Leopold von Ranke: Historiografische Werke. Leopold von Ranke
Читать онлайн книгу.rel="nofollow" href="#ulink_b7a2475f-2b35-5855-9250-490eab865583">337 worin es von dem persischen Könige heißt, er bekümmere sich ebensoviel um den Landbau wie um den Krieg, bereise die verschiedenen Landschaften seines Reiches oder lasse sie besuchen; nach dem Zustand, worin er sie finde, messe er Belohnung und Strafen ab. So lebte und webte auch er in dieser doppelten Richtung der Tätigkeit. Alle Jahre finden mir ihn von einer Provinz zur andern reisen. Was ihn dabei am meisten beschäftigt, ist die Verbesserung der Domänen, mit der er systematisch vorgeht, nicht in allen Provinzen zugleich, sondern in einer nach der andern. Er hat dabei, wie seine Aufzeichnungen zeigen, auch allenthalben die lokalen Interessen im Auge: in den östlichen Provinzen den Mangel an kleinen Städten, in Brandenburg die Regulierung des Forstwesens, namentlich den Verkauf des Holzes an die Holländer und Hamburger, um nicht etwa durch die Beamten selbst übervorteilt zu werden, im Magdeburgischen den Vertrieb des Salzes, die Erhöhung der Rente von den Kohlenbergwerken. Man sieht überall den sorgsamen und gebieterischen Hausherrn, der seine Erträge erhöhen will, ohne jedoch, wie er versichert, die Untertanen zu drücken, die er vielmehr in bessern Stand zu bringen sucht.
Den größten Wert legte er auf die Förderung der Manufaktur. Die allgemeine Überzeugung in Deutschland gegen Ende des 17. und im Anfang des 18. Jahrhunderts ging dahin, daß die tief herabgekommene deutsche Industrie ohne strenge Maßregeln vollends zugrunde gehen müsse. In den gelesensten Schriften klagt man, daß das Übergewicht der französischen Manufaktur der deutschen Nation die innerste Kraft des Lebens, d. h. die der Hervorbringung, entziehe, das Blut aus ihren Adern sauge. In der Mark Brandenburg sah man die traurigsten Beweise des Verfalls vor Augen. Die Tuche der Priegnitz und der Altmark, die bisher in Hamburg gefärbt und dann nach dem Norden verführt worden, fanden dort keinen Absatz mehr, weil sie den gestiegenen Ansprüchen nicht mehr genügten. Wie sollten sie die englische Konkurrenz auf den fremden Märkten aushalten, da sie ihr auf den einheimischen unterlagen? Von hohem Werte in dieser Hinsicht war die Einwanderung der französischen Flüchtlinge. Was bisher aus England oder aus Frankreich mit großen Kosten bezogen worden, wurde nun im eignen Lande hervorgebracht, sogar mit dem Erfolg, daß es wieder ausgeführt wurde. Friedrich Wilhelm war unendlich glücklich, daß das Geld im Lande bleibe; er sah die Manufakturen, nach dem Ausdruck des Paters Vota338 wie ein ergiebiges Bergwerk an.
Sehr wahr, daß die Theorie, der er folgte, mit einer Überschätzung des baren Geldes zusammenhingt;339 allein abgesehen hiervon war es doch von der dringendsten Notwendigkeit, den gewerbtreibenden Teil der Bevölkerung dem Verderben zu entreißen, in den ersten Bedürfnissen des Lebens nicht ganz vom Ausland abhängig zu werden. Wer wollte es tadeln, daß man der fremden Arbeit eigenen Fleiß entgegensetzte und das Unentbehrliche selbst hervorzubringen suchte. Die deutsche Nation durfte die gewerbliche Tätigkeit nicht aufgeben, welche in früheren Jahrhunderten einen so wichtigen Bestandteil des städtischen Lebens ausgemacht hatte.
An seiner Stelle fand nun König Friedrich Wilhelm in dem Bedürfnis der Armee ein Mittel, die Manufaktur zu heben, indem er ihr eine umfassende Beschäftigung anwies. Er wollte, daß die Bekleidung der Armee ganz durch einheimischen Stoff beschafft würde. Einer der früheren Minister, der bei dem neuen König übrigens wenig in Gunst stand, erwarb sich doch das Verdienst, den Gedanken ausführbar zu machen. Noch war die einheimische Manufaktur gerade in diesem Punkt sehr mangelhaft. Jener Minister, der Generalempfänger Kraut, zog geschicktere Arbeiter heran und wußte den Preis der Wolle mit dem Gelde, das man aufzuwenden hatte, in Verhältnis zu bringen. Nach einiger Zeit gelang es zugleich feine und wohlfeine Tuche zu erzielen, welche nicht nur die ausländischen verdrängten, sondern auch selber Eingang in fremde Länder fanden. Bald zeigte sich mehr ein Mangel als ein Überfluß an Wolle; das Lagerhaus, so nannte man das Institut, beschäftigte Tausende von fleißigen Händen in Berlin und im ganzen Lande.
