Leopold von Ranke: Historiografische Werke. Leopold von Ranke

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Leopold von Ranke: Historiografische Werke - Leopold von  Ranke


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die er wünschte und bedurfte, bewilligt worden wäre.

      Ist alledem wirklich so, so sieht man wohl, welch eine wichtige Stelle dieser namenlose Augustinerbruder in unserer Reichsgeschichte einnimmt. Im entscheidenden Momente hintertrieb er die Bekanntmachung einer Konzession, welche die Protestanten wahrscheinlich befriedigt haben würde. An deren Stelle trat Ferdinand mit einer Interpositionsschrift hervor, die die Möglichkeit jener Klausel nach wie vor einschloß. In einer Versammlung am 5. April vereinigten sich die Protestanten, sich nicht zu fügen, sie nicht anzunehmen. Da jedoch auch der andre Teil nicht nachgab, von dem Kaiser oder seinem Stellvertreter nichts zu erlangen war, was ihre Furcht hatte beschwichtigen können, so griffen sie zu dem äußersten Mittel, sie verließen den Reichstag. Zum ersten Male kam es zu keinem Abschied, geschweige denn zu Bewilligungen. Es war der Augenblick, in welchem die Einheit des Reiches sich faktisch auflöste.

      Aus mancherlei Gründen nämlich war der Kaiser mit seinem Bruder Matthias zerfallen; die in ihrer Freiheit und ihrer Religion bedrängten österreichischen Stände sahen in diesem Zwiespalt eine Gelegenheit, beides zu behaupten, und traten auf die Seite des Erzherzogs. Schon im Jahre 1606 schloß der Erzherzog im Einverständnisse mit ihnen einen Frieden mit den Ungarn, ohne den Kaiser darum gefragt zu haben. Sie entschuldigten sich damit, daß der Kaiser die Geschäfte vernachlässige, daß die Lage der Dinge sie gezwungen habe. Da nun aber Rudolf sich weigerte, diesen Frieden anzuerkennen, so erhoben sie sich, und zwar sogleich in Kraft ihres Vertrages, zur Empörung. Zuerst schlossen die ungarischen und die österreichischen Stände einen Bund zu Schutz und Trutz miteinander, dann zogen sie auch die Mährer, besonders durch den Einfluß eines Lichtenstein, an sich; so rückten sie in denselben Tagen, in welchen der Regensburger Reichstag sich auflöste, im Mai 1608, mit ihrem selbstgewählten Oberhaupt ins Feld wider den Kaiser. Rudolf mußte sich bequemen, seinem Bruder Ungarn, Österreich und Mähren abzutreten. Natürlich mußte aber Matthias den Ständen die Dienste, die sie ihm geleistet, mit Konzessionen erwidern. Seit 48 Jahren hatten die Kaiser vermieden, einen Palatinus in Ungarn zu ernennen; jetzt ward ein Protestant zu dieser Würde befördert. Die Freiheit der Religion ward nicht allein den Magnaten, sondern auch den Städten, allen Ständen, ja selbst den Soldaten an den Grenzen auf das feierlichste zugesichert. Nicht eher leisteten die Österreicher die Huldigung, als bis auch ihnen die Religionsübung in Schlössern und Dörfern sowie in den Privathäusern der Städte freigegeben worden.

      Was den Österreichern und Ungarn der Angriff, verschaffte den Böhmen die Verteidigung. Gleich anfangs hatte sich Rudolf zu großen Zugeständnissen bequemen müssen, nur um seinem Bruder noch einigermaßen zu widerstehen. Nachdem Ungarn und Österreicher durch diesen zu so großen Freiheiten gelangt, konnte auch er, was auch immer der päpstliche Nuntius, der spanische Gesandte dazu sagen mochten, den Böhmen ihre Forderungen nicht verweigern. Er gewährte ihnen den Majestätsbrief, der nicht allein die alten Konzessionen wiederholte, die Maximilian II. gegeben, sondern ihnen auch eine eigene Behörde zu deren Verteidigung zu gründen gestattete.

      Wie so ganz anders standen nun plötzlich die deutschen, die erbländischen Angelegenheiten. Die Union breitete sich in Deutschland aus und wachte über jeden Angriff des Katholizismus, den sie gewaltig zurücktrieb. Die Stände der österreichischen Provinzen hatten ihre alten Ansprüche zu einer wohlgegründeten verfassungsmäßigen Gewalt ausgebildet. Es war dabei ein nicht unbedeutender Unterschied: im Reiche hatte der Katholizismus die Territorien der katholischen Fürsten wieder erfüllt; erst als er weiterging, in die Reichssachen gewaltiger eingriff, die Existenz freier Stände gefährdete, da fand er Widerspruch; in den Erblanden dagegen stellte sich ihm noch innerhalb der Territorialbefugnisse die Macht protestantischer Landsassen unüberwindlich entgegen. Im ganzen war es aber der nämliche Sinn. In Österreich sagte man sehr bezeichnend: man müsse ein Schwert mit dem andern in der Scheide halten.

      23. Deutschland vor dem dreißigjährigen Kriege

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