Leopold von Ranke: Historiografische Werke. Leopold von Ranke
Читать онлайн книгу.Interesse des Königs unbedingt anschlossen.
In dem allgemeinen Wahlkampf fiel jedoch die Entscheidung anders aus. Überall wurden die sogenannten Patrioten, die Männer der Opposition, vorgezogen. Man zählte auch diesmal eine große Anzahl neuer Mitglieder, deren Meinungen man in der Hauptstadt nicht kannte, von denen man aber soviel hörte, daß sie meistens eifrige Gegner der Auflagen seien. Im allgemeinen kann man sagen, daß die Whigs, welche die Regierung vertraten, in der Minderheit blieben. Als der König Anfang Dezember 1698 aus Holland zurückkam, hätte er die Sitzung lieber noch eine Weile aufgeschoben, um vorbereitende Unterhandlungen zu pflegen; aber die leitenden Whigs, namentlich die, welche selbst Mitglieder des Unterhauses waren, hielten es für besser, ohne weiteren Aufschub zu versuchen, was sich mit diesem Hause erreichen lasse. Die erste vorläufige Verhandlung bestärkte sie in ihren Erwartungen; Thomas Littleton, einer der Ihren, wurde zum Sprecher gewählt.
Die Thronrede hatte diesmal der Lordkanzler Somers verfaßt, und zwar mit der Rücksicht, daß darin zwar der Wunsch des Königs ausgesprochen, aber alles vermieden werden sollte, was das Selbstgefühl des Parlamentes verletzen könne. Der König spricht darin nicht von der Landmacht im allgemeinen, sondern nur von ihrer Stärke für das laufende Jahr; er erinnert an die Bedeutung derselben für das Gefühl der Sicherheit des Landes, von dem alles andre, selbst Handel und Verkehr abhänge, und für die Erhaltung des Einflusses von England auf die europäischen Angelegenheiten, aber er stellt seine Meinung hierüber nicht wieder voran,315 er überläßt es den Erwägungen des Parlaments, was es selbst für diesen Zweck nötig finden würde. Aber wie vergeblich ist es doch, durch Annäherungen in der Form Versammlungen gewinnen zu wollen, die einmal ihre Stellung genommen haben. Das neue Parlament setzte dem König und seinen Ministern einen ebenso hartnäckigen Widerstand entgegen wie das alte. »So viel ist gewiß,« sagt der brandenburgische Berichterstatter,316 »der bloße Name einer Armee ist den Engländern verhaßt. Männer, die nicht den mindesten Anflug von Jakobitismus317 haben, sondern sich der Regierung anschließen, verlassen sie doch, sobald von der Armee die Rede ist. Sie hören gern davon sprechen, daß England einen großen Einfluß auf das Ausland ausübe, allein die Idee von ihrer Freiheit und die geringe Kenntnis von auswärtigen Angelegenheiten bewirken doch, daß sie keine Armee im Lande dulden wollen.«
War das nicht die alte Streitfrage zwischen dem Parlament der Rebellion und Karl I., nur auf einer andern Stufe? Von der feudalistischen Gesinnung der Kavaliere, die der damaligen bewaffneten Macht ihren Charakter gab, war freilich nicht mehr die Rede. Aber das Kriegsheer des Protektorats hatte durch seine gewaltsamen Eingriffe selbst den Namen einer Armee verhaßt gemacht; ihre Auflösung war eine Bedingung der Herstellung des Königtums. Auch das Parlament der Restauration wollte von keiner starken bewaffneten Macht hören; unter den zusammenwirkenden Umständen der Zeit hatte man Karl II. genötigt, sie auf eine sehr geringe Zahl zurückzubringen. Wenn Jakob II. sie vermehrt und zu seinen der Verfassung des Landes entgegenlaufenden Absichten hatte brauchen wollen, so hatte das den Widerwillen des Parlaments und der Bevölkerung gegen die bewaffnete Macht verdoppelt. Nur die unbedingte Notwendigkeit, den gewaltigen Feind318 im Kriege zu bestehen, hatte die unaufhörlich sich regende Opposition beschwichtigen können. Aber nach geschlossenem Frieden erwachte sie mit aller Macht, und verstärkt durch die Antipathie gegen die Fremden, die in derselben eine große Rolle spielten. Nachdem der König und die Armee die parlamentarische Verfassung geschützt und ihre Fortentwicklung möglich gemacht hatten, ließ das Parlament eben infolgedessen seiner Antipathie gegen die Armee und deren Zusammenhang mit der Krone freien Lauf. Der Beschluß ward gefaßt, daß alle Landtruppen in England, ausgenommen 7000 Mann, abgezahlt und entlassen werden, die Truppen, die man behalte, nur aus eingebornen Engländern bestehen sollten. Für Irland wurden 12000 Mann genehmigt; auch diese aber sollten nur aus gebornen Untertanen des Königs bestehen und von Irland selbst besoldet werden.319
