Leopold von Ranke: Historiografische Werke. Leopold von Ranke

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Leopold von Ranke: Historiografische Werke - Leopold von  Ranke


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Gehässigkeit wie seine eigenen; von einem freien, auf die obersten Ziele des menschlichen Daseins gerichteten Schwunge der Seele geben sie keinen Beweis, sie sind ganz von dem Horizont des Staates umfangen, aber sie zeugen von einem Scharfblick, der die zu erwartenden Folgen bis in die weiteste Ferne wahrnimmt, der unter dem Möglichen das Ausführbare, unter mancherlei Gutem das Bessere und Beste zu unterscheiden und festzustellen weiß. Der Ehrgeiz Richelieus war, daß der König ihm folge durch eigene Überzeugung, nicht durch Autorität. In ausführlicher Darlegung und strenger Schlußfolge sucht er ihn bei dem Rate zu fixieren, den er ihm erteilt. Alle diese Gutachten sind von einem einzigen Gedanken erfüllt, der sich in immer größerer Ausdehnung des Gesichtskreises und der Zwecke entwickelt: Erhebung der Monarchie über jeden besonderen Willen, Ausbreitung der Autorität von Frankreich über Europa. Niemals hat sich eine Politik durch glänzendere Erfolge bewährt; er war aller Feinde Meister geworden.

      Noch dachte er jedoch nicht am Ziele zu sein, weder persönlich noch in bezug auf die Angelegenheiten der Welt oder Frankreichs, noch lenkte er das Ruder des Schiffes mit weithinaus spähendem Blicke und gewohnter Sicherheit, als er im Dezember 1642 einem erneuten Anfall seiner Krankheit erlag. Er hat sterbend erklärt, er habe nie einen Feind gehabt, der nicht Feind des Staates gewesen sei. Die Identifizierung seiner persönlichen Interessen mit denen des Staates, die seine Stärke im Leben ausgemacht, begleitete ihn in den Tod. »Da ist,« sagte Ludwig XIII. bei der Nachricht von seinem Tode, »ein großer Politiker gestorben;« persönliches Bedauern hörte man ihn nicht aussprechen. In dem Worte liegt die Erklärung oder Entschuldigung seiner ganzen Haltung im Leben.

      Was denn nun auch Mitwelt und Nachwelt über Richelieu geurteilt haben, zwischen Bewunderung und Haß, Abscheu und Verehrung geteilt: er war ein Mann, der das Gepräge seines Geistes dem Jahrhundert auf die Stirn drückte. Der bourbonischen Monarchie hatte er ihre Weltstellung gegeben. Die Epoche von Spanien war vorüber, die Epoche von Frankreich war heraufgeführt.

      27. Kardinal Mazarin

       Inhaltsverzeichnis

      Französische Geschichte III, Werke Bd. 10 S. 144-150.

      Noch in seinen letzten Jahren erschien Mazarin als ein stattlicher Mann von braunem, lockigem Haupthaar, breiter und hoher Stirn, sorgfältig in seinem Äußern, von jener Milde des Ausdrucks, die man an gebildeten Italienern bemerkt, gewinnend und durch eigene Ruhe die andern beruhigend. Wenn aber bei irgendeinem, so lernte man sie bei Mazarin als Außenseite kennen. Bei der ersten Begegnung umarmt er die, welche ihm und der Sache des Königs Dienste geleistet haben, und erwirbt ihr volles Zutrauen. Wie bald aber ändert sich diese Meinung; die meisten sahen sich in ihren Erwartungen geradezu getäuscht. Man sagte von Mazarin, der Dankbarkeit, die man ihm schuldig sei, werde man durch die Art und Weise entledigt, in der er die Erfüllung seiner Zusagen lange verzögere und endlich nicht ohne Unannehmlichkeiten gewähre. Nur diejenigen schien er zu schätzen, die er noch nicht ganz gewonnen hatte; man mußte selbständig sein, gefährlich werden können, um etwas bei ihm zu erreichen. Die, welche weniger von ihm abhingen, hatten sich größerer Berücksichtigung zu erfreuen als die, welche er ganz in seinen Händen hatte; wie unter anderm die Bischöfe einen Vorzug, den er den Marschällen und Herzogen vor ihnen zugestand, sich nur daher erklären konnten, daß er von dem Klerus weniger Widerspruch fürchtete.

      Richelieu war ein Dogmatiker der Gewalt, die er gründete. Er hatte den Geist inquisitorischer Verfolgung und trieb diese bis zum äußersten. Mazarin suchte zu behaupten, was er fand, oder es wiederherzustellen, wenn es erschüttert war, aber unter ihm hat niemand auf dem Schafott geblutet, bei ihm war alles Transaktion. Denn nicht von innerer Parteiung war er ausgegangen wie sein Vorgänger, sondern von auswärtigen Geschäften, in denen Feindschaft und Freundschaft wechseln, der Krieg durch Unterhandlungen beendigt wird. Durch ausgleichende Unterhandlung suchte er nun auch den großen Kampf der ministeriellen Autorität mit der Widersetzlichkeit und Auflehnung der untergeordneten Machthaber zum Ziele zu führen. Unter dem mannigfaltigsten Wechsel von Zuständen hatte er wirklich die alte Grundlage wiedergewonnen, wiewohl sie noch nicht vollständig befestigt war. Seine ganze Natur, seine diplomatische Gewandtheit, der Einfluß, der seiner Persönlichkeit wie von selbst zufiel, die Oberflächlichkeit selbst, mit welcher er haßte und liebte, machte ihn dazu fähig. Doch sind ihm seine Erfolge nicht ohne Mühe zuteil geworden.

