Leopold von Ranke: Historiografische Werke. Leopold von Ranke

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Leopold von Ranke: Historiografische Werke - Leopold von  Ranke


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Epoche bildeten die drei oder vier Dezennien zwischen der Abwehr der Armada und dem Ausbruch parlamentarischer Unruhen, die späteren Jahre der Königin Elisabeth und die früheren Jakobs I. Es war die Epoche, in der sich die englische Nation zu allgemeiner Welteinwirkung erhob und zugleich die weitaussehenden Irrungen über die wichtigsten Fragen des inneren Lebens begannen. Anders konnte es gar nicht sein, als das sich in der Literatur der Antagonismus der Ideen darstellte, welcher die Geister überhaupt in Bewegung setzte. Aber auch andre großartige Hervorbringungen sehen wir erscheinen, welche weit über diesen Streit hinausreichen.

      Schon längst war das aristotelisch-scholastische System, das Erbteil der hierarchischen Jahrhunderte, angefochten, und nicht etwas durchaus Neues ist die induktive Methode, die Bacon demselben entgegenstellte. Aber Bacons Idee war von der umfassendsten Tendenz; sie ging dahin, das Denken und Forschen der Gelehrten von den spekulativ-theologischen Voraussetzungen, welche den geistigen Gesichtskreis beherrschten, zu befreien. Die namhaftesten Gegner der Scholastik hatte er doch wieder zu bekämpfen, weil sie die Dinge mit einem neuen Gewebe von Worten und Theorien umspannen, die er verwarf. Er dachte die Menschen von den täuschenden Begriffen, von denen sie befangen sind, dem Zauber der Worte, welche die Dinge verhüllen, der Tradition, die durch große Namen geheiligt ist, zu befreien und ihnen die Sphären sicherer Erfahrungswissenschaft zu eröffnen. Die Natur ist ihm das Buch Gottes, das man zu seiner Ehre und zum Nutzen der Menschen unmittelbar studieren muß; von den Sinnen und der Erfahrung soll man ausgehen, um im Umgang mit den Dingen die Ursachen der Erscheinungen zu entdecken. Er würde an sich lieber der Baumeister der allgemeinen Wissenschaft werden, wie er denn schon einen Aufriß zu einer solchen verfaßt hat; aber er besitzt die Zurückhaltung, davon fürs erste abzusehen, im kleinen zu arbeiten, Experimente zu machen; wie er einmal sagt, Ziegel und Steine herbeizuschaffen, die in Zukunft zu dem großen Werke dienen können. Hätte er das nur mit vollkommener Hingebung und hinreichender Kenntnis der Sache getan! Seine Methode ist unvollkommen, seine Resultate im einzelnen unzuverlässig; sein Ziel ist großartig. Die Einsicht, nach der er trachtet, bezeichnet er mit dem heraklitischen Ausdruck des trockenen Lichts, d. i. eines solchen, welches durch keine Neigung und keinen Nebenzweck getrübt wird; wer sie besitze, stehe gleichsam auf einer Bergeshöhe, zu deren Füßen die Irrtümer wie Nebel treiben. Und nicht allein auf eine Befriedigung des Geistes kommt es ihm an, sondern auf solche Entdeckungen, welche die Tätigkeit des Menschen anregen, seine Wohlfahrt befördern; die Natur ist zugleich das große Warenhaus Gottes; die Herrschaft über die Natur, welche die Menschen ursprünglich besaßen, muß ihnen zurückgegeben werden.

      Bei dieser Betrachtung stellt sich dem Philosophen die Gefahr vor Augen, daß man auch das Wesen Gottes auf diesem Wege zu erkennen vermeinen werde. Bacon fordert eine vollkommene Trennung beider Gebiete, denn nur die zweiten Ursachen könne der Mensch erreichen, nicht die erste, welche Gott sei; nur den natürlichen Dingen sei der Geist des Menschen gewachsen; die göttlichen verwirre er vielmehr. Selbst die Natur der menschlichen Seele will er nicht untersuchen, denn sie stamme nicht von den hervorbringenden Naturkräften, sondern von dem Hauche Gottes her. Wenn es die Tendenz der romanisch-germanischen Philosophie auf der Grundlage des Altertums von Anfang an gewesen war, den Glauben mit wissenschaftlichem Verständnis zu durchdringen, so leistet Bacon von vornherein darauf Verzicht. Die Paradoxien, welche der Christ glauben müsse, hebt er mit einer fast anstößigen Schroffheit hervor; er erklärt es für den Flug des Ikarus, diese Geheimnisse durchdringen zu wollen. Aber einen um so stärkeren Antrieb sucht er dem menschlichen Geist auf die Erforschung der natürlichen Dinge zu geben.

      Zu diesen gehören ihm denn auch die Zustände der menschlichen Gesellschaft, denen er sein ganzes Leben hindurch eine aufmerksame und eindringende Beobachtung gewidmet hat. Seine Essays sind nicht etwa skeptisch wie die französischen, von denen er diese Bezeichnung hergenommen haben mag; sie sind durch und durch dogmatisch. Es sind Bemerkungen über die Lebensverhältnisse, wie sie damals vorlagen, namentlich über die Berührungen des Privatlebens mit dem öffentlichen, und Ratschläge, die aus der Wahrnehmung der entgegengesetzten Eigenschaften der Dinge hervorgehen, überaus belehrend für das Innere der englischen gesellschaftlichen Verhältnisse, von weiter Umsicht und ruhiger Weisheit; ebenfalls ein Schatz der englischen Nation, deren Lebensanschauungen sich daran aufgebaut haben.

