Leopold von Ranke: Historiografische Werke. Leopold von Ranke
Читать онлайн книгу.immer noch bedeutend ist.42 Dann folgte »Die deutschen Mächte und der Fürstenbund«,43 wiederum hochpolitisch, aber auch mit einer Betrachtung über die Literatur jener Zeit ausgestattet und anziehend durch die lebendige Schilderung Kaiser Josephs II.; ferner »Ursprung und Beginn der Revolutionskriege 1791–92«44 zu lehrreicher Ergänzung des Sybelschen Werkes, mit einer Übersicht auch der inneren Vorgänge in Frankreich auf Grund der früher in Paris gemachten Studien. Die dann folgende Zeit zu bearbeiten erhielt Ranke einen besonderen Antrieb durch die Aufforderung des Fürsten Bismarck, die Herausgabe der bisher verschlossen gehaltenen Denkwürdigkeiten des Staatskanzlers v. Hardenberg zu übernehmen; er begleitete sie mit einer eigenen Darstellung »Hardenberg und die Geschichte des preußischen Staates von 1793–1813«.45 Bei dem großen Befreiungskriege brach er ab, weil dieser von anderen genugsam beschrieben war, auch Hardenbergs Aufzeichnungen von da an unbedeutend wurden; zwei Schlußkapitel über die 1814 getroffene Bestimmung der Grenzen Frankreichs und über die Herstellung des preußischen Staates gaben dem Werke genügenden Abschluß.
Mit besonderem persönlichem Anteil hatte er schon vorher, in den Jahren 1871–73, den Auftrag der Königin-Witwe Elisabeth von Preußen ausgeführt, den »Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen« herauszugeben.46 Er teilte hauptsächlich Briefe des Königs mit, die von dessen umfassendem, leicht erregbarem und doch von bestimmten Grundsätzen durchdrungenem Geiste anschauliches Zeugnis geben; er fügte Erläuterungen hinzu, wie gerade er sie aus persönlicher Kenntnis geben konnte, so daß manches Dunkel sich lichtete, welches bis dahin über die Entschlüsse des Königs verbreitet war. Ergänzend trat 1878 die Biographie Friedrich Wilhelms IV. hinzu,47 die er als Beitrag zu dem von ihm veranlaßten Sammelwerk, der Allgemeinen deutschen Biographie schrieb: kein vollständiges Lebensbild, aber auf einzelnes näher eingehend, namentlich auf den Vereinigten Landtag von 1847. Am Schlüsse sagt der teilnehmende Geschichtschreiber: »Von den entgegengesetzten Bewegungen der Zeit wurde Friedrich Wilhelm IV. immer in seiner Seele betroffen. Er hatte vielleicht mehr Gemüt als der Staat ertragen kann. Seine ideale Anschauung stieß mit den Realitäten der Dinge vielfältig zusammen, und in seiner persönlichen Eigenart lag etwas, das die Opposition erweckte. Er war entfernt davon sich glücklich zu fühlen; seine meisten Ansprachen der späteren Zeit haben einen schmerzlichen Zug an sich.« Wie anders lautet das Schlußurteil in der Biographie Friedrichs des Großen, die er um dieselbe Zeit zu gleichem Zwecke schrieb, seine früheren Schilderungen dieses Herrschers kurz zusammenfassend: »Ein Heldenleben, wie es im 18. Jahrhundert möglich war, von großen Gedanken durchzogen, voll von Waffenstreit, Anstrengungen und schicksalsvollem Wechsel der Ereignisse, unsterblich durch das, was es erreichte, die Erhebung des preußischen Staates zu einer Macht, unschätzbar durch das was es begründete für die deutsche Nation und die Welt.« Diese beiden Urteile des damals 82jährigen Geschichtschreibers sind leuchtende Beweise seiner hohen Geisteskraft und edlen Gesinnung.
