Erziehung zur Mannhaftigkeit. Gurlitt Ludwig

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Erziehung zur Mannhaftigkeit - Gurlitt Ludwig


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handfesteste Sache, ist schweres Hausbackenbrot, nicht Konfekt für Leckermäuler. Bei jedem wahren Idealismus geht es auf Leben und Tod. Mit sentimentalem Gesäusel kommt man ihm nicht nahe; mit all dem beliebten Ei, ei, ei, und Ach, ach, ach trifft man sein Wesen nicht. Wer auf große Kunstwerke in dieser schwächlichen Weise reagiert, der beweist damit nur, daß ihm das Wesen der Kunst überhaupt noch gar nicht aufgegangen ist. Nicht bloß die Schlachten, jede Kulturtat wird mit Blut erkauft. In jedem Werke gibt der wahre Arbeiter und Künstler ein Stück und immer gerade das beste Stück seines Lebens hin. Es ist damit wie mit dem Eierlegen des Schmetterlings. Er lebt dafür und stirbt daran, und daß er beides kann und darf, das macht ihm das Leben lebenswert und den Gedanken an den Tod erträglich. Wer dieserart seine Natur und damit seinen Lebenszweck gefunden hat, der wird in jeder Lebenslage mannhaft sein, er müßte sonst seine Natur geradezu verleugnen.

      Auch diese Begriffsbestimmung wird die Theoretiker nicht befriedigen. Am besten wohl, wir bescheiden uns mit diesem Mißerfolg.

      Was ein Mann ist, dafür brauchen und haben wir keine vollgültige Definition.

      Was ein ganzer Mann ist, das merken wir gleich, wenn er uns einmal entgegentritt. Wenn es Philosophen und Stubengelehrte nicht wissen sollten, so mögen sie ihre Frauen fragen. Die wissen's, wenn vielleicht auch nur e contrario. Vielleicht wissen es sogar auch die Töchterchen schon. Ein junger unverdorbener Bursch weiß es auch. Was nun vollends ein echter deutscher Mann ist, das brauchen wir wirklich nicht erst aus den Büchern zusammenzulesen. Wir tragen es im Herzen, und wir haben es mit eigenem Auge gesehen, jedenfalls wir Älteren. Es ist uns zum freudigen und zugleich tief erschütternden Erlebnis geworden, als wir vor dem greisen Bismarck standen und seine Worte hörten, die uns wie eherne Pfeile ins Herz drangen: jeder Satz ein Glaubensbekenntnis, hinter jedem Gedanken die Lebensüberzeugung eines Aufrechten, der sich seine innere Welt selbst erstritten und erbaut hat. An ihm sahen wir lebendig, was uns Ernst Moritz Arndt in seiner für unser Gefühl etwas theatralischen Sprache als das wahre Wesen des Mannes, des deutschen Mannes, vorgezeichnet hat: »Wollt ihr das irdische Paradies wissen?« so fragte er seine deutschen Brüder und gab ihnen die Antwort: »Es heißt Arbeit und Mühe, und Freude und Genuß nach Arbeit und Mühe. Anders wird auf Erden kein glückliches Leben, keine Freude des Herzens, kein Götterstolz der schwellenden Brust gewonnen. Es heißt arbeiten und wirken, streiten und ringen, Mut frisch zu leben und tapfer zu sterben. Weg mit euren Mondgesichtern, eurem seligen Schlaraffenlande, mit allen euren weinerlichen Tugenden und tugendhaften Weinerlichkeiten! Freies Auge, festen Arm, kühnes Wort, freudiges Leben und frischen Tod, das will ich an Männern; die Würde des Geschlechts, den Verstand der Welt, das hohe Ideal der Ewigkeit in Wort und Tat sollen sie aufrechthalten; darum sollen sie gerüstet sein zu Zorn und Tod, zu jedem hohen Gefühl und jedem hohen Opfer.«

      Mag uns also mit dieser Erklärung genug sein. Sie ist keine Begriffsbestimmung, aber sie trifft das Wesen der Sache, von der wir handeln.

      Im weiteren Verlaufe dieser Darstellung wird dann noch deutlicher hervortreten, was wir unter Mannhaftigkeit verstehen.

       Begrenzung des Themas.

       Inhaltsverzeichnis

      Die Deutschen zur »Mannhaftigkeit« erziehen, heißt, sie ihrer eignen Natur zuführen. Bismarck, der seine Deutschen wie wenige kannte, teilte die Völker in männliche und weibliche. Den männlichen zählte er die Deutschen zu. Dabei handelt es sich, wie schon gesagt, nicht allein um Tapferkeit vorm Feinde, scheinbar die männlichste aller Tugenden, sondern um die ganze innere Kraft und Beharrlichkeit, um die ruhige, sichere Lebensführung. »Tapfer«, sagt derselbe Bismarck, »sind alle Völker.« Tapfer sind in Wahrheit die Franzosen und nicht minder die Japaner, tapfer die Türken und die Hereros. Einer unserer Afrikaner erzählte mir, daß er nach dem Gefechte tote Hereros gefunden habe, die sich selbst in die Wunden Grasbolzen gestopft hatten, um bis zum letzten Atemzuge mitzukämpfen. Wer also könnte die Tapferkeit dieser »Wilden« noch überbieten? Tapfer sind alle die Völker, die für ihre Freiheit, ihren Glauben, ihren Herd und ihre Heimat kämpfen. Feig sind nur Sklaven, die nichts zu verteidigen haben, was den Einsatz des Lebens lohnte. Je mehr unabhängige, freie Männer ein Volk hat, um so waffengewaltiger und unwiderstehlicher wird es sein. Das wußten die großen Volkserzieher sehr wohl, die vor jetzt hundert Jahren in Preußen aus Leibeigenen freie deutsche Bauern machten.