      Was kann eine Generation der anderen Besseres hinterlassen als die Summe ihrer Erfahrungen, die dann über den flüchtigen Moment hinaus Bedeutung haben, in einer Form, welche sie für alle Zeiten wirksam macht? Darin liegt die irdische Unsterblichkeit des Geistes. Aber noch ein andrer Besitz von noch umfassenderem Inhalt und unvergleichlichem Wert ward der englischen Nation durch die Ausbildung der dramatischen Bühne zuteil, die eben in diese Epoche fällt. Von jeher hatte es theatralische Vorstellungen gegeben, in den Palästen der Könige und der Großen, den Universitäten, den juridischen und städtischen Genossenschaften; sie machten einen Teil der Vergnügungen des Karnevals aus oder trugen zum Glanze anderer Festlichkeiten bei. Zu rechtem Leben aber gelangten sie erst, als die Königin sie durch eine allgemeine Erlaubnis ihrem Volke gestattete. Früher hatten die Scholaren der höheren Schulen oder die Mitglieder der gelehrten Innungen, die Handwerker in den Städten, die Hausgenossen der Großen und der Fürsten die Darstellung selbst ausgeführt; jetzt bildeten sich Schauspieler von Gewerbe, sie ließen sich bezahlen und spielten das ganze Jahr. Eine Anzahl kleiner Theater kam auf, welche, da sie geringe Eintrittspreise setzten, die Menge anzogen und mit ihr in Wechselwirkung traten. Die Regierung konnte nichts dagegen haben, da die vornehmste Opposition, welche sie zu fürchten hatte, die des Puritanismus, durch die Abneigung dieser Partei gegen das Theaterwesen sich selbst von allem Einfluß darauf ausschloß. Die Theater wetteiferten miteinander; ein jedes suchte etwas Neues zu bringen und dies dann für sich selbst zu behalten. Die Autoren, unter denen sich ausgezeichnete Talente fanden, waren nicht selten zugleich Schauspieler. Alle Stoffe der Fabel und der Geschichte, wie denn die Literatur durch alteinheimische Produktion und Aneignung aus dem Auslande bereits großen Umfang gewonnen hatten, wurden ergriffen und durch wiederholte Bearbeitung einem empfänglichen Publikum nahe gebracht.

      Unter diesem wetteifernden Emporstreben der städtischen Bühnen und ihrer Produktion hat sich Wilhelm Shakespeare ausgebildet, der damals unter der Menge der Mitstrebenden verschwand, bei der Nachwelt aber von Epoche zu Epoche zu größerem Ruhme gelangt ist. Was uns besonders nahe liegt, erbrachte, wie das keineswegs ungewöhnlich war, eine Reihe von Ereignissen aus der englischen Geschichte selbst auf die Bühne. In das Lob, welches ihm freigebig gespendet worden, daß er sie mit historischer Treue wiedergegeben habe, kann man nicht so geradehin einstimmen. Oder wer wollte behaupten, das sein König Johann und Heinrich VIII., sein Glocester und Winchester oder gar seine Pucelle den Originalen gleichen, deren Namen sie tragen? Der Autor ergreift die großen Fragen, um die es sich handelt; indem er der Chronik so nahe wie möglich folgt und ihre charakteristischen Züge aufnimmt, teilt er doch den Personen eine seiner besonderen Auffassung entsprechende Rolle zu. Er belebt die Handlung mit Beweggründen, welche die Geschichte nicht finden würde oder nicht annehmen dürfte; die Charaktere, die sich in der Überlieferung nahe stehen und in der Wirklichkeit wahrscheinlich nahe standen, treten bei ihm auseinander, ein jeder in seinem besonders ausgebildeten, in sich homogenen Dasein. Natürlich menschliche Momente, die sonst nur im Privatleben erscheinen, durchbrechen die politische Handlung und gelangen dadurch zu verdoppelter poetischer Wirksamkeit.

      Aber wenn sich im einzelnen Abweichungen von dem Tatsächlichen herausstellen, so zeigt die Wahl der Ereignisse, welche auf die Bühne kommen, von hohem Sinne für das Historisch-Große. Es sind fast immer Situationen und Verflechtungen der bedeutendsten Art: das Eingreifen der geistlichen Macht in den inneren politischen Hader in König Johann; der plötzliche Sturz eines wohlgegründeten Königtums, sowie es sich einmal von der strengen Linie des Rechts entfernt, in Richard II.; der Widerstand, den ein usurpatorischer Fürst, Heinrich IV., bei den großen Vasallen, die ihn eingesetzt haben, findet, welcher ihn dann durch unaufhörliche Sorge und geistige Arbeit vor der Zeit zum Tode führt; das Glück einer gelingenden auswärtigen Unternehmung, die wir von entschlossener Vorbereitung zu gefährlichem Kampf und vollendetem Siege begleiten, und dann wieder die unselige Lage, in die ein von der Natur nicht zum Regenten gebildeter Fürst zwischen den gewaltsamen Parteien gerät, bis er so weit kommt, daß er den Schäfer beneidet, dem sich bei seiner Herde ruhige Tage abrollen, in Heinrich V. und VI., endlich der Weg der greuelvollen Missetat, welchen der zum Thron nicht bestimmte


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