Leopold von Ranke: Historiografische Werke. Leopold von Ranke
Читать онлайн книгу.nur versucht hätte, in trümmerhaftem Zustande wieder nach Hause kommen. Er leistete darum nicht auf sein Vorhaben Verzicht; er sprach davon, daß er sich mit gelenkeren Fahrzeugen versehen und die Gesamtleitung des Unternehmens dem Prinzen von Parma anvertrauen wolle. Die kastilianischen Cortes forderten ihn auf, sich die erlittene Schmach nicht gefallen zu lassen; das ganze Vermögen und die Kinder des Landes boten sie dazu an. Auch die Möglichkeiten großer Unternehmungen aber gehören nur einem Moment an; in folgenden sind sie schon vorübergegangen. Zunächst wurden die spanischen Streitkräfte in die Verwicklung von Frankreich hineingezogen.
Die große katholische Bewegung, die daselbst schon lange gärte, bekam endlich die Oberhand und war ganz dazu angetan, der Oberherrschaft Philipps den Weg zu bahnen. Aber Königin Elisabeth hielt dafür, daß der Tag, an welchem Frankreich in dessen Hände falle, der Vorabend ihres eigenen Unterganges sein werde. Auch sie wendete ihre besten Kräfte nach Frankreich, um die Widersacher Philipps aufrecht zu halten. Als Heinrich IV., an die äußerste Küste der Normandie zurückgedrängt, beinahe verloren war, ist er durch ihre Hilfe in den Stand gesetzt worden, sich zu behaupten. Bei den Belagerungen der großen Städte, mit denen es ihm noch oft zu mißlingen drohte, haben die englischen Truppen hie und da das Beste getan. In dieser Politik konnte es die Königin nicht irren, daß Heinrich IV. sich genötigt sah und es mit seinem Gewissen vereinbar fand, zum Katholizismus überzutreten. Denn offenbar ward er dadurch um so mehr fähig, ein politisch unabhängiges Frankreich herzustellen, und zwar im Gegensatz und Kampf mit Spanien. Auf diesem Gegensatz aber beruhte die politische Freiheit und Unabhängigkeit von England selbst. Wie der Wechsel der Religion, so war der Friede, zu welchem Heinrich IV. schritt, der Königin widerwärtig; sie setzte ihren Einfluß gegen den Abschluß desselben ein. Aber da dabei die Spanier die Plätze aufgaben, welche sie an den französischen Küsten innehatten, in deren Besitz sie auch für England gefährlich wurden, so konnte sie doch in der Tat nicht von Grund aus dagegen sein.
Den großen Kämpfen zu Lande gingen wiederholte Angriffe der englischen und holländischen Seemacht zur Seite, vor denen es zuweilen schien, als würde dadurch die spanische Monarchie in ihren Grundfesten erschüttert werden. Elisabeth hat einen Versuch gemacht, Don Antonio auf den Thron zurückzuführen, von dem ihn Philipp verdrängt hatte.190 Aber noch waren die Gemüter der Portugiesen selbst für einen Abfall bei weitem nicht hinreichend vorbereitet; das Unternehmen scheiterte in den Vorstädten von Lissabon. Auf das lebendigste beschäftigte dieser Krieg die Engländer. Das Parlament verstand sich zu immer reichlicheren Bewilligungen; von zwei Fünfzehnten und einer einfachen Subsidie (ungefähr 30 000 Pfund), welche es zu gewähren pflegte, stieg es 1593 zu drei Subsidien und sechs Fünfzehnten auf; freudig rüsteten die Städte auf ihre eigenen Kosten, und man fand Leute genug, um die Schiffe zu bemannen; die nationale Tatkraft nahm ihre Richtung auf die See. Auch ist den Engländern einiges gelungen. In dem Hafen von Corunna haben sie die dort angehäuften Vorräte, die wahrscheinlich zu einer Erneuerung der Expedition dienen sollten, vernichtet.191 Einst ist der Hafen von Cadiz eingenommen192 und die Stadt selbst besetzt worden; mehr als einmal hat man Westindien aufgeschreckt und gefährdet. Mit alledem war noch nichts eigentlich Entscheidendes geschehen; die spanische Monarchie behauptete ein unzweifelhaftes Übergewicht in Europa und den ausschließenden Besitz der andern Hemisphäre, sie bildete die große Macht der Epoche. Aber ihr gegenüber nahm nun auch England eine gewaltige und furchtbare Stellung ein.
19. Elisabeth, Königin von England
Englische Geschichte I, Werke Bd. 14, 2. 324 ff.
