Erziehung zur Mannhaftigkeit. Gurlitt Ludwig

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Erziehung zur Mannhaftigkeit - Gurlitt Ludwig


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      »Mit Worten läßt sich wacker streiten.«

      (Goethe.)

      Vorauf muß ich schleunigst eine genaue Begriffsbestimmung der Mannhaftigkeit geben, sonst ergeht es mir, wie voriges Jahr (1905) in Hamburg auf dem Philologentag, wo ich über Pflege der Persönlichkeit sprach. Da fielen gleich ein Gymnasialdirektor und zwei Geheime – oder waren es gar Wirkliche Geheime? – über mich her und sagten: ich hätte meine Sache schlecht gemacht. Erst hätte ich eine Definition der Persönlichkeit geben müssen. Aha! – Was nämlich eine Persönlichkeit ist, das weiß in Deutschland kaum einer, da muß man, wie mir der Herr Direktor sagte, entweder in Leipzig bei Wundt, dem Professor der Philosophie, studiert oder doch dessen dicke Bücher gelesen haben. Da steht alles drin.

      Um diesen Herrn zufrieden zu stellen, würde ich also zu untersuchen haben:

      a) Was ist Erziehung? – Erziehung ist die bewußte Beeinflussung älterer Leute auf – – usw.

      b) Was ist Mannhaftigkeit? – Mannhaftigkeit ist – –

      c) Was heißt Erziehung zu etwas?

      usw. das Alphabet durch. Vielleicht gelänge es mir auch, aber ich fürchte, ich würde wenige Leser finden und nichts damit ausrichten.

      Vielleicht steht auch schon alles über die Mannhaftigkeit bei Wundt. Da mag man also nachschlagen. Ich kenne die Bücher dieses Herrn, der allen Ernstes ein sehr gelehrter und bedeutender Psychologe sein soll, noch nicht. Sie sind mir auch hier unerreichbar. Ich sitze nämlich in einem steirischen Bauernstübl, rings umgeben von hohem felsigen Gebirg. Im weiten Umkreis keine philosophischen Bücher. Schulferien sind vorbei, also auch nirgends ein Mensch, den ich um Rat fragen könnte. Nirgends, soweit ich die Stimme, die rufende, schicke, ein preußischer Gymnasialdirektor, nirgends ein Geheimer oder Wirklicher Geheimer Rat. Eher, glaube ich, könnte ich jetzt hier in den Bergen einen alten Gemsbock greifen.

      Und doch soll und will ich weiterleben, weiterdenken, weiterschreiben – sogar über Erziehung zur Mannhaftigkeit schreiben! Versuchen wir es also auf gut Glück, wenn's einmal sein muß, mit unserer eigenen Begriffsbestimmung!

      Erst muß ich bemerken, daß mir das Wort Mannhaftigkeit in der Regel zu eng gefaßt zu werden scheint, nämlich fast ausschließlich in Beziehung auf kriegerische und dem verwandte Betätigungen.

      Unser Thema hat, was man so zu nennen beliebt, ein »aktuelles Interesse«, denn es hat unseren Kaiser und folglich auch unsere Presse in letzter Zeit beschäftigt.

      Anläßlich eines vom Norddeutschen Regattenvereine diesen Sommer (1906) in Cuxhaven veranstalteten Festes sagte nämlich unser Kaiser wörtlich wie folgt:

      »Der Sport, den wir betreiben, hat auch einen ernsten Hintergrund, und das ist das zweite, was zu unserer Entwicklung notwendig ist, daß wir Männer, daß wir Charaktere haben, daß unsere Männer sich bewußt sind der Wichtigkeit der deutschen Männlichkeit. Der deutsche Manneswert kann sich bewähren auf verschiedenen Gebieten, im Heere, im Zivildienst, auf der Flotte, im Dienst in den Einzelstaaten, in den Gemeinden, aber am besten wird er ausgebildet, am besten und klarsten wird unseren Deutschen das Auge gemacht, wenn sie auf das Salzwasser kommen. Daher begrüße ich in jedem von Ihnen einen meiner Mitkämpfer und Mitarbeiter an dem Werke, unsere deutschen Männer zu erziehen, damit sie in der Lage sind, mit offenem Blick ihr ganzes Sinnen und Trachten in den Dienst des Vaterlandes zu stellen. Daß unserem Vaterlande eine solche schöne Entwicklung beschieden sein möge, daß unser Segelsport gewinnen und blühen möge, daß Sie ein fröhliches und lustiges Segeln auch in diesem Jahre haben mögen, darauf leere ich mein Glas. Es leben die Segler! Hurra, hurra, hurra!«

      Männer setzen Knaben voraus. Wenn wir Männer und Charaktere haben wollen, müssen wir sie heranbilden oder wenigstens wachsen lassen. Das ist also eine Sache der Erziehung. Da haben alle Eltern und Lehrer nicht bloß mitzusprechen, sondern auch mitzuhandeln. Das gibt uns ein Recht, die Ratschläge des Kaisers zu prüfen.

