Leopold von Ranke: Historiografische Werke. Leopold von Ranke
Читать онлайн книгу.mag den Wert des Geldes und dessen effektiven Besitz zu hoch angeschlagen haben, aber er brachte sein merkantiles Bestreben mit dem Zwecke des Staates und dessen großen Interessen, dem Emporkommen des dritten Standes, der Einheit der Nation, ihrer Stellung in der Welt überhaupt in Verbindung. Mazarin und Fouquet hatten, wie bereits Richelieu, daran gedacht, den französischen Handel mit den entfernten Weltregionen durch große Kompagnien, an denen sie selbst mit ihrem Vermögen teilnehmen wollten, emporzubringen. Darauf kam nun, durch das Beispiel von England und Holland angetrieben, Colbert zurück; Ludwig XIV. war ganz dafür gewonnen. Wie die Edikte sagen, zur Größe der Nation und zum Ruhme des Königs schien es ihnen notwendig. Hätte es von dem französischen Handelsstand allein abgehangen, so würde die Sache nicht zustande gekommen sein. Die Intendanten der Schiffahrt können nicht genug klagen, wie wenig z. B. die Kaufleute in Marseille das allgemeine Wohl auch nur ihrer Stadt, geschweige des Reiches kümmere, wie sie durch Privatinteressen und gegenseitige Eifersucht einander und allem Guten im Wege stehen. Die Kompagnien sind nicht ein Werk des Handelsstandes, sondern des Staates; an ihren Aktien beteiligte sich die Regierung meistens zu einem Drittel oder bis zur Hälfte. Die übrigen wurden zum größeren Teile den geldbesitzenden Beamten gleichsam aufgenötigt. In den großen Kollegien sind die Subskriptionslisten mit dem Bemerken, daß der König die Beteiligung sämtlicher Mitglieder wünsche, vorgelegt, diese Verschreibungen sind dann in Gegenwart des Königs selbst eingereicht worden, der davon persönlich Kenntnis nahm. König Ludwig XIV. meinte damit eine große Pflicht zu erfüllen, denn die kommerzielle Tätigkeit sei dem Geiste der Nation angemessen und werde ihre Wohlfahrt befördern; er machte sogar die moralische Reflexion, daß dadurch der Untätigkeit, welche nur zum Laster führe, bei einer großen Anzahl ein Ende gemacht werde.
Es gehörte ganz zu dem System Colberts, wenn er die westindischen Kolonien, von denen die meisten zur Zeit der Fronde in Privathände übergegangen waren, aus denselben zurücknahm und einer neuen Kompagnie übergab, welche sie fortan besitzen und anbauen und in Handelsverbindung mit Frankreich bringen sollte. Richelieu hatte einst eine Kompagnie zum Handel mit dem nördlichen Amerika gestiftet, die doch nicht zu rechter Blüte gekommen war; auch deren Rechte wurden an die neue Kompagnie übertragen; sie sollte den ganzen amerikanischen Handel mit dem afrikanischen bis an das Kap vereinigen. Besonderen Gewinn haben ihre Handelsunternehmungen niemals abgeworfen; das Monopol, das sie einführte, störte vielmehr allenthalben den bereits in Gang gesetzten Verkehr. Vorteil für den Staat aber hat die Kompagnie ohne Zweifel gehabt; zur Behauptung der Kolonien ist sie sehr förderlich gewesen. Kanada erhob sich aus dem Zustand dem Schwäche und Gefährdung, in der es sich befand, durch die Unterstützung, die es nunmehr erhielt; die Antillen wurden wieder eng mit dem Mutterlands verbunden; Cayenne wurde aufs neue besetzt. Man dachte dem im Norden von Amerika entstehenden Neufrankreich ein andres in den Äquinoktialgegenden an die Seite zu setzen.
Die zweite große Kompagnie, die für den ostafrikanischen und hauptsächlich den ostindischen Handel gegründet wurde, machte ebensowenig vorteilhafte Geschäfte. Bei der Rückkehr der ersten Schiffe geriet ihre Existenz in Frage; aber Colbert war auf diese Verluste gefaßt, die so lange anhalten würden, bis der Handel in aller Form eingerichtet sei. Unter Führung zweier höchst befähigter, aber in stetem Streit miteinander begriffener Männer, Caron und Marcara, gelang das wirklich nach und nach. In Surate gewährte ein Ferman des Großmoguls den Franzosen ausnehmende Begünstigungen; in Mansulipatam erlangten sie größere Vorteile, als den Holländern bewilligt worden waren; sie dachten ihren Handel im Bunde mit den Portugiesen, die sich ihnen anschließen würden, bis nach China und Japan auszudehnen.
