Erziehung zur Mannhaftigkeit. Gurlitt Ludwig

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Erziehung zur Mannhaftigkeit - Gurlitt Ludwig


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sein. Stillschweigend wird das auch durch die Praxis schon anerkannt, denn die Erziehung holt sich ihre geistigen Hilfstruppen nur aus den Regionen der höchsten menschlichen Kraft. Das Tiefste, Edelste, Größte und Schönste, was je gebildet, gedacht und geleistet worden ist, ist uns für unsere Erziehungszwecke eben gut genug. Nichts liegt uns so fern, nichts so hoch, wonach wir Lehrer nicht unsere Hände ausstreckten.

      Wir haben ein Recht dazu, denn wir walten in Wahrheit eines königlichen Amtes und unser Reich ist nicht minder groß und schön, als das der Mächtigsten unter den gekrönten Häuptern. Die Berechtigung aber, auch an der Erziehung der Eltern zu arbeiten, wird man uns nicht zugestehen. Dem Prediger ist sie nie bestritten worden. Er hat die höhere Weihe. So auch der Jurist, der den ererbten, nicht immer begründeten Ruf allumfassender Kenntnisse und Fähigkeiten genießt, zumal wenn er sich mit dem Scheine eines Staatsmannes zu umkleiden weiß. Dahinter wittert der gewöhnliche Sterbliche eine ganz profunde geistige Kapazität und deutet selbst das Schweigen als ein Siegel tiefer Gedanken. Dabei ist es oft das ganz natürliche Zeugnis geistiger Impotenz. Wir wissen, wie geringschätzig Bismarck über diese Zunft der Völkerlenker dachte. Bauern, Zolleinnehmer und Krämer kamen ihm mit ihnen verglichen als wahre Leuchten vor. Mir erzählte einmal Exzellenz v. Oehlschläger, Bismarck habe ihn zum Unterstaatssekretär mit der Begründung gemacht, daß er ein Jäger (!) sei. Jäger hätten ein gutes Auge und ein gesundes Urteil. Man lese, wie verächtlich auch Maximilian Harden von der Zunft spricht, die die Welt mit so wenig Verstand regiert.

      Man wird vielleicht, wie nach dem Schmerzenstage von Tilsit, noch einmal zu der Überzeugung kommen, die Fichte den verzagten Deutschen predigte, daß alles Heil von der Erziehung kommen müsse. »Unsere Verfassung wird man uns machen,« sagte er damals in seinen Reden an die deutsche Nation, »unsere Bündnisse und die Anwendung unserer Streitkräfte wird man uns anzeigen, ein Gesetzbuch wird man uns leihen, selbst Gericht und Urteilsspruch und Ausübung desselben wird man uns bisweilen abnehmen. Mit diesen Sorgen werden wir auf die nächste Zukunft verschont bleiben. Bloß an die Erziehung hat man nicht gedacht: suchen wir ein Geschäft, so laßt uns dieses ergreifen! Es ist zu erwarten, daß man in demselben uns ungestört lassen werde. Ich hoffe, daß ich einige Deutsche überzeugen und sie zur Einsicht bringen werde, daß es allein die Erziehung sei, die uns retten könne vor allen Übeln.«

      Wir leben bei allem äußeren Glanze und bei aller Selbstgefälligkeit in Zeiten, die uns durch die schwüle Stimmung an den Niedergang Preußens, an die Vorboten von Jena und Auerstedt erinnern. Jedenfalls ist die Klage Dr. Heinrich Ilgensteins (Blaubuch 1906 Nr. 34) berechtigt, daß seit den Zeiten des seligen Metternich nie so dunkel, so öde, so entwicklungsfeindlich, so gegen das Volk und seine vitalsten Bedürfnisse regiert worden ist. Wo die Staatsinstitute so schmerzlich versagen und aus den Behörden heraus kein befreiendes Wort zu vernehmen ist, wird man wohl wieder nach freien »Männern« Ausschau halten. Vielleicht findet man den einen oder den anderen unter den Lehrern, den berufensten Kulturträgern, der sich seiner Mission bewußt wird. Schon der »Rembrandt-Deutsche« sprach die Überzeugung aus, daß wir, um ein einiges Volk zu werden, noch einen zweiten Bismarck brauchten, und das müsse ein pädagogischer (oder, wie er unzutreffend sich ausdrückt, ein philologischer) sein. Vielleicht helfen auch diese Rufe mit, ihn aufzuwecken und zur Tat zu begeistern. Den Lehrer aber hat man leider nie nach seiner Bedeutung bewertet. Deshalb vor allem ist er in der Regel hinter seiner wahren Aufgabe auch weit zurückgeblieben. Jetzt vielleicht noch mehr als in früheren Zeiten. Denn jetzt ist der Lehrer mehr als je – Beamter. Als solcher hat er ein Amt, aber keine Meinung. Der Mensch wird eben schließlich zu dem, wofür man ihn nimmt.

