Leopold von Ranke: Historiografische Werke. Leopold von Ranke

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Leopold von Ranke: Historiografische Werke - Leopold von  Ranke


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      Zu der Schule des Johannes nun gehörte auch Jesus von Nazareth. Aber zu einem Anachoreten wie Johannes war er nicht geboren; er schlug seinen Sitz nicht in der Wüste Juda, sondern in einer volkreichen, durch mannigfaltigen Verkehr belebten Landschaft am See Genezareth auf. Wer hat nicht von den Naturschönheiten der Umgebung dieses Sees, die noch heute die Bewunderung der Reisenden auf sich zieht, gehört und von dem Überfluß, den die Fruchtbarkeit seiner Ufer hervorbringt, so daß das Leben leicht und mühelos dahinrinnt. Was aber den Schüler des Johannes, der auch seinerseits Jünger um sich sammelte, dahin zog, und daselbst fesselte, war die kleine Stadt Kapernaum, deren die frühere und auch die spätere Geschichte kaum gedenkt. Sie bildete den Mittelpunkt des dortigen Lebens. An der großen Landstraße gelegen, die auf der einen Seite nach Ägypten, auf der anderen nach Phönizien führte, wurde sie von Fremden verschiedener Nationalitäten besucht. Schon darin zeigt sich die Wirkung der Römerherrschaft, welche alle diese Landschaften zu einem Ganzen vereinigte. Die Römer hatten daselbst die ihnen eigentümlichen Einrichtungen getroffen; Kapernaum war zugleich eine römische Zollstätte und Station einer Abteilung römischer Truppen unter einem Zenturio. Fast mehr als im übrigen Judäa, namentlich auch in Jerusalem, griff hier das weltbeherrschende Verhältnis, der Gegensatz zwischen den Eingeborenen und der römischen Autorität, in das tägliche Leben ein. Jesus, der in der Synagoge lehrte, trat doch mit Beamten des Zollamts, welche von den übrigen Juden als Befleckte betrachtet wurden, und mit den Römern selbst in gesellschaftliche Verbindung. Daß er nun aber hier etwa die Vielgötterei der Römer, oder die Juden, welche sich an dieselben anschlossen, hätte bekämpfen und anderen Sinnes machen können, ließ sich nicht erwarten, da gerade dort in den Synagogen die starke provinzielle Färbung, mit welcher der Monotheismus für andere unverständlich war, den Gegensatz verstärkte.

      Kapernaum kann als die Metropole eines neuen Glaubens betrachtet werden, der die Gegensätze aufzulösen bestimmt war. Es war nur ein Schritt, durch welchen sich Jesus von Johannes entfernte, aber ein Schritt, welcher der intellektuellen und religiösen Weltbewegung eine neue Richtung gegeben hat. Johannes war bei den jüdischen Zeremonien stehen geblieben; die eigentlichen Johannesjünger beobachteten sie so streng wie andere Juden: Jesus wandte sich davon ab. Wenn die Idee des Johannes nur dahin gegangen war, die Juden, welche von ihm die Taufe nahmen, zu einem gottgefälligen Lebenswandel zu verpflichten, so erhob sich in Jesu der universalhistorische Gedanke, nicht die Juden allein, sondern alle Völker zu einem Leben der Gerechtigkeit und gottgefälligen Tugend zu erwecken und in diesem Bestreben zu vereinigen.

      Die heiligen Bücher, in denen die Schriftgelehrten vornehmlich die Verpflichtung zu dem zermoniellen Judaismus sahen, erklärte Jesus auf eine Weise, daß vielmehr die Einheit der göttlichen Gewalt, welche alle Völker umfassen konnte, hervortrat. Von der jüdischen Überlieferung riß er sich keineswegs los, aber er gab ihr eine Auslegung, die ohne Zweifel ihrem ursprünglichen Geist entsprach: denn von dem höchsten Gott, den Abraham anbetete, war sie in die nationale Strömung der jüdischen Geschichte verflochten worden. Von der strengen und strafenden Gottheit, die jede Abweichung von dem Gesetz unnachsichtig heimsucht, ging Jesus zu der Lehre von der väterlichen Liebe Gottes über, welche alle Menschen umfaßt; er nahm Abstand von den Ideen des Imperiums, auf denen die damalige Welt beruhte, aber auch von den Ideen, welche den Tempel von Jerusalem und die Schriftgelehrten beherrschten; er lehrte eine allgemeine Kindschaft zu dem ewigen Vater, gleichweit entfernt von den beiden religiösen Begriffen, zwischen denen die Überlieferung und Verehrung sich teilte. Er sah in der Religion ein heiliges Kleinod der Menschen, das durch keine politische Zutat in seiner Echtheit verdunkelt werden dürfe; er verkündigte ein Gottesreich, zu welchem nur die sittlich reinen, die wahren Kinder Gottes, sich vereinigen sollten. Und wenn die Juden durch den vermeinten Messias, den sie erwarteten, zur Herrschaft über alle Nachbarn erhoben zu werden hofften, so faßte Jesus eben diese Idee in ihrer geistigen Bedeutung. Der Messias war ihm der Verkündiger des an das Alte anknüpfenden, aber doch ein unbekanntes Neue eröffnenden Gottesreiches, das von allem Nationalen absah; er selbst der Messias. Dies Reich zu verkündigen zugleich und zu stiften, darin sah er seinen göttlichen Beruf.

