Erziehung zur Mannhaftigkeit. Gurlitt Ludwig

Читать онлайн книгу.

Erziehung zur Mannhaftigkeit - Gurlitt Ludwig


Скачать книгу
Berufes und aus edelster Hingabe für andere den Tod?

      Wir lasen von Knaben, die Heldentaten begingen, um ihre Geschwister oder Freunde zu erretten. Wir lasen vor einigen Jahren, daß bei dem Untergang eines Vergnügungsdampfers in der Elbemündung ein junger Kellner, der dem sinkenden Schiff entronnen war, trotz aller Bitten seiner Braut fünfmal in die Fluten zurückkehrte, um kleine Kinder vor dem Tode zu erretten, bis er selbst in den Wellen den Tod fand. Hätte das vor 3000 Jahren ein junger Spartaner oder Athener geleistet, sein Name lebte noch heute im Munde aller deutschen Kinder. Wir sind nicht umsonst ein »klassisch« gebildetes Volk!

      Wenn wir die sozialistischen Blätter lesen, so wird uns darin erzählt, daß nur der Proletarier, der Mann der arbeitenden Klasse, zu so selbstloser Hingabe fähig sei. Richtig ist, daß man dort ein größeres Verständnis für die menschliche Not und einen stärkeren Willen findet, sie zu teilen und mit zu bekämpfen. Werktätige Nächstenliebe ist in den unteren Gesellschaftsschichten, die uns von reaktionslüsternen Nichtkennern als verroht und verkommen gezeichnet werden, gegenwärtig sehr stark entwickelt. Aber nur Partei- und Klassenhaß kann behaupten, daß die oberen kirchlich korrekten Gesellschaftskreise von solcher Gesinnung ganz ausgeschlossen wären. Was Ärzte, barmherzige Schwestern und Pflegerinnen aus vornehmen Häusern auf den Schlachtfeldern, in den Baracken von Cholera- und Typhuskranken allezeit geleistet haben, darf nicht verschwiegen bleiben. Häufig auch lasen wir, daß junge Offiziere Ertrinkende mit eigner Lebensgefahr errettet haben; und daß jeder Offizier, wie Bismarck ihm nachrühmte, seinen Mann aus dem dichtesten Kugelregen herausholt, daran hat sich seitdem auch nichts geändert. Den deutschen Offizier macht uns auch heute noch niemand nach.

      Mit den Tätigkeiten, die unser Kaiser besonders erwähnte, sind also die Gelegenheiten, deutschen Manneswert zu bewähren, keineswegs erschöpft. Auch auf dem Gebiete der Forschung, der Wissenschaften, Literatur und Kunst werden Heldentaten begangen, die oft unbekannt, aber bewundernswerter sind als der Ansturm eines Offiziers auf eine feindliche Schanze. Der Ritter Frundsberg hatte wohl recht, als er in Worms dem Pfäfflein Martinus Luther sagte, er gehe einen schwereren Gang als er oder sonst ein Kriegsmann je gegangen wäre. Die Frage des Berliner Tageblattes war deshalb berechtigt: »Bedeutet schließlich die Ausbildung der menschlichen Individualität gar nichts mehr gegenüber den Anforderungen, die das staatliche oder kommunale Gemeinwesen an die Fähigkeiten der Menschen stellt?« Und sehr mit Recht wurde auch gesagt: »Unbeschadet des hohen Wertes jener in den öffentlichen Dienst gestellten Tugenden und Fähigkeiten darf man es getrost behaupten, daß in der einseitigen und übertriebenen Wertschätzung jener Betätigungen, die lediglich auf die Entwicklung der materiellen Kräfte in Staat und Gesellschaft abzielen, eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die Entwicklung der Kultur im allgemeinen und der deutschen idealgerichteten Geistesbildung im besonderen liegt. Nur in einer harmonischen Ausgleichung der ideellen und materiellen Interessen eines Volkes liegt die sichere Gewähr für seine gedeihliche zukünftige Entwicklung.«

      Wie also soll nun unsere Definition lauten?

      Unter Mannhaftigkeit verstehen wir den Inbegriff all der Tugenden, die das Wesen eines echten Mannes ausmachen, als da sind: Wahrhaftigkeit, Tapferkeit, Ausdauer, Treue, Edelmut – ach nein, ich sehe, so geht es doch nicht. Was ist lächerlicher, als in dieser Weise das Herrlichste, was Gott erschaffen kann – einen wahren Mann –, auf gelbem Konzeptpapier frei konstruieren wollen? Es geht nicht, geht auch nicht auf dem von den Behörden vorgeschriebenen halbbrüchigen weißen Aktenpapier Nr. F. Es ist mit einer solchen papiernen Tugendsammlung wie mit der Abbildung des Pferdes, das mit allen Pferdekrankheiten behaftet ist: Hahnentritt, Spat, Rotz und grauem Star. So wenig ein solches Pferd je gelebt hat, so wenig gab und gibt es den Mann, der mit allen wahrhaftig männlichen Tugenden behaftet war. Auch der tugendhafte Schüler lebt nicht, der, den zahllosen ihm vorgestellten Mustern gemäß, mild und sanft wie Christus, stark und trotzig wie Bismarck, begeisterungsfähig wie Schiller, ruhig und besonnen wie Moltke ist. Man darf unserm Herrgott nicht ins Handwerk pfuschen wollen. Er läßt sich keine Vorschriften machen, das Konzept nicht korrigieren. Mannhaft waren Walther, Luther, Ulrich von Hutten, Lessing, Goethe, Schiller, Bismarck, aber auch Richard Wagner, Beethoven, Moritz von Schwind und der körperlich kleine Menzel – jeder aber mannhaft auf seine Art, keiner ein Komplex bestimmter abstrakter Tugenden.

