Einstellungen erkennen, beeinflussen und nachhaltig verändern. Jens-Uwe Martens

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Einstellungen erkennen, beeinflussen und nachhaltig verändern - Jens-Uwe  Martens


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die zerstreute seine Frau. Das sei ganz normal und würde sehr oft vorkommen. Das würde anderen Paaren auch passieren und die würden auch einen Weg finden, damit umzugehen.

      Der Mann wusste nicht, was das heißen sollte, „einen Weg finden“, aber seine Sehnsucht nach körperlichem Kontakt nahm stetig zu. Auf seinen Geschäftsreisen lernte er immer wieder auch attraktive Frauen kennen, aber er wollte keine Beziehung eingehen, er hatte bei Freunden erlebt, wozu das führen kann, und daher widerstand er immer wieder der Versuchung.

      Aber eines Tages erreichte ihn über das Internet ein Angebot. Er las von Frauen, die auch keine Möglichkeit hatten, ihre Bedürfnisse innerhalb einer Partnerschaft auszuleben und daher Kontakt zu Männern suchten. Sie wünschten sich nur ab und zu ein wenig Körperkontakt, ohne eine Beziehung eingehen zu wollen.

      „Das“, so dachte Erikas Mann, „ist vielleicht der Weg, von dem meine Frau gesprochen hat“. So lernte er über das Internet mehrere Frauen kennen, mit denen er einen schönen Abend, ein paar schöne Stunden verbringen konnte. Er benahm sich diesen Frauen gegenüber wie ein Gentleman: Er brachte Blumen mit oder bedankte sich für die schönen Stunden mit einer E-Mail. Aber er liebte seine Frau und seine Familie nach wie vor und hatte daher auch kein schlechtes Gewissen. Er nahm ja seiner Frau nichts weg, und es fiel ihm leichter, sie nicht zu bedrängen.

      Eines Tages fragte ihn Erika, was er denn tun würde. Sie wären jetzt schon so lange nicht mehr körperlich zusammen gewesen, und sie wisse doch, dass er darauf nur schwer verzichten könne. Der Mann überlegte, ob er offen sein sollte. Seine Frau war doch tolerant, und er wollte keine Geheimnisse vor ihr haben, die er doch liebte. Er erzählte ihr also, dass er Frauen gefunden habe, mit denen er sich ab und zu traf, die aber weiter nichts von ihm wollten. Die Antwort seiner Frau war so, wie er sie erwartet hatte: „Das habe ich mir schon gedacht“. Für ihn war die Situation damit geklärt.

      Als der Mann aber das nächste Mal auf Reisen ging, wollte sie es doch genauer wissen. Sie recherchierte in den Unterlagen ihres Mannes, verschaffte sich Zugang zu seinem Computer und öffnete auch die Schränke, die ihr Mann immer verschlossen hielt – und sie wurde fündig. Ihr Mann hatte alle E-Mails aufgehoben und so konnte Erika lesen, wo er welche Frau getroffen hatte. Sie konnte erkennen, dass viele Treffen in sehr schönen Hotels stattgefunden haben, sie fand sogar Bilder von manchen Frauen, Briefe und E-Mails, mit denen sich ihr Mann für die Treffen bedankte.

      Jetzt hatte sie die Bestätigung: „Alle Männer sind Schweine und mein Mann ist keine Ausnahme. Das wird er bereuen. Ich werde mich rächen. Mich so zu betrügen!“

      Und sie machte ihm das Leben zur Hölle. Dass sie dabei ihr eigenes Leben auch zur Hölle machte und dass auch die Kinder einiges davon mitbekamen, nahm sie in Kauf. Schließlich hatte sie ja das moralische Recht auf ihrer Seite. Dass aus der Rache Hass wurde, und dass sie dieser Hass selbst zerstörte, waren ja nur Folgen der Untreue ihres Mannes. Dass er, nachdem sie ihn zur Rede gestellt hatte, den Kontakt zu all den Frauen eingestellt hatte, veränderte die Situation auch nicht. „Schließlich hat er mich jahrelang betrogen, und wie intensiv er das betrieben hat! So etwas kann man doch nicht vergessen! Kann ich ihm denn jetzt überhaupt noch glauben?“

      Letztlich wurden die Erwartungen all der Bekannten erfüllt, die das Familienglück als unnatürlich empfunden hatten, und auch die von Erika, die ihre Annahme bestätigen konnte, dass alle Männer gleich sind.

      Nicht immer ist es so offensichtlich wie in dem obigen Beispiel, aber wir richten es unbewusst oft so ein, dass unsere Erwartungen sowie unsere Befürchtungen tatsächlich eintreffen. Allerdings sind wir immer wieder davon überzeugt, dass wir nur Opfer der „Schlechtigkeit der Welt“ bzw. der „Ungerechtigkeit des Schicksals“ sind.

      Wir müssen uns also an den Gedanken gewöhnen, dass zu unserer bewussten Persönlichkeit auch ein nicht bewusster Teil gehört, der zu einem bedeutenden Anteil unser Verhalten und unser ganzes Wesen bestimmt. Im Allgemeinen sind die unbewussten Anteile unseres Selbst nichts Negatives, sondern können eine große Hilfe sein. Ihr Nutzen kann noch intensiviert werden, wenn wir eine positive Einstellung zu diesen Bereichen entwickeln, wenn wir uns über ihre Existenz freuen und sie wie einen Freund betrachten statt zu bekämpfen.