      Dort an dem galiläischen See hat Jesus von einem Schiffe her das neue Evangelium von dem anbrechenden Reiche Gottes verkündigt, welches, im Gegensatz sowohl mit der Herrschaft der Cäsaren als mit dem partikularen Gemeinwesen der Juden, der Menschheit eine allgemeine Vereinigung rein geistiger Art in Aussicht stellte. Er verstand darunter die Genossenschaft der Gläubigen; er sprach unumwunden aus, daß sich diese Genossenschaft keineswegs auf die Juden allein beschränken werde. In Kapernaum fand er in dem römischen Zenturio mehr gläubige Hingebung als bei irgend einem Israeliten. Auf einer seiner Wanderungen, die ihn in die Nähe von Samaria führte, finden wir ihn bei einem Brunnen sitzend, wo er sich ohne Rücksicht auf die Antipathie der Juden aus dem Schöpfgefäße eines samaritischen Weibes erlabt. Einige tiefsinnige Fragmente sind uns aufbewahrt, in denen von dem Verhältnis der sinnlichen Nahrung zu der geistigen die Rede ist. Dort in Samaria wurde er wohl zuerst als der verheißene Messias anerkannt: ein Gedanke, der das Prinzip seines Lebens war, durch den er doch allezeit wieder an den Sinn und Inhalt der jüdischen Lehren und der heiligen Schrift anknüpfte.

      In ihrer zurückgedrängten Stellung hatten die Juden von jeher auf die Rettung durch einen göttlichen Menschen, der zugleich Gesandter Gottes sein und ihr König werden sollte, gehofft. Was wäre aber damit der Menschheit geholfen gewesen? Die Religion wäre sogleich in eine politische Herrschaft ausgeartet, und niemand konnte sich in jenen Zeiten ohne fanatische Impulse ein Ereignis dieser Art auch nur möglich denken. Christus belehrte die Juden, daß ihre messianische Erwartung nicht den Staat betreffe, sondern die Religion. Die Religion sollte als solche die Menschheit durchdringen, der Monotheismus, frei von dem Zeremonialdienst, die Religion der Welt werden im Sinne der Urzeit. Der Messias ist der Gründer des Reiches Gottes, welches eben darin besteht, daß der Mensch sich ihm hingibt, in ihm lebt und stirbt. So kann es den geistigen Boden bilden, auf welchem neben dem politischen Bestand sich das Gefühl einer höheren allumfassenden Gemeinschaft der Menschheit erhebt und ausbildet.

      Hätte sich nicht, so darf man fragen, die Idee der Menschheit auch auf eine andere Weise entwickeln können, im Sinne der platonischen oder auch der stoischen Philosophie? Aber das wäre dann nicht Religion gewesen, es hatte nicht an die ältesten Überlieferungen der Menschheit und ihre Überzeugungen angeknüpft. Auf diese Verbindung kam es an. Gerade dadurch aber mußte der Stifter sich mächtige Widersacher erwecken, deren Feindseligkeit sein Leben bestimmte. Hohepriester und Schriftgelehrte nahmen an seinen Überschreitungen des Zeremonialgesetzes, besonders auch an seinen Heilungen am Sabbat Anstoß. Das Unerträglichste aber war ihnen, daß der Gedanke, auf welchem ihre Volksgenossenschaft beruhte, überboten und dadurch zerstört wurde. Als Jesus sich in den unmittelbaren Bereich dieser priesterlichen Gewalt begab, wie sie damals unter den Römern bestand, welche sie hätten vernichten können, aber doch anzuerkennen verpflichtet waren, wurde er ergriffen und vor Gericht gestellt. Er


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