      Wir unterschätzen gewiß alle weder unser Heer, unsere Marine, noch den Segelsport, erkennen alle sehr wohl die stählende Kraft, die in dem Umgang und Kampfe mit dem Meere liegt, halten aber doch die Frage für berechtigt, ob sich denn wirklich der deutsche Manneswert nur im Heere, im Zivildienst, auf der Flotte, im Dienst der Einzelstaaten, in den Gemeinden bekunden und bewähren kann? Wenn es sich nur um diese Richtung und Ausbildung des Manneswertes handelte, so bedürfte es kaum erneuter und besonderer Anstrengungen. Das deutsche Volk hat sich vor dem Feinde, in Gefahr und Not noch stets bewährt. Auf der weiten Erde steht unser Volksheer in dem Rufe der Unbesieglichkeit. Die staunenswerten Kriegstaten von 1864, 66, 70–71 rechtfertigen dieses Urteil. Nicht minder ruhmeswert ist das, was seit drei Jahren unsere Truppen unter unsagbaren Schwierigkeiten des tropischen Klimas in Afrika leisten.

      Ultra posse nemo obligatur – lautet ein alter Rechtssatz. »Über sein Vermögen wird niemand verpflichtet«. Diese Männer aber überbieten fast das menschliche Vermögen und bestehen Heldentaten, während ihr Leib in der Dürre der Wüste schon zu Tode verschmachtet. Ihre Leistungen an Willenskraft sind noch nie übertroffen worden.

      Und wahrlich, nicht umsonst versiegt all das kostbare deutsche Blut, fließt all der saure Schweiß unserer Brüder in Afrikas Wüstensand: Mag der volle äußere Erfolg auch noch ausstehen: das eine lehren diese Helden uns und vor allem auch unsere Feinde, daß der Deutsche heute so gut wie jemals für seine Ehre und für seine Pflicht ohne Klagen mannhaft zu leben und zu sterben weiß.

      So werden ihre Taten uns den kostbaren Frieden in Europa bewahren helfen, der bedroht war, weil unsere Neider den Wahn verbreiteten, die deutsche Einheit und Kraft gehe in die Brüche, zumal im Heere, das man durch politische Verhetzung und durch moralischen Verfall des Offizierstandes wurmstichig und im innersten Kern krank glaubte.

      So schnell sinkt ein Volk von seiner Höhe nicht herab, so schnell läßt Art nicht von Art. Was ist denn geschehen im Bösen und Niedrigen, daß wir berechtigt wären, die Söhne der Sieger von Wörth und Sedan für minderwertig zu halten? Kein einziger ernster Vorfall in Heer und Marine, der zu wahrer Besorgnis Anlaß gäbe. Höchstens die Soldatenschinderei; aber die ist unbestreitbar im Abnehmen. Liebeshändel aber und dann und wann ein Jeuchen hat es gewiß nicht minder in dem Musterheere des Großen Fritz gegeben. Auch unsere Sieger von 1870/71 waren in dieser Hinsicht keine Tugendbolde.

      Was geschehen könnte, um bei uns die kriegerische Tüchtigkeit von Offizieren und Mannschaften noch zu steigern, darüber müssen wir die Herren vom Fach entscheiden lassen.

      Unser Heer, einschließlich natürlich die Marine, ist jedenfalls eine so bewährte Schule zur Mannhaftigkeit, daß es neu erfunden werden müßte, wenn es noch nicht bestände. Es ist die großartigste organisatorische Schöpfung der neuen Welt. Das alte Rom hatte in seiner Glanzzeit etwas Ähnliches, blieb aber doch mit seinem Heere hinter dem zurück, was wir vor Augen haben. Etwas anderes ist es natürlich, ob dieses nach wie vor tapfere Volk in Waffen gewillt sein und bleiben wird, dem Geiste und der politischen Richtung zu dienen, die zurzeit in Deutschland beliebt sind. Auch der russische Soldat ist tapfer und hingebend. Er hat es besonders im letzten Türkenkriege bewiesen. Schlecht regiert, konnte er aber seine Tapferkeit sogar gegen die eigenen Offiziere wenden. Mannhaft sind die Revolutionäre auch, die jetzt Heeresrevolten machen und mit Aufopferung ihres eigenen Lebens Bomben werfen – aber diese Art von Mannhaftigkeit wollen wir uns doch sorgsam vom deutschen Volksleibe halten! Das ist Sache der Regierung und der gesetzgebenden Körperschaften. Und da liegt auch der Schwerpunkt der Frage. Ebensowenig wie an eine bestimmte Regierungsform ist die Tugend der Mannhaftigkeit an irgendeinen Stand oder an irgendein Alter gebunden. Sie ist dem besseren Menschen angeboren, kommt nur in bestimmten Berufen, wie im Heere, am besten zur Ausbildung und am sichtbarsten zum Ausdruck.

      Die zahlreichen Beweise von Heldentum, die auch im zivilen Leben vorfallen und wie sie uns die Zeitungen berichten, werden leider nicht gesammelt. Eine solche Statistik würde geeignet sein, unser nationales Selbstgefühl stark zu heben.

      Wie viele Medaillen für Errettung aus Todesnot und mit eigener


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