Mit lebendiger Teilnahme verfolgte namentlich der Feldmarschall v. Manteuffel die Entstehung dieser späteren Werke Rankes. Die im Jahre 1848 geknüpfte Freundschaft der beiden Männer dauerte fort, gegründet auf gemeinsame Anhänglichkeit an Friedrich Wilhelm IV., auf Übereinstimmung in politischen Dingen und auf gleichartige Lebendigkeit des Geistes. Mit Vergnügen empfing Manteuffel, während er die Besatzungstruppen in Frankreich nach Beendigung des Krieges befehligte, die Druckbogen, die ihm oftmals zugingen, und schrieb dem Verfasser seine Bemerkungen dazu, die von eindringendem Verständnis zeugen;48 im Sommer 1877 brachte Ranke einige Wochen auf dem Landgute des Freundes zu, auch aus Straßburg empfing er herzliche Briefe von ihm mit lebhaftem Dank für die ersten Bände der Weltgeschichte. Persönlich nicht so eng, aber ebenfalls auf tiefgehende Geistesgemeinschaft gegründet, war Rankes Verhältnis zum Fürsten Bismarck; davon zeugt der schöne Brief, mit welchem Ranke den Dank Bismarcks für die Herausgabe der Denkwürdigkeiten Hardenbergs erwiderte:49 »Ew. Durchlaucht haben mich durch Ihre beiden Zuschriften vom 22. Jan. und 19. Febr. d. J. nicht allein geehrt und erfreut, sondern mir auch Anlaß zum Denken gegeben. Wie verhalten sich Historie und Politik, in höchster Ausbildung gedacht, zu einander?50 Der Historiker kann niemals zugleich praktischer Politiker sein,51 denn der historische Gedanke hat nur Wert in seiner Allgemeinheit, in dem Licht, das er über den Verlauf der Weltbegebenheiten verbreitet; der praktische Staatsmann dagegen muß auf der Grundlage einer allgemeinen Anschauung doch vor allem den vorliegenden Moment ergreifen, er muß den Forderungen des Moments gerecht werden und den Staat, dem er angehört, auf seinem Wege mit Konsequenz weiter fördern. Die Historie ist bloß instruktiv, die Politik maßgebend und durchgreifend. Daß nun Ew. Durchlaucht, indem Sie diesen hohen Beruf mit einer unvergleichlichen Virtuosität erfüllen, doch auch zuweilen nach meinen historischen Büchern greifen, um sich vergangene Lagen zu vergegenwärtigen, wie Sie mir das in den wohlwollendsten Worten ausdrücken, gereicht mir, der ich am Ende meiner Laufbahn stehe, zu hoher Befriedigung. Denn umsonst werde ich nicht gelebt haben. Ich habe immer gedacht, daß der Historiker alt werden muß. Er muß viel erleben und der Gesamtentwicklung einer großen Epoche anwohnen, um seinerseits fähig zu werden, die früheren Zustände zu beurteilen. So beurteile ich die Laufbahn Ew. Durchlaucht nicht allein mit persönlicher Teilnahme, die mir von alten Zeiten her nahe liegt, sondern auch mit steter auf die allgemeinen Angelegenheiten gerichteter Aufmerksamkeit. Der Historiker kann von Ihnen lernen, Durchlaucht. Für die Wünsche, welche Sie mir für den Nest meines Lebens aussprechen, bin ich Ihnen zu warmem und herzlichem Danke verpflichtet. Mit unbegrenzter Verehrung Ew. Durchlaucht untertänigster Diener L. v. Ranke. Berlin, den 22. Febr. 1877.«
Dem greisen Gelehrten war es vergönnt, noch über die Jahre hinaus zu wirken, die sonst dem Sterblichen als Grenze gesetzt sind. Mit wunderbarer Geisteskraft schuf er noch ein großes zusammenfassendes Werk, die Weltgeschichte; doch brachte er es nicht zu Ende. Wohl wußte er, daß ein solches Werk die Vollkommenheit nicht erreichen könne, aber er erkannte auch die Forderung der Wissenschaft, daß immer wieder der Versuch gemacht werde, das einzeln Erforschte in allgemeinen Zusammenhang zu bringen. Im Besitz eines reichen Wissens und langer Lebenserfahrung durfte er unternehmen, der Nachwelt auch noch die Wege zum höchsten Ziele der Geschichtswissenschaft zu weisen. Die Aufgabe war, das »historische Leben« darzustellen, welches sich, wie die Vorrede sagt, »fortschreitend von einer Nation zur anderen, von einem Völkerkreis zum anderen bewegt«, zugleich auch den »historischen Besitz, den das Menschengeschlecht im Laufe der Jahrhunderte erworben hat« in Religion, Kunst, Wissenschaft, gesellschaftlichen Einrichtungen, und unzertrennbar davon sind »die Erinnerungen an die Ereignisse, Gestaltungen und großen Männer der Vorzeit«. In diesem umfassenden Sinne, Allgemeines und Einzeldarstellung kunstvoll verbindend, schrieb er zunächst in drei Teilen, deren erster 1880 erschien, die Geschichte des Altertums, gestützt auf kritische Forschung, deren Schärfe und Umfang auch seine Freunde und Verehrer in Erstaunen setzte, denn sie hatten ihn immer bei späteren Jahrhunderten tätig gesehen. Aber ihm ging diese Forschung auf die Jugendzeit zurück, mit wohltuenden Erinnerungen verbunden, und mancherlei Aufzeichnungen für seine Lehrvorträge waren als Material vorhanden. So stellte er in anschaulichen Bildern die eigentümlich religiöse Kultur der Völker des Orients, die großen Staatsmänner, Dichter und Philosophen der Hellenen, das gewaltige Gefüge des römischen Staates, die Umwandlung des Erdkreises durch das Christentum dar. Dann ging er weiter zu den großen Völkerbewegungen, die vieles zerstörend doch neues Leben begründeten, zu der Welt des Islam, die sich der christlichen entgegensetzte, zu der Entfaltung der europäischen Staaten, auf deren gemeinschaftliche Entwicklung er schon in seinem ersten Jugendwerke hingewiesen hatte. Er hatte die Freude, daß sein Werk in weite Kreise drang, auch in