      So wenig als denen, die Stellen und Gnaden bei ihm suchten, erschien Mazarin den fremden Gesandten auch der befreundeten Mächte zuverlässig. Eines Tages hören sie ihn alle Möglichkeiten, welche die eingeschlagene Richtung darbietet, mit Feuer und Beredsamkeit entwickeln; wenn sie ihn wieder besuchen und etwa ein günstiger Augenblick vorübergegangen ist, zieht er aus seinen Vordersätzen vollkommen andere Folgerungen. In den Unterhandlungen, die er persönlich führt, zeigt er beinahe eine kaufmännische Ader. Die Ware, die er los sein will, schlägt er hoch an, obwohl er sie von Herzen gering schätzt; den Wert dessen was man ihm anbietet, obwohl er ihn vollkommen erkennt, sucht er herabzusetzen. Gegen das was der andere wünscht stellt er sich gleichgültig an, obgleich er es nicht minder begehrt und begehren muß. Unendlich glücklich fühlt er sich, wenn er am Ende noch größere Vorteile davonträgt als er ursprünglich erhalten zu können meinte. Der Königin und dem König schildert er sein Verfahren bis ins Kleinste, nicht gerade mit Selbstgefälligkeit, aber mit einem gewissen Behagen und mit sichtbarer Freude, wenn ihm sein Vorhaben gelingt.

      Unleugbar ist sein Eigennutz. Bei Besetzung der Stellen nimmt er sich nicht übel, auf eine oder die andre Weise einem Vorteil von ein paar tausend Scudi nachzugehen; er läßt bemerken indem er ein Patent selbst überliefert, daß er dem Ernannten dadurch die Geschenke erspart, die sonst dem Überbringer hätten gezahlt werden müssen; er macht Halbpart mit den Kapern, die er autorisiert. Aber ebenso unleugbar ist, daß sein ganzes Sinnen dahin ging, die französische Monarchie groß und stark zu machen, in Ludwig XIV. einen König, wie er sein sollte, auszubilden und zurückzulassen. In einem seiner Briefe bald im Anfange seiner Verwaltung findet sich sogar der höchst auffallende Gedanke, daß ein Mann, der die französische Monarchie leite, den Anhauch göttlicher Inspiration erwarten dürfe. Nie ist das Große und Echte mit dem Kleinlichen, ja selbst Gemeinen enger verbunden gewesen als in Mazarin.

      Er ward nun als der Atlas und das Orakel der Monarchie betrachtet, als der Mann, auf dessen Schultern sie ruhe, der sie mit seinem Wort leite. Die ministerielle Gewalt war unter ihm durch die persönliche Gunst des Fürsten mit der königlichen aufs engste vereinigt. Die Königin-Mutter blieb ihm, solange sie Macht und Ansehen besaß, durch Grundsatz und Gewohnheit ergeben. Es scheint wohl, als ob sie später, nachdem alle Zwecke, die sie gehabt hatte, erreicht waren, eine gewisse Verstimmung über die Fortdauer der Autorität des Kardinals empfunden habe; Ludwig XIV. gab einer solchen jedoch nicht Raum, er trug Bedenken dem Mentor, dem er sein Glück zuschrieb, selbst durch kleine Anforderungen unangenehm zu werden.

      Das sonderbarste Verhältnis bildete sich. Der König von Frankreich erschien fast als der Hofmann des Ministers; der König besuchte den Minister, der Minister nie den König; er begleitete ihn selbst nicht die Treppe hinab. In diesem hohen Ansehen und einer ununterbrochenen Anerkennung desselben lag für Mazarin das vornehmste Moment seiner Zufriedenheit. Als er einst nach der Vermählung Ludwigs XIV. ein paar Tage mißvergnügt erschien, und man der Ursache nachforschte, so fand sich, daß er auch von der jungen Königin besucht zu werden erwartet hatte; als dies geschehen war, kehrte seine heitere Miene zurück. Den Vortritt der Prinzen von Geblüt hätte er sich damals nicht mehr gefallen lassen, wie im Anfang; er hielt zuletzt über dem Vorrang der Kardinäle nicht minder streng als einst Richelieu. Wie sehr ihnen beiden in diesen Zeiten des Zeremoniels der Besitz ihrer hohen geistlichen Würde zustatten kam, wäre nicht auszusprechen. Und hing nicht damit auch ihr Trachten nach Reichtümern zusammen? Es erschien fast wie ein Herkommen bei den Kirchenfürsten. »Das war ein großer Papst«, hörte man Mazarin einst bei dem Denkmal Johanns XXII. in Avignon ausrufen, »er hinterließ acht Millionen.« Weder der Besitz der Macht allein noch des Geldes allein könnte ihnen genügen; sie streben alles zu vereinigen, Macht und Vorrang und Überfluß.