Elisabeth gehörte zu den Fürsten, die sich im voraus über die Pflichten der Regierung einen Begriff gemacht haben. Vier Eigenschaften, sagt sie einmal, seien ihr dazu notwendig erschienen: Gerechtigkeit und Mäßigung, Großmut und Urteil; der beiden ersten dürfe sie sich rühmen, nie habe sie bei gleichem Recht einen vor dem andern begünstigt, nie habe sie einem ersten Berichte geglaubt, sondern bis zu voller Kenntnis an sich gehalten; die beiden andern wolle sie sich nicht anmaßen, denn es seien Tugenden der Männer. Eben diese aber schrieb ihr die Welt in hohem Grade zu. Ihr feines Urteil erblickte man in der Wahl ihrer Diener und der Verwendung derselben zu solchen Diensten, zu denen sie eben am geschicktesten seien. Ihre Hochherzigkeit sah man in der Verachtung kleiner Vorteile und ihrem unerschütterlichen Gleichmut in der Gefahr. Während des aus Spanien daherziehenden Ungewitters habe man keine Wolke auf ihrer Stirn gesehen; durch ihre Haltung habe sie Adel und Volk belebt, ihre Räte beseelt. Man rühmte an ihr beides, eifrige Teilnahme an der Beratung und Sorgfalt, daß das Beschlossene ins Werk gesetzt werde.
Das Ideal einer Herrscherin dürfte man auch in Königin Elisabeth nicht suchen. Niemand könne die Härten in Abrede stellen, die unter ihrer Regierung selbst mit ihrem Vorwissen begangen worden sind. Jene systematische Heuchelei, die man ihr schuld gibt, mag als eine Erfindung, ihrer Feinde oder der nicht von Grund aus unterrichteten Historiker erscheinen; sie selbst erklärt Wahrhaftigkeit für eine dem Fürsten unentbehrliche Eigenschaft. Aber auch bei ihrer Staatsverwaltung kommen, wie bei den meisten andern, Argumentationen vor, welche die Wahrheit mehr verhüllen als ausdrücken. Bei jedem ihrer Worte und Schritte nimmt man die Berechnung dessen, was zu ihrem Vorteil dient, wahr; sie zeigt treffende Voraussicht und selbst eine natürliche Verschlagenheit. Elisabeth war sehr zugänglich für Schmeichelei und durch ein angenehmes Äußere ebenso leicht bestochen wie durch zufällige kleine Mängel zurückgestoßen; sie konnte bei einem Wort auffahren, das sie an die Vergänglichkeit der menschlichen Dinge oder an ihre eigene Hinfälligkeit mahnte; Eitelkeit begleitete sie von Jugend an bis in ihre hohen Jahre, die sie nicht bemerken noch bemerkt wissen wollte. Gute Erfolge liebte sie sich selbst anzurechnen; Mißlingen schrieb sie ihren Ministern zu. Den Haß für unliebsame oder ihr zweifelhafte Maßregeln sollten diese auf sich nehmen, und wenn sie das einmal nicht ganz im Einklang mit ihrer Stimmung taten, hatten sie ihren Tadel, ihre Ungnade zu befürchten.
Sie war nicht frei von den Unzuverlässigkeiten ihres Geschlechts, aber dagegen entfaltete sie auch wieder die liebenswürdige Aufmerksamkeit einer weiblichen Gebieterin: wie wenn sie einst bei einer Rede, die sie in der Gelehrtensprache vor den Gelehrten von Oxford hielt, als sie den Lordschatzmeister193 mit seinem lahmen Fuße da stehen sah, plötzlich abbrach, ihm einen Stuhl bringen ließ und dann fortfuhr; man sagte freilich, sie habe zugleich bemerken lassen wollen, daß kein Zufall sie aus der Fassung bringen könne. Wie Harrington,194 der sie aus persönlichem Umgang kannte, sich ausdrückt: ihr Geist war zuweilen der Sommermorgenluft zu vergleichen, wohltuend und erfrischend, sie gewann dann aller Herzen durch liebliche und bescheidene Rede. Aber in demselben Grade abstoßend wurde sie in aufgeregten Zuständen, wenn sie in ihrem Zimmer auf und abschritt, Zorn in jeder Miene, Wegwerfung in jedem Worte; man eilte, von ihr wegzukommen.
Unter anderm lernt man sie aus dem Briefwechsel mit König Jakob von Schottland195 kennen; wie spricht da jeder Satz eine mit der politischen vereinigte geistige und moralische Überlegenheit aus! Da ist kein überflüssiges Wort, alles ist Mark und Substanz; von Fürsorge und eingehendem Ratschlag geht sie zu herbem Tadel und ernsthafter Warnung über; sie ist gütig und scharf, wohlmeinend und rauh, aber fast noch mehr wegwerfend und rücksichtslos als milde. Nie hatte ein Fürst von seiner Würde eine höhere Idee; von der Unabhängigkeit, die derselben nach menschlichen und göttlichen Gesetzen gebühre; von der Pflicht des Gehorsams, welche jeden Untertan binde. Sie rühmt sich wohl, daß auf ihre Entschlüsse keinerlei äußere Rücksicht einwirke, am wenigsten Drohung oder Furcht; wenn sie sich einmal nach dem Frieden sehnt, so besteht sie darauf, daß es nicht aus Besorgnis vor dem Feinde geschehe, sondern bloß aus Abscheu vor dem Blutvergießen. Die Tätigkeit des Lebens entwickelt nicht allein die intellektuellen Kräfte; zwischen