      Eine Erziehung zur Tapferkeit gibt es eigentlich nicht. Schon Sokrates legte sich die Frage zweifelnd vor, ob es möglich sei, aus einem feigen Menschen einen tapferen zu machen. Er erkannte richtig, daß man ihn dahin bringen könne, durch Gewandtheit und Kraft die Gefahren und damit die Furcht zu vermindern. Er war aber der Meinung, daß ein in schwerer Rüstung erprobter Spartaner seinen Mut verlieren würde, wenn man ihn plötzlich leichtbewaffnet mit Pfeil und Bogen auf ein wildes Pferd setzen wollte – und umgekehrt. Das ist ganz richtig. Ich beobachte hier die verwegensten Bergsteiger unter den steierischen Bauern, die durch keine Bitten und Vorstellungen dazu zu bringen wären, bei Sturm ein Boot zu besteigen.

      Tapfer vor dem Feinde oder im Wogendrang sind die Deutschen und werden es ihrer Natur nach im wesentlichen auch immer bleiben, wenn sie zu Land und zu Wasser eine tüchtige Ausbildung erhalten und wenn sie nicht durch eine ungeschickte Regierung und durch eine ungünstige wirtschaftliche Entwicklung wieder tiefer in eine menschenunwürdige Abhängigkeit gebracht werden. Die Gefahr ist allerdings vorhanden, und die Bahn, in der sich unsere sogenannte Kultur entwickelt, führt unsere Volksmasse eher in die Tiefe, als in die Höhe. Drei starke Mächte untergraben unbewußt und unbeabsichtigt, aber de facto doch die Mannhaftigkeit unseres Volkes: Hierarchie, Bureaukratismus, Kapitalismus.

      Mit diesen drei Mächten werden wir uns auch in dieser Schrift herumschlagen müssen. Das sieht aus wie eine Abweichung vom Thema, ist es aber nicht. Kein Erzieher, der den allgemeinen Erziehungsfragen nachgeht, kommt um diese Probleme herum.

      Es ist überhaupt ein gar wunderlich Ding mit der Erziehung. Wo immer man ansetzt, um irgendeiner Erziehungsfrage auf den Grund zu gehen, da gerät man sofort in die allgemeinen großen und letzten Fragen der Menschheit, des sozialen und staatlichen Lebens. Man wirft uns pädagogischen Schriftstellern vor, daß wir anmaßend und geschwätzig wären. Mag sein, daß wir es sind, aber es ist fast eine Notwendigkeit, denn unser Studiengebiet ist die gesamte Menschheit, und es hängt darin wie in einem großen Gewebe eines mit allem zusammen.

      Ein besonderes Thema aus der ethischen Erziehung herauszugreifen ist, wie ich zu spät einsehe, eigentlich etwas Halbes, Einseitiges, Verkehrtes. Es ist, als wollte einer z. B. über die Gesundheit oder Pflege der menschlichen Hand ein Lehrbuch schreiben, ohne zugleich den gesamten übrigen Leib zu behandeln und ohne Kenntnis alles organischen Lebens und Wachstums. Ist der ganze Leib gesund, so wird es auch die Hand sein oder werden. Dagegen kann die Hand nie gesund sein und werden, wenn der übrige Leib krank ist. Ein Leib ist eben ein geschlossener Organismus. Ebenso ist das menschliche Geistesleben eine Einheit, ist ein Volk eine Einheit, ist Volkserziehung ein einheitliches Thema. Wo immer man ansetzt, stets führt die Untersuchung vom Einzelnen ins Allgemeine, und ehe der Schulmann sich versieht, eilt sein Geist und seine Feder aus der Schul- und Kinderstube hinaus in die weite Welt und sucht ringsum, selbst in der alten Geschichte und in entfernten Gegenden, die notwendigen Ergänzungen und Belehrungen.

      So wird sich auch dieses Buch, dem ich enge Grenzen und ausschließliche Beschränkung auf das Gebiet der Jugenderziehung zugedacht hatte, auf sein eigenstes Thema nicht beschränken lassen. Vor allem stellt sich immer wieder heraus, daß Jugenderziehung und allgemeine Menschenerziehung nicht zu trennen sind. Schon deshalb nicht, weil nur selbst erzogene Menschen erziehen können, weil jede Erziehungsschrift sich an die Erwachsenen wenden muß und weil notwendige Voraussetzung einer jeden guten Erziehung die rechte Organisation von Staat, Haus, Schule und öffentlichem Leben ist.

      Die größten Philosophen und Staatsmänner waren deshalb auch in der Regel zugleich die besten Erzieher ihres Volkes. Bismarck hat für die moralische Erziehung unseres Geschlechtes mehr geleistet als zahlreiche Erzieher von Beruf zusammengenommen. Ebenso Kaiser Wilhelm I. Das Vorbild gilt mehr als die Lehre,


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