      Ludwig Richter hat uns ein entzückendes Bildchen hinterlassen mit den Versen:

      »Marthens Fleiß,

       Mariens Glut,

       Schön wie Rahel,

       Klug wie Ruth,

       Mägdlein bestes Heiratsgut.«

      Das glaub' ich! Daraus macht eine umsichtige Mama nicht eine, sondern vier gute Partien!

      Da wird wohl Unmögliches gefordert: Wer Mariens religiöse Glut hat, dem fehlt Marthens wirtschaftlicher Sinn, wer schön wie Rahel ist, pflegt nicht klug wie Ruth zu sein. – Auch bei den Frauen finden wir selten solch wandelnde Ideale, und wenn sie erscheinen, so sind sie mehr Naturwunder als Erziehungsprodukt. Allzu ideal wünscht man sie auch gar nicht, es würde ihnen damit wohl das Beste, die Individualität, oder – um dieses wahrhaft abscheuliche Wort nicht zu gebrauchen – die schlichte Natürlichkeit und Menschlichkeit verloren gehen. Damit sage ich nichts Ungalantes. Das liegt mir ganz fern, denn ich bin durchaus eines Sinnes mit dem jungen Kommis, der behauptete, daß die Frauen jedenfalls in dieser Branche das Beste sind, was wir haben.

      Doch zurück zum Mann. Ich erinnere mich einiger Verse von W. H. Riehl:

      »Wer weiß, was er will,

       Und will, was er kann,

       Und kann, was er soll,

       Der ist ein ganzer Mann.«

      Das mag man gelten lassen.

      Fassen wir das Gemeinsame in den Lebensäußerungen all jener bedeutenden Männer zusammen, so ergibt sich als Merkmal ihrer Mannhaftigkeit das Einsetzen ihrer ganzen Kraft für das, was ihnen als edel und erstrebenswert erschien. Aber nein, auch das befriedigt mich noch nicht! Wir müssen noch eine Stufe höher steigen. Das Tun dessen, was edel erscheint, ist ein »Edel-sein-wollen«, also ein Umweg über das Ideal, dem man nachstrebt, wodurch man seine Selbstachtung befriedigen will, nicht der unmittelbare Weg zur eigenen Natur selbst. Mannhaft ist das furchtlose Tun des Notwendigen, ist einfach das Leben, wie man seiner Natur nach leben muß.

      Für das Erstrebenswerte hat man bei uns die vage Bezeichnung: ideal. Ich gebrauche dieses Wort nicht gern, weil es durch Mißbrauch um seinen guten Ruf gekommen ist. Die meisten Menschen denken sich heute unter Idealismus irgendeine feine, zarte, duftige, in den Wolken schwebende Sache, die nur für die »ganz Gebildeten« ist. Die Ästheten und altklassisch Humanen haben uns dieses an sich schon undeutsche Wort arg heruntergebracht, indem sie es gar so hoch bringen und dem täglichen Gebrauche entrücken wollten. »Ideal« sind angeblich der junge Poet, der Gymnasialdirektor und seine mit Plato- und Cicerogeist leicht angehauchten Primaner. Den idealen Jüngling denkt man sich blondgelockt und mit schmachtenden, wasserblauen Augen. Den altklassischen Idealismus, mit dem man noch so viel Wesens macht, hat es in der Form, die in unseren Gymnasien ihr Scheinleben führt, selbst niemals gegeben. Die Griechen und nun gar die Römer waren derbreale Völker. Was man aber mit Recht als »ideal« bezeichnen könnte, das ist recht eigentlich eine germanische Kulturfrucht. »Deutsch sein, heißt eine Sache um ihrer selbst willen treiben.« Also heißt deutsch sein, auch ideal sein. Wer eine Sache um ihrer selbst willen treibt, ist von ihrer Notwendigkeit so überzeugt, daß er ihr jedes Opfer zu bringen vermag. Ihr dienen, ist ihm nicht einmal ein Opfer, sondern wahrer Lebensberuf, Befriedigung des innersten Triebes, ist ihm Notwendigkeit und so selbstverständlich, wie dem Baume das Blühen und Früchtetragen selbstverständlich sein mag. Kein Mensch rechnet es dem Apfelbaum als Idealismus an, daß ihm die Äste vor Fruchtbarkeit brechen wollen, auch nicht der Häsin, daß sie jährlich zwei Dutzend Junge wirft, nicht der Henne, daß sie für ihre Küken mit dem Raben auf Tod und Leben kämpft.

      Ebensowenig will sich ein Künstler anstaunen lassen, weil er für seine Kunst auch hungert, das versteht sich ihm ganz von selbst, – oder ein Offizier, weil er für seine Ehre und sein Vaterland in den Tod geht, oder ein schlichter Lotse,


Скачать книгу