      Friedrich der Große, sonst wirklich groß und ehrlich gewillt, ein freidenkendes Volk zu beherrschen, dachte doch so niedrig über die geistigen Ansprüche, die au deutsche Jugenderziehung zu stellen seien, daß er Unteroffiziere dazu glaubte abkommandieren zu können. Das war vielleicht schon ein Fortschritt. Denn der Unterricht lag damals noch in den Händen von Handwerkern, die ihn im Nebenamt betrieben. Der Lehrer rangierte auf dem Lande jahrhundertelang in einer Linie mit den Kuhhirten und den Totengräbern. Sein Gehalt ist auch jetzt noch in Preußen das eines Subalternbeamten, obschon Luther, der große Lehrmeister der protestantischen Welt, gesagt hatte: »Einen fleißigen, frommen Schulmeister oder Magister oder wer es ist, der Knaben getreulich zeucht und lehret, den kann man nimmermehr genug lohnen und mit keinem Gelde bezahlen: noch ist's bei uns so schändlich veracht, als sei es gar nichts, und wollen dennoch Christen sein. Und ich, wenn ich vom Predigtamt und andern Sachen ablassen könnte und müßte, so wollte ich kein Amt lieber haben, denn Schulmeister und Knabenlehrer sein. Denn ich weiß, daß dieses Werk nächst dem Predigtamte das allernützlichste, größeste und beste ist, und weiß dazu noch nicht, welches unter beiden das beste ist.« So also sprach Luther. In unseren Herrscherhäusern aber ist man dem Lehrerstande nicht aufrichtig gewogen, auch heute noch nicht. Ja, heute vielleicht weniger als vordem. Friedrich Wilhelm IV. hielt ihn für verantwortlich für den durch die Aufklärung »verirrten Zeitgeist« und erklärte, daß die Lehrer nicht auf Bildung, sondern auf Gesinnung ihrer Schüler zu halten hätten.

      Auch unser Kaiser hat die Überzeugung, daß die Sozialdemokratie mit ihrem mangelnden kirchlichen Sinne und ihrer gegen die Regierung ablehnenden Haltung zu solcher Macht nicht hätte gelangen können, wenn die Lehrer ihre »Pflicht« getan hätten. Sie haben auch bisher vom Kaiser kaum noch Beweise der Gnade erhalten. Wir bewegen uns eben noch in den Bahnen der von Friedrich Wilhelm IV. begonnenen Reaktion. Ziel des Schulunterrichtes ist nicht sowohl die freie Entfaltung aller eingeborenen menschlichen Kräfte, als die Heranzüchtung von brauchbaren Beamten und ruhigen Bürgern oder lieber noch – »Untertanen«. Denn daß es bei uns vor dem Gesetze nur noch Bürger, nicht mehr Untertanen gibt, davon will man in den höchsten Regionen nicht viel wissen. Leider lassen sich unsere Zeitgenossen die Freiheiten und Rechte, die ihnen ihre Väter erkämpft haben, in ihrer beschämenden Untertanengesinnung ohne Widerrede wieder wegnehmen. Daher sprechen unsere Zeitungen in unseren konstitutionellen Staaten immer noch von Monarchen und Untertanen und die Leser nehmen es hin ohne Erröten und ohne Erbitterung.

      Es steckt eben dem armen, durch Jahrhunderte hindurch so miserabel behandelten Deutschen leider die Bedientengesinnung noch zu tief in den Knochen. Sie lebendig zu erhalten und recht gründlich zu pflegen, scheint man als Hauptaufgabe des Lehrerstandes anzusehen, dem selbst vor allem Gehorsam und Bescheidenheit zur Pflicht gemacht wird. Davon unten mehr! – Unsere Regierungen geben auch heute noch Gesetze für die Volksschulen, ohne deren Lehrer selbst zu hören. Die Erzieher der deutschen Jugend können bis jetzt, wenn sie nur Volksschullehrer sind – »Volk« bedeutet nämlich bei uns noch etwas Niedriges –, in unserem Volksheere nicht einmal Reserveoffizier werden. Das sagt alles![1]. Das beweist, wie niedrig man den Bildungsstand und die moralische Tüchtigkeit dieser Herren einschätzt, die nach meinen Erfahrungen jetzt in ihren besten Vertretern den Vergleich mit unseren Linien- und Gardeoffizieren kaum zu scheuen brauchen. Ich bin überzeugt, daß sie ganz besonders tüchtige Offiziere abgeben würden. Denn sie kennen das Volk und haben die Jugend gründlich studiert, viel gründlicher jedenfalls als der adlige Offizier, der vor seiner Dienstzeit mit dem niederen Volke selten in einem lebendigen Verkehr steht. Sie haben auch alle sonstigen geistigen und moralischen Qualitäten dazu. Wer das bezweifelt, der besuche die Verhandlungen dieser Lehrer und höre ihre Vorträge an. Auf den »Kunsterziehungstagen« wußten wir Zuhörer, wenn wir nicht das gedruckte Programm einsahen, nicht, ob da ein Hochschullehrer oder »bloß« ein Volksschullehrer spreche. Unsere Universitätsprofessoren, die jetzt die Volksschullehrer aus persönlichen Beziehungen kennen lernen, sprechen mit großer Anerkennung von ihnen. Prof. Theobald Ziegler aus Straßburg sagte ihnen auf dem Münchener Lehrertag dieses Jahres offen ins Gesicht, daß heute in dem Stande der Volksschullehrer ein höherer Bildungsdrang und idealerer Sinn wohne als in irgendeinem anderen Stande. Das ist auch meine Erfahrung. Und unter diesen mehr als 150 000 deutschen Männern sollte keiner sein, – oder jetzt doch zwei, aber nur zwei – die sich zum Reserveoffizier qualifizieren? Unglaublich! Um so unglaublicher, als unsere von Beamten, Offizieren, Königen und Fürsten mit erhobener Hand und unter Anrufung Gottes beschworenen Verfassungen anordnen, daß vor dem Gesetze jeder Bürger gleich sei, daß Ämter und Ehren nur nach Verdienst


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