Eine nordische Kompagnie ward errichtet, hauptsächlich um an dem Handel der Ostsee direkten Anteil zu nehmen. In den Pächtern der Güter der Königin Christine, zu denen Gotland gehörte, einem Stockholmer Handelshause, regte sich die Idee, diese Insel wieder zum Mittelpunkt des baltischen Handels zu machen. Den Franzosen sollte erspart bleiben, nach Danzig, Riga, Narwa zu fahren; alle Waren des Nordostens sollten sich in Gotland sammeln und hier die französischen oder die englischen Handelsleute erwarten. Denn der Vermittlung der Holländer wollte man sich von allen Seiten entledigen.227
Wie in Amerika, Ostindien, dem Norden, so stießen die Franzosen auch auf dem Mittelmeer mit den Holländern zusammen, welche mit den Küsten des osmanischen Reiches einen sehr vorteilhaften Verkehr trieben, den vorteilhaftesten nach Smyrna, und eben in Livorno oder Portolongone eine kommerzielle Ansiedlung zu gründen vorhatten. Colbert setzte sich ihnen mit einer levantinischen Kompagnie entgegen, die von allen seinen Handelsgesellschaften den besten Fortgang gewann.
Die früheren Handelsmächte waren dadurch emporgekommen, daß sie den allgemeinen Verkehr von einem Hafen, einer Küste, einem Lande zu den andern vermittelten; wie die italienischen Republiken, so die deutsche Hanse. Holland übertraf, absorbierte sie alle, indem es die Vermittlung zwischen den verschiedenen Weltteilen übernahm. Der Sinn der Franzosen war es nicht und konnte es nicht sein, hierin mit ihnen zu wetteifern, die Waren einer Zone nach der andern zu tragen. Sie wollten vor allem sich selbst von dem Zwischenhandel ihrer Nachbarn befreien, den Gewinn, der diesen aus dem Verkehr mit französischen Produkten erwuchs, für sich selbst ziehen; in der Entwicklung der kommerziellen Kräfte sahen sie auch jetzt einen Hebel ihrer politischen Macht.
Mit gewaltiger Hand griff der Staat in die Bahnen des freien Handels ein, um die kommerziellen Kräfte des Landes von der Herrschaft zu befreien, welche eine andre Nation, die dadurch politisch mächtig wurde, über sie ausübte, und denselben eine konzentrische Richtung nach dem Innern des Reiches zu verleihen. Wer wollte eine allgemein gültige Theorie der Handelspolitik daran knüpfen? Aber es war ein Standpunkt, welcher die Welt Jahrhunderte lang beherrschen sollte, großartig ergriffen und behauptet.
Ein Denkmal der umfassenden Bestrebungen dieser Zeit ist der Kanal des Südens.228 Der bloße Gedanke, einfach in einem einfachen Wort ausgesprochen, das Mittelmeer mit dem atlantischen Ozean durch einen Kanal zu verbinden, war fähig, den Ehrgeiz des Genius und der Tatkraft anzuregen. Man bildete sich wohl ein, daß in Zukunft große Seeschiffe ihren Weg von Osten nach Westen durch Languedoc nehmen, die Beschwerlichkeiten der Meerenge von Gibraltar den Seefahrern erspart werden würden. Ein Beamter italienischer Herkunft, Namens Riquet, der sich von den Senkungen des schwarzen Gebirges und der Pyrenäen die genaueste Kunde verschaffte, unaufhörlich, wo er sich auch befinden mochte, über die Ausführung brütend, kam endlich, es soll in St. Germain gewesen sein, auf den entscheidenden Gedanken, in welchem die Möglichkeit lag das Werk zu vollziehen. Die Provinzialstände von Languedoc, unfähig von dem Unausführbaren, das ihnen vorher vorgeschlagen worden, das Ausführbare und Echte zu unterscheiden, wiesen seine Vorschläge von sich. Colbert dagegen erkannte ihren Wert, schaffte das erforderliche Geld herbei und stellte die Privatinteressen des Unternehmers sicher, der nun mit doppeltem Eifer an die Arbeit ging. Wie andre große Dinge gelang auch dieses durch die einfachsten Mittel. Die benachbarten Bäche wurden nach der Stelle geleitet, von welcher die Gewässer nach beiden Seiten ihren Lauf nehmen und den Kanal nähren. Riquet ward von einem jungen Mann unterstützt, der die Kanalbauten von Haarlem zu seinem besonderen Studium gemacht hatte. Die überschwenglichen Erwartungen, die man an das Unternehmen knüpfte, wurden nicht erfüllt, aber für den inneren Verkehr von Frankreich, namentlich der benachbarten ackerbauenden und industriellen Distrikte, für das Leben von Languedoc ist das Werk von unschätzbarem Wert. Dem König wurde es zur größten Ehre gerechnet: von den Römern sei nicht einmal daran gedacht, von Karl dem Großen und denjenigen der Vorweser des Königs, die er am höchsten anschlug, Franz I. und Heinrich IV., beabsichtigt, sei es nun unter seinen Auspizien zustande gebracht worden. »Der König sprach,« sagt Corneille, »die Berge wichen«. Er erschien als der Herr von Land und Meer.
Wenn es wahr ist, daß Colbert durch seine Ratschläge zum Kriege gegen Holland angetrieben hat, so hat er dafür schwer gebüßt. Er könnte es nur in der Hoffnung getan haben, die französische Marine vollends von dem Übergewicht der Holländer zu befreien, und wäre der Friede gleich nach den ersten großen Schlägen geschlossen worden, so würde ohne Zweifel sein finanzielles System gefördert worden sein. Aber daß der Krieg so viele Jahre dauerte