Leopold von Ranke: Historiografische Werke. Leopold von Ranke
Читать онлайн книгу.unbarmherzige Beurteilung. Im übrigen ließ Ranke jedes Talent in seiner individuellen Bewegung gewähren, eingedenk der höchsten pädagogischen Regel, daß die Schule nicht Abrichtung, sondern Entfaltung der persönlichen Kräfte zur Aufgabe hat.«
Das Jahr 1848 brachte mit dem Thronwechsel in Preußen neue Anregung in die Berliner Gelehrtenwelt. König Friedlich Wilhelm IV. nahm an dem Gedeihen der Wissenschaft wie der Kunst lebhaften persönlichen Anteil: er berief Männer von hervorragender Bedeutung, wie die Brüder Grimm, nach Berlin; er unterstützte wissenschaftliche Forschungsreisen, er gab der Akademie den Auftrag, die Werke Friedrichs des Großen herauszugeben. Zu der dafür eingesetzten Kommission gehörte auch Ranke, den er als Kronprinz 1828 auf seiner italienischen Reise in Venedig kennen gelernt hatte. Er ernannte ihn jetzt zum Historiographen des preußischen Staates, ein Titel, den früher Pufendorf, der Geschichtschreiber des Großen Kurfürsten, und Joh. v. Müller geführt hatten. Dadurch war es Ranke nahe gelegt, eine Preußische Geschichte zu schreiben. Er ging daran, als er 1843 bei seinem zweiten Aufenthalt in Paris die wertvollen Berichte des Marquis Valori fand, der in den ersten Jahren Friedrichs des Großen französischer Gesandter am preußischen Hofe gewesen war. Diese Berichte gaben Aufschluß über manche Rätsel der Politik jener Jahre; ergänzend traten englische Berichte hinzu, die Ranke alsbald in London aufsuchte. Mit Friedrichs eigenem Werk über diese Zeit, der Histoire de mon temps, hatte er sich schon näher zum Zweck der Herausgabe beschäftigt;21 sie lag in zwei Bearbeitungen vor, von denen die spätere, mehr ausgeführte in die Ausgabe der Werke des Königs aufgenommen wurde; aus der früheren nahm Ranke einzelne bemerkenswerte Züge in seine Darstellung auf. Den reichsten Stoff fand er natürlich im preußischen Staatsarchiv; hier nahm er auch die bisher fast unbekannten Verwaltungsakten Friedrich Wilhelms I. zur Hand. Der Plan seines Werkes erweiterte sich, er schrieb nach einer Einleitung über die älteren Zeiten die Geschichte der drei ersten preußischen Könige, brach jedoch in der Darstellung Friedrichs d. Gr., die er am weitesten ausführte, bei dem Jahre 1756 ab, denn der Siebenjährige Krieg mußte späteren Studien vorbehalten bleiben. Die »Neun Bücher preußischer Geschichte«, welche 1847 erschienen,22 fanden beim Publikum nicht so freudige Aufnahme wie die Deutsche Geschichte; es war eine politisch erregte Zeit, die von dem alten, unbeschränkten preußischen Königtum nicht viel wissen wollte. Ranke ließ sich das nicht irren; er hatte nicht für den Augenblick geschrieben. Seine Darstellung Friedrich Wilhelms I. gab später den Anstoß, die Verwaltungstätigkeit der preußischen Herrscher, ihre weitgehende Fürsorge für das Volkswohl nach allen Richtungen, durch größere Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv klarzustellen; seine tiefdringende Auffassung Friedrichs des Großen, seine meisterhafte Darlegung sowohl der Kriegstaten wie der verwickelten diplomatischen Verhandlungen wurde jüngeren Forschern, denen er noch manches übrig ließ, ein treffliches Vorbild.
Die Reise des Jahres 1843 brachte dem welterfahrenen Manne, der doch die Vorliebe des deutschen Gelehrten für stilles Studieren niemals verleugnete, das Glück einer behaglichen Häuslichkeit. In Paris lernte er die Tochter eines in Dublin wohnenden englischen Rechtsgelehrten kennen, die durch früheren Aufenthalt in Bonn mit deutscher Bildung vertraut war; in England sah er sie wieder und warb um ihre Hand. Sie folgte ihm gern nach Berlin und lebte sich rasch ein in die gelehrten Kreise, die so mannigfache Beziehungen zum Auslande hatten. Ranke freute sich der geistig belebten Häuslichkeit um so mehr, da nach dem Tode seiner Eltern das Band der Gemeinschaft mit Geschwistern und Verwandten loser geworden war. Von den Brüdern, mit denen er in herzlichem Briefverkehr stand, kam ihm jetzt Ferdinand besonders nahe, 1842 als Gymnasialdirektor nach Berlin berufen. Oft lasen sie miteinander in Abendstunden griechische Klassiker; auch für den Druck der Geschichtswerke leistete Ferdinand tätige Hilfe.
