mußte er als erwähltes Haupt seiner Nation die schweren Bedingungen annehmen. Ranke hat in dem Rückblick, den er 1877 bei der Nachricht von Thiers' Tode verfaßte,35 hervorgehoben, mit wie strenger Rechtlichkeit Thiers für Ausführung der Bedingungen gesorgt habe.
Das für Deutschland so freudige Jahr 1871 wurde für den nun ins Greisenalter eingetretenen Forscher schmerzlich durch den Tod seiner Frau und durch die Abnahme seiner Sehkraft, die ihn fortan zum Diktieren nötigte. Aber mit voller Geisteskraft blieb er beim literarischen Schaffen. Er gab seine Vorlesungen an der Universität auf, um sich der Forschung ganz ungestört widmen zu können. Sein Haus wurde einsamer, doch standen ihm seine erwachsenen Kinder, treue Freunde und diensteifrige Schüler zur Seite. Seit 1867 war er mit der Ausgabe seiner Sämtlichen Werke beschäftigt, die ihm willkommene Gelegenheit gab, bedeutende Ergänzungen hinzuzufügen. Aber auch eine ganze Reihe neuer Werke entstand noch, allerdings Schöpfungen des Alters, großenteils nicht so lebhaft und anschaulich geschrieben wie er früher zu schreiben pflegte, aber erfüllt von reifer und umfassender Weisheit.
An die Spitze der Gesamtausgabe stellte er die Deutsche Geschichte, unverändert bis auf wenige Zusätze. Daran reihte sich (Band 7) unter dem Titel »Zur deutschen Geschichte« die Abhandlung von 1832 über die Zeiten Ferdinands I. und Maximilians II. und als neue Gabe eine Fortsetzung bis 1619, eine aus dem Studium der Reichstagsakten geschöpfte Darstellung der Reichstage bis zu diesem Zeitpunkt. Daran schloß sich ein weiteres neues Werk, das vorläufig gesondert ausgegeben wurde, die Geschichte Wallensteins,36 wiederum aus sorgsamen Archivstudien, namentlich in Wien, entstanden, doch hatte er sich schon vorlängst mit den interessanten Problemen, welche sich an diese bedeutsame Gestalt knüpfen, beschäftigt, Nachrichten darüber in Italien, Dresden, Brüssel und sonst gesammelt; nun faßte er das Ergebnis vielfacher Erwägungen anschaulich zusammen. Verbessert im Stil, inhaltlich unverändert gab er sein erstes Buch von 1824; das von 1826 wurde durch eine Fortsetzung der spanischen Geschichte bis 1700 erweitert und erhielt den neuen Titel »Die Osmanen und die spanische Monarchie im 16. und 17. Jahrhundert«.37 Bedeutende Fortsetzungen erhielten, wie schon erwähnt, das Buch über Serbien und die Geschichte der Päpste. Die Abhandlungen zur Geschichte Venedigs, vermehrt durch eine treffliche Schilderung dieses merkwürdigen Staatswesens im 16. Jahrhundert, wurden in einem Bande zusammengefaßt;38 zu den anderen italienischen Abhandlungen traten die über Savonarola, Filippo Strozzi, Cosimo Medici hinzu.39 Die kritische Abhandlung über Don Karlos erhielt eine darstellende Fortsetzung.40 Die Neun Bücher Preußischer Geschichte erweiterten sich zu zwölf Büchern,41 indem an die Stelle des ersten vier Bücher traten, die von der älteren Zeit Brandenburgs und von dem deutschen Ordensstaate in Preußen nähere Kunde gaben.
Und nun folgte als Fortsetzung der Preußischen Geschichte eine Reihe neuer Werke, die des Lehrreichen die Fülle enthalten. Während der Kriegszeit 1870 schrieb Ranke den »Ursprung des Siebenjährigen Krieges«, ein Kunstwerk von Darstellung