Friedrich Wilhelm hielt darüber, daß der Soldat allezeit in sauberer Kleidung einherging, jeder immer mit zwei Monturen versehen war. Bald aber legte er auch der Ritterschaft und den Untertanen als Pflicht auf, seinem und seiner Armee Beispiel hierin zu folgen, sich sowohl zur Bekleidung wie zu jedem andern Behuf nur einheimischer Wollwaren zu bedienen.340 Und nicht allein die fremden Produkte aus diesem Stoff verbot er, sondern auch die baumwollenen, denen das Land nichts Gleiches entgegenzusetzen hatte. Im November 1721 hat er verfügt, daß binnen acht Monaten niemand, weder vom männlichem noch von weiblichem Geschlecht, von hohem oder niederem Stande, auf dem Lande oder in den Städten, denn so pflegten seine Edikte die verschiedenen Kategorien der Beteiligten aufzuzählen, feine oder grobe Kattune tragen solle, bei einhundert Reichstaler fiskalischer Strafe. Er kannte die Mittel sich Gehorsam zu verschaffen, und sieben Jahre darauf versichert man uns, daß niemand mehr an die fremden Waren denke, überall seien sie durch wollene Landzeuge und Leinengewebe ersetzt. Das wäre aber unmöglich gewesen, wenn die Ausfuhr der Wolle, wobei dem einheimischen Gewerbe nur der schlechteste Teil übrig blieb, fortgedauert hätte. Die sogenannte Wollpragmatika des Königs341 und viele erläuternde Edikte verbieten sie auf das strengste, suchen sie unmöglich zu machen. Man traf Einrichtungen, um den Verkauf der gefallenen Wolle bei der Akzise zu kontrollieren. Es konnte nicht an lebhaften Beschwerden fehlen; der König erwiderte, in Staatsangelegenheiten gehe das Heil des Ganzen dem Nutzen des einzelnen allemal vor.
Um aber nicht nach soviel empfindlichen Beschränkungen am Ende doch mit schlechter Arbeit heimgesucht zu werden, ordnete er eine scharfe Aufsicht über die Gewerbe an.342 Den Tuchmachern ward vorgeschrieben, wie die Wolle zu säubern, nach ihrer Beschaffenheit zu sondern, geschmeidig zu machen, zu kämmen sei, wieviel Stein zu jeder Art von Zeug verwandt werden müssen, nicht anders als wie einst Colbert den französischen Gewerken die ausführlichsten technischen Vorschriften gab.343
Auch die preußischen Schaumeister schwuren, die Tücher, wenn sie vom Wirkstuhl, aus der Walke und aus der Färbe kommen, genau zu prüfen, die vorkommenden Mängel zu gebührender Bestrafung anzuzeigen. Dem Gildebrief der Garnweber ward eine Tabelle beigegeben, aus der ein jeder sehen könne, wieviel Ellen Linnen er von seinem Garn zu fordern habe. In den Jahren 1734-36 erhielten 63 Gewerke neue Gildebriefe, um allen eingerissenen Mißbrauchen zu steuern und jedem sein besonderes Gebiet anzuweisen. Auch die fünf Handwerke, die man auf dem Lande duldete, wurden durch beschränkende Gesetze an die städtischen Innungen gebunden. In den Städten aber untersuchte man nach der Zahl der Einwohner und der Summe des Verbrauches, wieviel Handwerker etwa in dem einen oder andern Zweige noch fehlen und daselbst ihre Nahrung finden möchten. Ausländern, welche sich dazu melden würden, bot man nicht unansehnliche Begünstigungen dar; Einheimische ließ man nur dann zu, wenn sie nachwiesen, daß sie in dem Ort ihres Aufenthaltes nicht zu bestehen vermöchten. Man organisierte gleichsam die Arbeit vom monarchischen Standpunkt.
Und kein Zweifel, daß diese Bemühungen im allgemeinen erfreulichen Erfolg hatten. Das Gewerbe selbst konnte in kurzem die Konkurrenz der Nachbarn aushalten; die blauen Tuche von Berlin erwarben sich einen gewissen Ruf in Europa. Ein wichtigerer Vorteil ist es, daß die städtische Bevölkerung in der Mark wieder an Bestand gewann. Nach den vorliegenden, freilich unvollständigen Listen kann man sie in den Jahren 1713 und 14 wohl nicht höher als 100 000 anschlagen, wovon gegen die Hälfte auf Berlin kommt; im Jahre 1723, von dem wir genau unterrichtet sind, zählte man in den märkischen Städten 137945, im Jahre 1738 206520 Einwohner. Die Bevölkerung war in diesen späteren Jahren um ein Drittel, in der ganzen Regierungszeit wahrscheinlich um die Hälfte gestiegen. In der Hauptstadt wuchs die Einwohnerzahl auf 80 000 an, ungerechnet die Garnison, welche 16000 Mann betrug. Es leuchtet ein, daß der gewerbtreibende Stand hierdurch eigentlich aufs neue begründet worden ist. Von der Armee darf man wohl sagen, daß ihr Bestehen diesen allmählichen Fortgang nicht nur nicht behindert, sondern gefördert hat. Ohne die Garnisonen wäre an den Ertrag der Verbrauchssteuer, auf dem das ganze Finanzsystem beruhte, nicht zu denken gewesen. Friedrich