Als wissenschaftliche Früchte jener Reise veröffentlichte Ranke 1844 einen Teil der wertvollen Denkwürdigkeiten des englischen Staatsmannes Andrew Mitchell,23 der 1756 Gesandter bei Friedrich dem Großen war, als der Siebenjährige Krieg ausbrach; ferner 1846 eine aus den Pariser Archiven geschöpfte Abhandlung über die französische Notabelnversammlung von 1787,24 deren Beratungen den Ausbruch der Revolution nicht hatten verhindern können. Weitere Studien über die französische Revolution legte er einstweilen zurück für späteren Gebrauch. Von den Pariser Gelehrten war besonders Thiers ihm näher getreten, Verfasser einer vielgelesenen Geschichte der Revolution, seit 1830 einflußreicher Staatsmann und wiederholt Minister bis 1840, seitdem wieder mit historischen Studien beschäftigt für sein großes Werk »Geschichte des Konsulats und des Kaiserreiches«, dessen erster Band 1845 erschien. Er hatte im August 1841, als er eine größere Reise unternahm, um Stoff zu sammeln, Ranke in Berlin aufgesucht; 1843 empfing er dessen Gegenbesuch in Paris, und es bildete sich, wie Ranke in einer späteren Aufzeichnung berichtet hat,25 »ein freundschaftliches Verhältnis intimster Art, inwiefern ein solches stattfinden konnte zwischen einem Manne, der in der revolutionären Gesinnung erwachsen war und zu ihrer Ausbildung in einer bestimmten Rücksicht das meiste beigetragen hatte, und einem deutschen Gelehrten, der doch mehr der entgegengesetzten Seite angehörte und in dem revolutionären Element eben nur ein Element der Welt erkannte, welches nicht wieder beseitigt werden kann«. Wenn Ranke später noch mehrmals nach Paris kam, war ihm ein Gespräch mit Thiers immer sehr willkommen; was ihn dabei fremdartig berührte, war ihm doch immer lehrreich, und lebendigen Austausch der Gedanken liebte er von jeher, um sich nicht in einseitige Ansichten einzuspinnen.
Die Stürme des Jahres 1848 störten die wissenschaftliche Tätigkeit, gaben aber dem Geschichtskenner Anlaß, seine politische Einsicht in den Dienst des Vaterlandes zu stellen. Nicht wollte er wie Thiers als Abgeordneter oder gar Minister in die Bewegung eingreifen; er hielt sich zurück als stiller Beobachter, aber da der König vertrauensvoll seinen Rat begehrte, verfaßte er mehrere politische Denkschriften, die durch Vermittlung des Flügeladjutanten Edwin von Manteuffel dem Könige zugingen. Sie blieben damals natürlich geheim; erst 1887 sind sie in den Sämtlichen Werken (Band 49 und 50) veröffentlicht worden. In den liberalen Kreisen der Hauptstadt galt Ranke, da er an dem Fortgang der Verfassungsbewegung öffentlich nicht Anteil genommen hatte, als reaktionär gesinnt; die Denkschriften aber zeigen ihn, wie früher die »Historisch-politische Zeitschrift«, auf der Bahn des besonnenen Fortschritts, sehr empfänglich für die großen Aussichten einer neuen Zeit, sofern sie mit fester Staatsordnung vereinbar waren. Die erste Denkschrift, im Mai 1848 verfaßt, als in Berlin die preußische Nationalversammlung zusammentrat, tadelt unverhohlen das von den Ministern zugestandene allzu freie Wahlgesetz, warnt vor weiterer Nachgiebigkeit gegen den Radikalismus, billigt aber die von der Regierung eingeschlagene konstitutionelle Richtung. Die zweite, Anfang Juli, spricht die Zuversicht aus, daß die revolutionären Zuckungen, die sich über das ganze einst von Napoleon überwundene Gebiet verbreitet haben, keinen Bestand haben werden, »namentlich da England und Rußland sich halten,« aber zu wünschen sei, daß von Deutschland, »dem Mutterlande eines gesunden, mit den Interessen der Bevölkerung verbündeten Königtums,« eine selbständige, kluge und kraftvolle Bekämpfung der Anarchie ausgehe. Die dritte Denkschrift, Ende Oktober verfaßt, als die preußische Regierung sich zu entscheidendem Eingreifen anschickte, beantwortet die Frage, ob für Preußen eine konstitutionelle Verfassung anzuraten sei, mit deutlichem Ja, besonders wegen des Verhältnisses zum übrigen Deutschland, denn ratsam sei auch die Annahme des Kaisertums, wovon jetzt so viel und so ernstlich geredet werde: »das konstitutionelle Wesen muß nur ohne Vorliebe und ohne Haß angesehen werden als eine Form, in welcher die jetzigen Menschen nun einmal leben wollen; man muß die Verfassung so einrichten, daß man dabei bestehen kann«; also kein revolutionär-konstitutionelles Königtum, worin »die königliche Macht als Ausfluß des Volkswillens erscheint«, während sie in England bei aller Beschränkung durch das Parlament doch etwas »ureigenes, unabgeleitetes, ursprüngliches« ist: daher keine Abhängigkeit der Minister von der Volksvertretung, kein allgemeines Wahlrecht; wohl aber könne man den materiellen Wünschen der Menge durch eine gewisse Organisation der Arbeit, z. B. bei den öffentlichen Bauten, bei Urbarmachung des Landes entgegenkommen.