Man sagte zwar in England, das werde mit Unrecht als ein Beweis von üblem Willen der Nation gegen den König angesehen; es sei nur ein Beweis von der Meinung der Landedelleute, daß die öffentliche Freiheit mit einer Armee nicht verträglich sei; aber eben in dieser Meinung lag der Gegensatz der zwischen ihnen und dem König bestand. Wilhelm mußte fürchten, daß seine Autorität bei Freund und Feind auf dem Kontinent geschmälert werden würde; seine ganze Stellung wurde dadurch erschüttert und zweifelhaft. Sie beruhte auf der Kombination der europäischen und der englischen Interessen; in der Aufrechthaltung einer aus verschiedenen Elementen zusammengesetzten Armee im Sold von England hatte sie ihren Ausdruck. Jetzt aber erhob sich der ökonomische und ausschließende Familiengeist Alt-Englands gegen allen Anteil Fremder an den Erträgen und dem Dienste des Landes; man schloß davon selbst das übrige Britannien aus. Wilhelm, der sich nach einem modernen Ausdruck als Kriegsherr betrachtete, hegte die lebendigsten Sympathien für die braven Männer, welche seine Schlachten mit ihm geschlagen und den Frieden, dessen man genoß, den unabhängigen Zustand, in dem sich England selbst befand, mit ihrem Blut errungen hatten: die tapferen Generale und Offiziere aus aller Welt, die keinen andern Lebensunterhalt besaßen, die holländischen Garden, auf deren Treue er unbedingt zählen konnte, die französischen Refugiés, ohne welche seine Unternehmung320 schwerlich zustande gekommen wäre. Alle diese sollte er missen und an ihrem ferneren Ergehen keinen Anteil nehmen.
Das geschah ihm aber von einem soeben gewählten Parlament, das die unmittelbare Meinung des Landes ausdrückte, unter whiggistischen Ministern, welche, wenn sie auch nicht in alle seine Unterhandlungen eingeweiht waren,321 doch die Bedeutung seiner europäischen Stellung hinreichend kannten, um sie zu verteidigen. Am Hofe war man der Meinung, daß sie die Absichten des Königs in dieser Sache so gut hätten durchführen können wie bei der Sprecherwahl, wenn es anders ihr Ernst gewesen wäre; aber statt danach zu trachten, hätten sie dieselbe vielmehr geradezu fallen lassen. Der König machte kein Hehl daraus, daß das auch seine Meinung sei. Und es ist ohne Zweifel etwas Wahres daran. Die Whigs hatten seine eigentliche Absicht gar nicht vorzutragen, geschweige denn zu verfechten gewagt; sie wollten nicht mit einer Mehrheit, in welcher sie Angriffe besorgten, geradezu zerfallen. Und sollten sie überhaupt den Wunsch des Königs in seinem ganzen Umfang geteilt haben? Sie waren zu sehr Engländer, als daß sie die fremden Truppen, die er hielt, gern gesehen hätten. Sie dachten von vornherein auf eine Vermittlung, den Ansprüchen beider Teile zu genügen. Aber auch diese verfochten sie dann, da sie ja der königlichen Beistimmung für ihren Antrag nicht einmal sicher waren, schwach und in weichender Bewegung.
Die große Frage in dem Stadium, in welchem die Ausführung der konstitutionellen Verfassung322 damals angekommen war, war es überhaupt, ob der König noch Minister finden würde, denen daran liege, seinen persönlichen Willen den Parteistandpunkten oder allgemein vorwaltenden Stimmungen gegenüber zu behaupten und durchzusetzen, oder ob die höchste Gewalt nur eben der Ausdruck der aus den Gegensätzen der Meinungen hervorgehenden parlamentarischen Mehrheit sein sollte. Wilhelm III. war sich bewußt, daß er die Freiheiten und Rechte der Nation niemals gefährden wolle. Er hatte ein Gefühl von dem Verdienst, das er und seine Armee sich um dieselben erworben. Daß die Nation, nur, wenn sie wohlbewaffnet war, ein Gewicht in den Ratschlägen von Europa ausüben, daß sie sonst ihre Sicherheit nur in der Nachgiebigkeit gegen Frankreich finden werde, lag auf der Hand; seine eigene Autorität in der Welt hing davon ab. Der sonst so ruhige Mann geriet in eine Aufwallung, die er nicht bergen konnte. »Das Verhalten des Unterhauses«, schreibt er an Heinsius,323 »ist mir so widerwärtig, daß ich mich mit nichts anderm beschäftigen kann; ich sehe voraus, daß ich einen extremen Entschluß werde fassen müssen.« »Die Sachen im Parlament stehen so verzweifelt, daß ich etwas werde tun müssen, was großes