"Dies Kind soll leben". Helene Holzman
Читать онлайн книгу.ein» Volljude«. Helene Holzman war als Kind eines jüdischen Vaters und einer nicht-jüdischen Mutter» halbjüdisch«– wurde aber von den deutschen und litauischen Behörden nicht als» jüdisch«, sondern als» deutsch «wahrgenommen, zumal sie, ebenso wie ihre beiden Töchter, evangelisch getauft war.
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Die Holzmans erwarben die litauische Staatsangehörigkeit im Jahre 1936.
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Helene Holzman greift hier ironisch eine Parole auf, die ursprünglich von dem sudetendeutschen Politiker Konrad Henlein während der Sudetenkrise 1938 geprägt und dann als geflügeltes Wort auch auf ähnliche Zusammenhänge (z.B. den Konflikt um Danzig) übertragen wurde.
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Eine vermutlich aus Rücksicht auf potentielle sowjetische Mitleser allzu freundliche Formulierung: Nach der Besetzung Litauens durch die Rote Armee am 15. Juni 1940 wurde die Buchhandlung Max Holzmans geschlossen. Die Holzmans standen als» Bourgeois «auf den sowjetischen Listen für die Deportationen nach Sibirien, die noch wenige Tage vor dem Einmarsch der Deutschen begannen.
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Edwin Geist und seine Frau Lyda waren mit den Holzmans gut befreundet. Ihrer Geschichte ist, wie man lesen wird, ein wesentlicher Teil der Aufzeichnungen Helene Holzmans gewidmet. Der einschlägige Eintrag im» Lexikon der Juden in der Musik «von Theo Stengel in Verbindung mit Herbert Gerigk (Berlin 1943, Sp. 88) lautet:»Geist, Edwin Ernst Moritz. (H), *Berlin 31.7.1902, Komp, MSchr, KM – Berlin. «Die Abkürzungen bedeuten: H = Halbjude, Komp = Komponist, MSchr = Musikschriftsteller, KM = Kapellmeister.
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Der 24. Juni 1941. Am Abend dieses Tages wurde Kaunas von der deutschen Wehrmacht eingenommen.
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Diese litauischen Partisanen kämpften gegen die Rotarmisten und bildeten zugleich die wichtigste Hilfstruppe der deutschen Besatzungsmacht bei den Mordaktionen gegen die jüdische Bevölkerung. Schon vor dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht organisierten die Partisanen erste Pogrome.
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Zu dem Kreis der» Tolstoianer«, dem dieser Freund wie auch Maries Freund Viktor, der Sohn der Augenärztin Elena Kutorga, angehörte, vgl. auch S. 30.
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Vgl. Anm. 2.
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Marie Holzman hatte sich während des» Sowjetjahrs«(Juni 1940 bis Juni 1941) beim» Komsomol«, der kommunistischen Jugendorganisation, engagiert.
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Im Manuskript irrtümlich:»23. Juni«. Siehe Anm. 12.
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Die Laisves Aleja (Freiheits-Allee) war die Haupt- und Flanierstraße von Kaunas. Im Haus Nr. 48 hatte sich zuletzt Max Holzmans Buchhandlung» Pribačis «befunden.
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Wörtlich:»Der litauische Hof«, eine halbstaatliche Handelsgenossenschaft für Lebensmittel wie Obst, Gemüse und Honig, in deren Büro Marie eine Zeitlang gearbeitet hatte.
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Hans Multscher (ca. 1400–1467), Maler und Bildhauer. Sein malerisches Hauptwerk ist der Wurzacher» Passionsaltar«(1447) mit der Kreuztragung Christi, heute in Berlin.
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General Statys Raštikis, vor dem Krieg Generalstabschef der litauischen Armee, war in der im Juli 1941 gebildeten, von der deutschen Besatzungsmacht allerdings weitgehend ignorierten litauischen Regierung Verteidigungsminister.
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Am Rand der Seite ein wohl nachträglicher Zusatz, der sich nicht zuordnen läßt, möglicherweise etwas, das Moschinskis Helene Holzman damals erzählt hat:
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Helene Holzman hat die Stelle für die Zahl der Opfer freigelassen, wohl um sie später nachzutragen. Diesem Massaker, bei dem zahlreiche deutsche Uniformierte zugegen waren und fotografierten, fielen am 27. Juni 1941 etwa sechzig Juden zum Opfer. Der Garagenhof der» Lietukis«-Genossenschaft lag nicht an der Bahnhofstraße, wie Helene Holzman schreibt, sondern am Vytautas-Prospekt, der zum Bahnhof führt. In der Zeit vor der sowjetischen Besetzung Litauens hatte sich hier die Shell-Tankstelle befunden.