      Unser Unbewusstes kann uns also helfen oder behindern. Wir können es nutzen, wenn wir seine Gesetze beachten, wir können es aber nicht neutralisieren oder unwirksam machen. Auch wenn wir seine Existenz leugnen, wird es uns unser Leben lang begleiten und beeinflussen. Unsere Einstellung zum Unbewussten bestimmt wesentlich die Qualität unseres Daseins.

      Joseph Murphy (2002), der einen Bestseller über die Macht des Unterbewusstseins geschrieben hat, gebraucht einen Vergleich mit einem riesigen Ozeandampfer. Er setzt das Unterbewusste mit der Mannschaft gleich, die im Bauch des Schiffes arbeitet – die Heizer, die Techniker usw., die dafür sorgen, dass genügend Energie zur Fortbewegung des Schiffes vorhanden ist, und die Richtung des Schiffes nach den Befehlen des Kapitäns bestimmen. Der Kapitän braucht seine Mannschaft, und wenn er sie auch nicht bei allen Entscheidungen mitreden lassen kann, so ist es doch sinnvoll für ihn, auf sie zu hören und ihre Warnungen hinsichtlich Störungen ernstzunehmen. Er sollte sie dazu motivieren, ein harmonisches Team zu bilden und nicht nur „Dienst nach Vorschrift“ zu machen oder im Extremfall die Arbeit zu verweigern.

      In einem Experiment, das die Bedeutung der unbewussten Haltung bzw. Einstellung beweist, stammt von John Bargh (Spiegel vom 10.4.06): In einer High School nahmen afroamerikanische Schüler an einem Wissenstest teil. In einem Fragebogen hatten die Forscher zuvor um Auskunft über die eigene Person gebeten. Ein Teil der Schüler wurde nach ihrer Rasse gefragt, bei der anderen Hälfte fehlte diese Frage.

      Der Effekt war schockierend: Die Gruppe, die nach der Rasse gefragt wurde, erzielte im Wissenstest die eindeutig schlechteren Resultate – und das, obwohl alle bei einer Befragung angaben, an das Klischee von den „dümmeren Schwarzen“ nicht zu glauben. Das Bewusstmachen, dass man einer Rasse angehört, die von der Mehrheit der Menschen als weniger intelligent betrachtet wird, führte dazu, dass diese Afroamerikaner tatsächlich schlechtere Leistungen zustande brachten.

      Wir müssen also akzeptieren, dass wir Einstellungen haben, die uns nicht bewusst sind, die wir nicht wahrhaben wollen und die dennoch Einfluss auf unser Verhalten nehmen. Wenn wir daher unsere eigenen Einstellungen analysieren wollen, haben wir eine schwierige Aufgabe.

      Wie kann es überhaupt dazu kommen, dass wir Einstellungen haben, die uns nicht bewusst sind? In obigem Experiment wird dieser Mechanismus deutlich: Die Amerikaner mit dunkler Hautfarbe glaubten nicht, dass ihre Rassenzugehörigkeit etwas mit Intelligenz zu tun hat (Allgemeinwissen wird häufig als ein Merkmal von Intelligenz gesehen). Das widersprach ihrem Selbstbild. Die gewünschte positive Einstellung zu sich selbst und die Einstellung, dass Afroamerikaner weniger intelligent sind, widersprechen sich. Eine Möglichkeit, diesem Widerspruch zu entgehen, bestand für die Afroamerikaner darin, dass sie die negative Einstellung zur eigenen Abstammung verdrängten und ins Unbewusste abschoben. Das bedeutet aber nicht, dass sie von dort nicht wirksam wäre.

      Wie kann ich nun unbewusste Einstellungen in mir erkennen? Um Einstellungen ändern zu können, ist es wichtig, sie erst einmal zu identifizieren. Zum einen müssen wir damit rechnen, dass vor allem Einstellungen, die sich auf die eigene Person beziehen, unbewusst sind, denn solche Einstellungen führen häufig zu den erwähnten Widersprüchen. Der einzige Weg, seine eigenen wirksamen, aber unbewussten Einstellungen zu erkennen, besteht darin, sein eigenes Verhalten zu beobachten und zu analysieren.

      Schon Goethe hat erkannt, dass uns die Fehler, die wir selbst überwunden zu haben glaubten, bei anderen am meisten stören. Er nimmt an, dass wir diese Fehler nicht wirklich überwunden, sondern nur ins Unbewusste abgeschoben haben. Wenn wir jetzt jemandem begegnen, der uns daran erinnert, dass es auch in uns solche Fehler gibt, dann haben wir es schwerer, diesen Fehler im Unbewussten zu halten. Wir lehnen daher diesen Fehler bei anderen umso heftiger ab. Die Energie, die sich dabei zeigt, ist eigentlich die Energie, die wir mobilisieren, um die eigene negative Einstellung aus dem Bewusstsein fernzuhalten.

      Auch im Matthäus-Evangelium entdecken wir diesen Mechanismus: „Du sahst im Auge deines Bruders den Splitter, in deinem hast du den Balken nicht bemerkt.“ Immer dann also, wenn uns eine bestimmte Eigenschaft und damit die entsprechende Einstellung am anderen stört (der Splitter),


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