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Am 10. Juli 1941 gaben der litauische Militärkommandeur von Kaunas, Jurgis Bobelis, und der Bürgermeister von Kaunas, Kazys Palčiauskas, den Erlaß heraus, daß alle Juden spätestens bis zum 15. August in das Ghetto Vilijampole umzuziehen hätten.
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In Kaunas lebten zum Zeitpunkt des deutschen Einmarschs etwa 40000 Juden. Etwa 15 Prozent der ca. 30000 Personen, die noch im Juni 1941 von den Sowjets aus Litauen nach Sibirien deportiert wurden, waren Juden. Anfangs lebten im Ghetto Vilijampole etwa 30000 Menschen.
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Vgl. Anm. 19.
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Viktor Kutorga.
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«Wehrlos «im Sinne von» waffenlos«,»unbewaffnet«.
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Vgl. Anm. 5 über den Begriff» Volksdeutsche«.
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Fritz Jordan, Hauptsturmführer der SA, Referent für Judenfragen bei der Zivilverwaltung in Kaunas.
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Noch vor der Verordnung vom 31. Juli 1941, der zufolge alle Juden vorn und auf dem Rücken einen gelben Stern tragen mußten, hatte der deutsche Stadtkommissar von Kaunas, Hans Cramer, am 28. Juli 1941 bestimmt:»Der jüdischen Bevölkerung wird das Betreten der Gehsteige untersagt. Die Juden haben den rechtsseitigen Rand der Fahrstraße einzuhalten und hintereinander zu gehen.«(»Hidden History of the Kovno Ghetto«, S. 49)
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Als letzter Termin für den Umzug ins Ghetto war der 15. August 1941 festgesetzt worden.
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Robert Stender, erster Geiger an der Kaunaer Oper. Er wurde bei der sogenannten» Intellektuellen-Aktion«(vgl. S. 66f.) ermordet.
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Wahrscheinlich Franz Vocelka, von dem noch die Rede sein wird. Er hat seine Frau später wieder aus dem Ghetto geholt.
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Helene Holzman hat die folgenden beiden Briefe Maries in ihren Aufzeichnungen abgeschrieben. Die Originale sind nicht erhalten.
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Über den Pelikan hieß es schon in der Antike, er würde sich die Brust aufreißen, um mit dem eigenen Blut seine Kinder zu ernähren.
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Gretes und Ludmillas Freundin Bella Feigelowitsch, genannt» Beka«, war mit ihrer Familie am Ende des Sowjetjahres nach Sibirien deportiert worden.
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Zusatz am Seitenrand:
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Im Sinne von» einschüchtern«.
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Im Sinne von» prahlten«.
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Russische Zigaretten mit einem langen Mundstück aus Pappe.
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Es gab einen relativ humanen deutschen Offizier, Oberst Erich Just, der als Beauftragter des Wehrmachtbefehlshabers Ostland im Baltikum war. Möglicherweise ist aber doch Heinz Jost gemeint, ein allerdings nicht durch seine Milde bekannt gewordener Generalmajor der Polizei. Er war ab März 1942 mit der Wahrung der Geschäfte des Befehlshabers der Sicherheitspolizei und des SD und des Chefs der Einsatzgruppe A beauftragt. Avraham Tory (S. 251) berichtet, der Ältestenrat des Kaunaer Ghettos habe sich bemüht, mit Jost in Kontakt zu kommen, da er vor dem Krieg mit einigen Juden, die nun im Ghetto lebten, befreundet gewesen sei. Offenbar hoffte man, in ihm einen Fürsprecher zu finden.
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Vgl. Anm. 31, S. 44.
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Die sogenannte» Intellektuellen-Aktion«. Die Erschießungen wurden im IV. Fort ausgeführt. Die Zahl 534 wird in vielen Berichten genannt. Nach dem sog.»Jäger-Bericht «vom 1. Dezember 1941 fielen dieser Aktion sogar 711 Juden zum Opfer.
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Marijonas